Wärme und Geborgenheit

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Loki und ich hatten uns erschöpft auf das Sofa fallen lassen, nachdem wir den Abwasch erledigt hatten. Für ein paar Sekunden hörte man nur unser Atmen. Ich hatte mich in die linke Ecke der weißen Couch gelegt, die mit meeresfarbenen Kissen bestückt war. Loki lag etwas abseits von mir in der rechten Ecke. Ich hatte die Augen geschlossen und als ich sie öffnete erblickte ich natürlich unser Wohnzimmer. Die Wände bestanden aus weißen Holzbrettern über die hier und da Gemälde von der See hingen. Die großen Fenster zur Terrasse raus, die fast eine komplette Wand ausmachten ließen einen das echte Meer erblicken. Der Boden war auch aus Holzplanken, diese waren jedoch hellbraun; vor dem Sofa war ein flauschiger, grauer Teppich in dem man seine Füße vergraben konnte, wenn diese drohten zu kalt zu werden. Hinter dem Teppich, an der Wand,
stand ein niedriges Tischlein, welches auch aus Holz bestand und an dem die weiße Farbe abzublättern begann. Auf ihm stand ein kleiner Fernseher, der mindestens zwanzig Jahre alt war, da mein Onkel ihn sehr selten bediente. Neben dem kleinen Röhrenfernseher stand noch ein Schallplattenspieler. Dieser war auch sehr alt, genauso wie die Kiste voller Platten die neben dem Tisch stand. Mein Großonkel liebte es in seiner Jugend zu verweilen. Und dazu gehörte nun einmal diese antiquiertere Technik. Aber mir gefiel sie, es hatte etwas simples und sentimentales an sich. Eine gewisse Zeitlosigkeit ging von ihr aus. Lokis Blick war anscheinend auch auf den Plattenspieler gefallen, denn dieser stand ohne ein Wort auf und bewegte sich auf ihn zu. Er bewegte sich nicht schnell, aber auch nicht langsam, doch in diesen Leinenhosen und dem Sweater passte er so sehr in dieses Wohnzimmer, dass er beinahe zu schweben schien. Als er den Schallplattenspieler erreicht hatte und sich vor ihm hinkniete erhob er seine Stimme: „Funktioniert er?" „Na klar, mein Großonkel würde niemals zulassen, dass es in seinem Haus keinen Schallplattenspieler gibt. Er liebt die Musik, auch wenn man ihm das nicht anmerkt." „Darf man ihn benutzen?" „Ich denke nicht, dass er etwas dagegen haben würde, nur weiß ich leider nicht wie man ihn bedient. Er hat es mir nie gezeigt und ich habe irgendwie nie
gefragt." „Dagegen kann Abhilfe geschaffen werden, komm, ich zeige dir wie er funktioniert." „Du weißt wie ein Schallplattenspieler funktioniert? So alt siehst du gar nicht aus." „Alter ist nicht von Nöten, wenn man Wissen hat. Obwohl Alter bei mir das geringere Problem wäre." Ich schmunzelte ihn an, mit einem leicht verwirrten Ausdruck. Was er mit letzterem sagen wollte war mir nicht ganz klar, aber es war bestimmt nicht so wichtig. Ich befreite mich von dem warmen Griff des Sofas, ging rüber zu Loki und kniete mich neben ihm hin. Er hatte mich die ganze Zeit angeguckt und richtete erst seinen Blick von mir zum Plattenspieler, als ich neben ihm kniete. Er guckte kurz durch die Kiste und nahm dann eine Platte heraus, die schon sehr alt zu sein schien. Vera Lynn stand auf der Hülle. Loki holte die Platte heraus und legte sie auf den Plattenspieler. „Zuerst musst du hier den Plattenteller in Bewegung bringen, genau so, dann senkst du den Tonarm ab, positionierst ihn über der Platte und nun musst du die Nadel sachte auf die Platte senken und sie wird die Rille finden." Nachdem er es mit ruhiger, tiefer Stimme, dicht neben mir, erklärt hatte und zugleich seine Erklärungen ausgeführt hatte, erfüllte der Raum die Aufnahme von Vera Lynn, die mindestens in die 40iger Jahre datiert werden musste, der Tonqualität nach zu urteilen. Die Musik hatte ganz und klar den Vibe der 40er Jahre, die Trauer durch den Krieg und die Hoffnung auf eine bessere Zeit. Irgendwie erfüllte mich das Lied mit Wärme. Loki war neben mir aufgestanden, blickte nun zu mir herunter und hielt mir die Hand hin. „Willst du tanzen?", fragte er mich, während ich immer noch vor dem Schallplattenspieler kniete. „Ich habe es nie wirklich gelernt." „Das macht nichts, ich führe." Er guckte mich selbstsicher an. Tja, falls ich auf seine Füße treten würde konnte er nicht sagen ich hätte ihn nicht gewarnt. Unsicher nahm ich seine Hand und sobald meine Hand in seiner lag zog er mich hoch. Er positionierte meine Hand an seiner Schulter, seine an meine Hüfte und nahm mit der anderen Hand meine in seine. Ich wartete jeden Moment darauf, dass er anfangen würde, doch stattdessen spürte ich wie sich eine seiner Hände löste. Auf einmal spürte ich eine Hand an meinem Kinn, die meinen Kopf nach oben richtete. „Beim Tanzen wird nicht auf die Füße geguckt.", sagte er mir leise, aber doch verständlich und erst jetzt nahm ich war wie nah wir uns waren. Unsere Gesichter wären vielleicht eine Handlänge entfernt gewesen, aber durch den Größenunterschied musste er sein Gesicht runterbeugen und ich meins nach oben strecken, sodass die Gesichter gezwungenermaßen noch näher aneinander waren. Als ich nichts erwiderte, ihn aber weiter anstarrte und somit nicht auf die Füße guckte, setzte er uns beide in Bewegung. Von klassischem Tanz verstand ich nicht wirklich viel, aber Loki konnte so gut führen, sodass meine Unerfahrenheit nicht allzu sehr auffiel. Im Takt bewegten wir uns zu Vera Lynn Stimme. Es fühlte sich wie eine Zeitreise an. Noch nie hatte ich mit einem Mann, allein in meinem Zuhause getanzt. Eigentlich sollte man meinen, dass so ein Tanz nichts intimes an sich hat, doch er war so persönlich. Vielleicht weil es das erste Mal war mit einem Mann zu tanzen. Wie in Trance tanzten wir ganz allein in diesem Haus, weit weg von einfach allem, die war Zeit vergessen, nur wir beide. Plötzlich verstummte die Musik, Loki löste seine Hände von mir, schritt stumm zu Plattenspieler und legte eine neue Platte auf. Wieder von Vera Lynn, wenn ich den Namen richtig erhaschen konnte. Ohne ein Wort seinerseits ertönte wieder Musik. Die Zeitreise begann von neuem. Loki kam zu mir zurück und blickte mir in die Augen. Er nahm wieder meine Hände, doch legte er sie nicht in die selbe Position wie zu vor. Stattdessen legte er sie über seinem Nacken und legte seine Hände an meine Hüften. Durch diese Position waren wir gezwungen noch viel enger aneinander zu stehen. Mein Körper lag fast komplett an seinem an. Mein Atem ging stockend, mit so viel Nähe hatte ich nicht gerechnet. Natürlich hatte ich Nähe mit einem Mann schon erfahren, viel mehr als diese hier, doch nie konnte ich kaum atmen. Irgendwas an diesem Mann schien mich zu verzaubern. Mit verkrampftem Hals guckte ich ihn an, ich wusste nicht so recht wohin mit meinem Kopf. Ich hörte ein leises Lachen aus seiner Kehle schlüpfen, spürte wie sich eine Hand von meiner Hüfte löste, die meinen Hinterkopf sachte berührte und meinen Kopf an seine Brust legte. Mein Kopf war nun zur Seite gelegt, mein Ohr konnte seinen Herzschlag hören. Ich war wohl etwas verkrampft, denn von Loki empfing ich ein leises „Entspann dich". Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte all die aufgebaute Spannung fallen zu lassen. Es gelang mir. Ich nahm an, was er mir gab, schmiegte mich an seine Brust und zog mich mit meinen Armen näher an ihn. Ich wollte seine Wärme spüren. Der Sweater unter mir war ganz weich, er war angewärmt durch die pulsierende Brust, die unter ihm lag. Ich schmiegte mein Gesicht enger an ihn. Lokis Hand war wieder an meiner Hüfte gelandet. Eng umschlungen fingen wir an im Takt langsam hin und her zu schaukeln. Ich wusste nicht so recht, was dieser Moment bedeutete. Als eine Laune der Zeit könnte man ihn deuten.

nowhere and everywhereWhere stories live. Discover now