Chapter 4- Solitariness

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Ich wusste bereits, dass die Zeit wie im Flug vergehen wird, aber, dass zwei Wochen so schnell umgehen können, hätte ich nicht erwartet. Hikari wurde mittlerweile ins Krankenhaus eingewiesen. Ich habe ihn noch nicht besucht, da ich ihm erstmal die Chance geben wollte, dass er sich einfinden kann. Aber ich muss mein Versprechen halten. Also beschloss ich heute zu ihm zu gehen. Wie gesagt, so getan.

Als ich vor seiner Tür ankomme, rechne ich bereits damit, dass mein Bild von ihm in meinem Kopf mit Sicherheit auch nur noch in meinem Kopf sein wird. Sobald ich den Raum betrete, bestätigt sich dies. Er hat tiefe Augenringe und dünnere Handgelenke. Ich setze mich zu ihm. "Wie geht es dir?", frage ich ihn. "Wie solls mir gehen?" "Stimmt... blöde Frage.... tut mir lei-" "Ach was!!! Das war nur nen Scherz!!! Mir geht's blendend. Is nur etwas komisch, wenn ich jetzt nicht mehr einschlafen kann." Wie kann man selbst in so einer Situation noch so glücklich sein....? "Hast du Schmerzen?"
"Ne, mir geht's gut." Lüg doch nicht! Dir geht's nicht gut!!! "Wie geht's dir?", fragt er mich. "Wie immer." "Ich hab mal eine Frage..." "Was gibts?" "Warum lächelst du nie?" Warum fragt er mich das? Das war ihm doch vorher auch immer egal. Warum genau jetzt? "Keine Ahnung... ich habe nie wirklich einen Grund gehabt zu lachen." "Aber du musst doch keinen Grund haben! Du kannst einfach so lächeln! Und mit deinem Lächeln, schenkst du gleichzeitig anderen ein Lächeln", sagt er in aller Freude. "Und wenn du unbedingt einen Grund brauchst, dann lass mich zu dem Grund werden." "Das sagst du so leicht... Jedes Mal, wenn ich an dich denke, könnte ich anfangen zu weinen", antworte ich ihm. Gespielt wütend sieht er mich an und befiehlt mir: "Hör auf zu weinen! Das kannst du noch oft genug! Lachen! Das ist das, was du sollst!"

Und mal wieder verstreichen die Wochen wie ein Nichts. Und so wie die Zeit nunmal vergeht, ist auch schon das Nebuta Fest (das traditionelle Sommerfest in Japan, dass zwischen dem 2. und 7. August stattfindet). Jedoch fürchte ich, dass ich es dieses Jahr nicht feiern werde. Die letzten Jahre war ich immer mit Hikari dorthin gegangen. Doch aufgrund der Situation, wird es dieses Jahr ausfallen. Ich werde garantiert nicht alleine dorthin gehen.

Auch wenn es mir jedes Mal schwer fällt, gehe ich so oft wie möglich zu ihm ins Krankenhaus. "Na, wie geht's dir?", begrüßt er mich am heutigen Tage. "So wie immer." "Also eher so semi-gut... Wie sieht's aus? Gehst du zum Sommerfest?" Sofort schüttele ich meinen Kopf. "Ohne dich nie im Leben." "Wieso ohne mich?" Ich sehe ihn fragend an. "Also mal im Ernst. Laufen kann ich noch! Wir gehen da hin! Ich lasse mir doch das beste Essen auf Erden, die Atmosphäre und das Feuerwerk nur wegen so einer dummen Krankheit nicht verderben! Mein letztes Sommerfest möchte ich nicht nur vom Bett betrachten!"

Seine letztes Sommerfest... das klingt hart... ist es auch... zumindest für mich... vielleicht für ihn nicht schwer auszusprechen, jedoch für mich schwer anzuhören. Wie kann er dem Tod mit einem Lächeln entgegensehen?! Freut er sich etwa darüber, zu sterben? "Warum nimmst du deinen Tod nicht ernst?", frage ich ihn aus dem Nichts. Verwundert sieht er mich an und beginnt zu erklären: "Ich nehme ihn ernst. Aber Angst vor ihm bringt auch nichts. Ich hatte ein schönes Leben und deswegen ist der Tod doch nicht schlimm! Und ich weiß, dass ich den besten Freund, den man nur haben kann, an meiner Seite habe und er mir meine restliche Zeit bis zum Tod mit seiner Anwesenheit beschert." Wow. Er ist hat so schlaue Gedanken... und er ist so positiv gestimmt... Hoffentlich ist die Zeit mit mir nicht ganz so schlimm und er hat schöne Momente.

Also erfülle ich ihm seinen Wunsch und gehe mit ihm auf das Sommerfest. Der Kimono steht ihm echt gut. Er sieht aus, als würde er für ihn geschneidert worden sein. Dort angekommen, strahlen seine Augen, wie die eines kleinen Kindes. Und so benimmt er sich auch. Alle zwei Sekunden steht er bei einem neuen Stand und lässt sich von den vielen Angeboten überwältigen. Mit zwei Dangos in der Hand gehen wir in Richtung der Wiese. Als wir eine schöne Stelle gefunden haben, setzen wir uns und betrachten die Sterne, die heute besonders hell leuchten.

"Siehst du einen Stern, der heller scheint als die anderen?", fragt er mich. "Nein, wieso?" "Also ist dein Seelenverwandter noch lebendig." Ich nicke, ohne zu verstehen, aus welchem Grund er mir das gesagt hat.

Ein paar Minuten herrscht Schweigen. Plötzlich artikuliert er: "Wenn ich tot bin, gehört das Buch dir." Er redet von dem Buch "I promise, we'll meet again", während ich ihn ungläubig ansehe. "Wie kannst du einfach so darüber reden, dass du tot sein wirst?!" "Es lässt sich nicht ändern und außerdem stirbt doch jeder irgendwann. Außerdem hatte ich doch ein schönes Leben", erklärt er gleichgültig. Mehr oder weniger jedenfalls, denn er lächelt währenddessen.

Nun sieht er wieder in den fernen Sternenhimmel. Ich sehe auf seine Hand und überlege, sie zu nehmen. Ich weiß nicht, wie lange ich jetzt hier schon sitze und darüber nachdenke. Doch bevor ich mich entscheiden kann, zucke ich aufgrund des lauten Feuerwerks zusammen. Mit lautem Knallen erfüllt eins nach dem anderen den Himmel mit bunten, glitzernden Licht-Splittern.

Nicht nur der Himmel strahlt, sondern auch die Augen der Bildschönheit neben mir beginnen zu strahlen und ihre Mundwinkel heben sich. Ich merke wie die Wärme in meinem Kopf aufsteigt und ohne es zu wollen, heben sich meine Mundwinkel auch. Das muss ich genießen. Es ist schließlich das wahrscheinlich letzte Mal, dass ich mit ihm draußen war.

Er sagte mir doch, er wolle sein letztes Jahr mit mir verbringen. Jedoch haben wir die bisherigen Monate nur damit verbracht, dass er im Krankenhaus sitzt und ich mein Leben so führe, als wäre nichts. Doch dem ist nicht so. Nichts ist normal und das wird es auch nicht mehr. Mein Leben hat und wird sich stark verändern. Ich werde nicht mehr in den Sternenhimmel sehen, nicht mehr in Cafés gehen, nicht mehr Feuerwerke bestaunen, nicht mehr lächeln, nicht mehr in den Wald gehen und nicht mehr schlafen können, ohne an ihn zu denken. Er wird überall sein. Ich werde ihn immer neben mir sehen.

Jedoch werde ich realisieren müssen, dass er nur in meinem Kopf da ist und eigentlich bin ich einsam. Komplett einsam. Stille herrscht vielleicht nicht um mich herum, aber in mir. Ich werde keinen mehr zum zuhören haben. Seine teils nicht mal mehr lustigen Witze, machen mich dennoch glücklich, da es so süß ist, wie er darüber lacht und davon absieht, dass er nicht mal mehr lustig ist. Das alles wird nicht mehr da sein und ich muss mein Leben einsam führen.

Einsamkeit wird mich mein restliches Leben lang begleiten. Ich werde ihn dennoch überall sehen. Wie er auf dem Rand des Steges eines Sees inmitten eines dunklen Waldes sitzt und die Libellen beobachtet, wie sie von einem Seegrashalm zum anderen schwirren. Wie er auf seinem Lieblingsplatz in dem Café sitzt, mit seinem speziellen Getränk zu seiner Rechten und vor ihm das aufgeklappte Buch, welches er nun schon zum x-ten Mal liest. Wie er auf meinem Sofa liegt und eingeschlafen ist, während er einen Krimi im Fernsehen am laufen hat und "ganz aktiv" zusieht. Wie er mit mir im Yama-Store steht und Unmengen an Pocky-Sticks in den Korb legt und meint, er esse es alles alleine auf, was meistens erstaunlicherweise geklappt hat. Wie er mit mir unterwegs in den Sternenhimmel sieht. Das alles hat er irgendwann mal tun und es war möglicherweise auch schon das letzte Mal, dass er dies tut. Vielleicht ist nächste Woche schon seine Zeit vorbei. Ich werde ihn nie vergessen. Egal was sich mir in den Weg stellt. Er bleibt immer in meinem Herzen und ich werde seine beruhigende Wärme, seinen heimlichen Geruch, seine weiche Haut, seine strahlenden Augen und sein unglaubliches Lächeln nicht vergessen. Ich liebe ihn. Und Liebe vergisst man nicht einfach.

Ich werde meiner Liebe den Wunsch erfüllen, in seinem letzten Moment zu lächeln. Auch, wenn ich mir schon seit Wochen Gedanken über meine letzten Worte an ihn mache, werde ich diese spontan zusammenbringen. Die Worte, die ich meiner Liebe sage, während ich seine kalten Hände halte und in sein blasses Gesicht sehe, werden das letzte sein, dass er hört und er erweist mir die Ehre, diese auszusprechen. 'Stirb nicht', geht mir durch den Kopf während ich ihn ansehe. 'Verlass mich nicht alleine in dieser Welt...' Einsam. Ich werde einsam sein. So einsam, dass mich das Loch der Einsamkeit verschlingt. Ich liebe dich Hikari. Von ganzem Herzen. Verlass mich nicht. Lass mich nicht alleine.

I promise, we'll meet againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt