Ca. 5 Wochen später sitze ich an meinem Esstisch und verschlinge Mochis. Mal wieder in meinen Gedanken versunken, schrecke ich hoch, als mein Handy klingelt. Völlig aufgebracht weint Hikari in den Hörer, als ich seinen Anruf annehme. "Was ist passiert?", frage ich besorgt. Stotternd bittet er mich darum, dass ich ins Krankenhaus kommen solle. Ich springe auf, ziehe meinen Mantel an und renne so schnell wie möglich ins Nagoyomi-Krankenhaus. Sobald ich bei der Rezeption ankomme, frage ich die Mitarbeiterin nach ihm. "Hikari Fujiwara also...", murmelt sie in sich hinein und sucht etwas in dem Computer. "Raum 254. Achten Sie darau-", versucht sie mir zu erklären, jedoch renne ich schon los. Als ich im Raum ankomme, sehe ich den nicht wieder zu erkennenden Hikari. Er sitzt dort und weint. Ich knie mich vor ihn und nehme seine Hände. Vorsichtig frage ich: "W-Was hast du?" Da Hika-kun kein Wort rausbringen kann, spricht der Arzt für ihn. "Er hat eine seltene Form der Schlaf-Krankheit. Sie ist unheilbar und er wird vermutlich nicht mal mehr die Wintersonnenwende überleben. Mit der Zeit wird er immer stärkeren Gewichtsverlust haben. Weitere Symptome sind Nachlass des Geschmacksinns, plötzliche Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Schwächegefühle. Das mit dem Schlaf ist sehr selten. Er wird oft das Gefühl von starker Müdigkeit haben, jedoch wird er nicht einschlafen können. Wie eigentlich jeder weiß, ist Schlaf sehr wichtig, weswegen diese Schlaflosigkeit das größte Problem ist." Mein Herz bleibt stehen. Nein. Das kann nicht wahr sein. Jetzt, wo ich mir endlich mal Gefühle für jemanden eingestanden habe, kann es doch nicht sein, dass mich diese Liebe dann verlässt. Warum ausgerechnet er? So ein wunderbarer Mensch, der sein Leben lebt? Warum nicht jemand, der sein Leben eh nicht schätzt? Womit hat er das verdient?! Der Arzt verlässt das Zimmer. Ich breche in Tränen aus und umarme Hikari. Sofort rieche ich an seinem Shirt und genieße seinen Geruch, als wäre es das letzte Mal, dass ich ihn riechen kann. "Wie kommt es, dass du hierher kommst?" "Ich habe die letzten 3 Nächte unruhig geschlafen und ständig gezittert. Ich hätte natürlich niemals damit gerechnet, dass mir gesagt wird, dass ich nicht mehr lange leben werde." erklärt er mir. Ich schlucke. Hoffentlich ist das alles nur ein Traum und ich wache gleich auf. Doch egal, wie sehr ich es versuche, alles bleibt so. Er und ich weinen genauso wie vorher, der Raum riecht immernoch nach dem typischen Krankenhaus-Duft, ich sitze immernoch auf dem Boden, er zittert immernoch und immernoch weiß ich nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. "Ayumu-chan. Ich möchte meine letzten Monate mit dir verbringen. Wenn du das nicht willst, komme ich irgendwie damit klar", wirft er in den Raum. Ungläubig sehe ich ihn an. Ich weiß zwar nicht, wie ich das aushalten soll, jedoch möchte ich ihn jetzt nicht alleine lassen. Nach seinem Tod würde ich es nur bereuen und mich selber dafür hassen, dass ich ihn im Stich gelassen habe. Ich nicke. Und das obwohl ich weiß, dass es wehtun wird, ihm zu zusehen, wie er dem Tod immer näher kommt. Vielleicht werde ich irgendwann bereuen, dass ich ihn überhaupt in mein Herz geschlossen habe. Aber in diesem Moment bereue ich gar nichts. Nicht, dass ich ihn damals im Kindergarten kennengelernt habe, nicht, dass wir Freunde geworden sind, nicht, das alles was wir schon zusammen getan haben, nicht, dass sich mein Empfinden für ihn in Liebe verwandelt hat, nicht, dass ich bei Vollmond immer an ihn denke werde und nicht, dass ich gerade genickt habe. Ich bereue nichts. Aber egal, dass ich nichts bereue- es tut trotzdem weh. Wie soll ich mein Leben danach führen? Wenn alles so leer ist, weil er nicht bei mir ist. Weil er nicht mit mir lacht. Weil er mich nicht aufmuntert. Weil er nicht verträumt in seinem Buch blättert. Weil er mich nicht aus meinen Tagesträumen holt. Weil er nicht seinen komischen ice tea bestellt. Weil er nicht über den See staunt... ich vermisse ihn jetzt schon. Dabei ist er noch direkt vor mir. Noch kann ich mit ihm reden. Aber schon in wenigen Monaten kann ich das nicht mehr. Genau aus diesem Grund war es die richtige Entscheidung, zu nicken. Damit ich das alles, was er noch machen kann, miterleben kann. Außerdem bin ich dankbar darüber, dass ich es bin. Dass er mich ausgewählt hat und seine kostbaren letzten Monate mit mir verbringen will. "Ich bin immer da. Auch dann, wenn du im Sterben liegst" verspreche ich ihm. Er wird leicht rot und lächelt mich an: "Danke."
Jedes Wort, welches er spricht, jede Bewegung, die er gerade tätigt und jeder Atemzug, den er gerade nimmt, schätze ich unglaublich. Zum Glück kann ich ihm noch meine Dankbarkeit zeigen. Wenigstens habe ich noch Zeit, bis ihn das Schicksal an sich reißt. "Ähm... Ayumu?" "Hm?" "Wirst du da sein, wenn ich meinen letzten Atemzug nehme?" Mir bleibt der Atem weg. "Wirst du in meinen Armen liegen, wenn mein Herz aufhört zu schlagen?" Warum sagt er sowas? "Wirst du meine letzte Sekunde mit einem Lächeln bescheren?" Lächeln? Wie soll ich da lächeln? Ist er verrückt geworden? Ich werde mir die Seele aus dem Leib heulen. Aber wenn das sein Wunsch ist, werde ich für ihn lächeln. Auch wenn ich weine. Ich werde danke sagen und lächeln. Auch wenn es das erste Mal seit ungefähr 4-5 Jahren sein wird, dass ich vor ihm lache. Ich werde ihm seinen Wunsch erfüllen und seine letzte Sekunde, seinen letzten Atemzug, seinen letzten Herzschlag mit einem Lächeln beschenken. "Ich werde da sein, in deinen Armen liegen und lächeln", verspreche ich ihm, "ich werde deinen Wunsch erfüllen."
DU LIEST GERADE
I promise, we'll meet again
Teen FictionHikari und Ayumu. Zwei Jungs. Zwei verschiedene Welten. Sie unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Aber ohne einander würden sie nicht existieren. Ayumu ist wie die Nacht. Still, leer, dennoch wunderschön. Hikari ist wie der Tag. Belebt, fröhlich, tr...