4 Drachen

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Ebenso wie Menschen waren Drachen recht verschieden, nicht nur was ihr Aussahen, sondern auch was ihre Umgangsformen und ihre Lebensweise anbelangte. Gemein war ihnen ihre Vorliebe Schätze, ihre Zuneigung zu für dunkle, höhlenartrigen Orten und ihr Drang einander sich zu beweisen. Daraus her resultierende Streitigkeiten machten ein Zusammenleben nicht immer einfach, dennoch lebten die meisten von ihnen in Gruppen, was eine notwendige Überlebensstrategie war.

Skrelle verschlang sein Essen geräuschvoll, sodass alle Anwesenden in der Höhle es mitbekamen. Zum Schluss legte er sich genüsslich das Blut von den Klauen. Auch an seinen schwarzen Schuppen klebte das Blut.

„Bist du endlich fertig mit der Schweinerei?", fragte Fiol angewidert. Im Gegensatz zu ihrem Mitbewohner befand sie sich momentan in Menschengestalt, vor allem, weil die Höhle nicht groß genug für mehrere ausgewachsene Drachen war. Sie verabscheute ihre Menschengestalt fast so sehr wie Skrelles Essverhalten. Wenn sie ihm bei seinen Mahlzeiten zusah, musste sie sich fast erbrechen. Außerdem hatte sie Angst um ihre halbwegs saubere Kleidung, eine zerschlissene Jeans, ein ausgeleiertes T-shirt sowie Turnschuhe, die früher einmal ganz weiß gewesen waren. Ihre braunen, harten Augen betrachteten Skrelle kritisch während sie überlegen ihre Dreadlocks über die Schulter warf.

„Ja, meine Liebste!" Skrelles grüne Augen funkelten angriffslustig. Er wusste, dass es Fiol provozierte, wenn er so tat als würde er mit ihr flirten. Es war nicht so, dass sie es nicht möchte - sie hasste es.

Fiol sprang auf, um sich auf ihn zu stürzen, obwohl Skrelle in seiner Drachengestalt eindeutig im Vorteil war. Sie kam jedoch nicht dazu ihre Aktion zuende zu fuhren, da zwei Arme sie von hinten packten und sie festhielten. Sie wehrte sich gegen den Griff, doch die Person, die sie von dem Ausleben ihres Ärgers zurückhielt, war stärker. „Lass mich los, Pokker, du elender Lindwurm!"

Pokker warf Skrelle einen warnenden Blick zu, was diesen davon abhielt in lautes Gelächter auszubrechen wie es eigentlich sein Plan gewesen war.

„Beruhig dich, Fiol. Spar deine Kräfte für andere Dinge." Wenn Pokker sprach kratzte seine Stimme heiser. Er ließ sie los. Fiol funkelte ihn an. „Wofür denn? Einen Kampf mit diesen nervigen Rittern? Die verspeise ich zum Frühstück!" Selbstsicher stemmte sie die Hände in die Seiten.

„Iiih! Du magst Menschenfleisch?"

„Hör mal, du Idiot, ich mag keine Menschen, nicht einmal essen."

Die Abneigung zwischen Drachen und Menschen beruhte auf Gegenseitigkeit. Die normalen Menschen wussten natürlich nicht, warum sie eine Abgneigung gegen die Drachen verspürten, da sie für sie wie Menschen aussahen, doch um sie herum schwebte eine Aura der Andersartigkeit, die Menschen auf Abstand hielt. Freundschaften zwischen Menschen und Drachen waren daher selten. Für die mystischen Wesen waren die Zweibeiner schwach und es nur wert beachtet zu werden, weil sie so zahlreich auftraten und Schätze besaßen, die es sich zu rauben lohnte.

„Bevor jetzt die Emotionen hochkochen", ein Mann mit fast weißem Haar trat in den Schein der Gaslampe, die in der Mitte des Raumes stand, „setzt euch lieber ruhig in verschiedene Ecken und versucht eure Energie für Sinnvolleres aufzuheben." Advarsel war nicht der ältese Drache in der Gruppe, das war Nifs, doch die anderem zollten ihm dennoch den Respekt eines Anführers. Meistens taten Drachen dies nur gegenüber des ältesten Wesens innerhalb der Gruppe, weil das die meiste Erfahrung besaß. Nifs war vierhunderdreiundsiebzig Jahre alt, Advarsel nur dreihunderundzwei. Beide sahen nicht viel älter aus als dreißig, wenn man von dem Weiß in ihrem Haar absah.

Fiol lief in die Ecke, in der ihre Schätze lagen und beschäftigte sich zur Beruhigung mit ihnen. Skrelle holte ein weiteres totes Tier hervor, drehte sich aber betont beim Essen von Fiol weg, damit sie ihm bei seinem Mahl nicht zusehen musste.

„Gut." Advarsels blaue Augen betrachteten Pokker. „Komm, ich möchte hören, was du zu berichten hast. ."

Der Jüngeren folgte dem Älteren zu dem Platz, an dem Nifs auf einem roten Stück Teppich saß. Der weibliche Drache hatte eine Vorliebe für Kleidungsstücke, die nicht zusammenpassten, in diesem Fall trug sie einen grünen Rock und einen hellblauen Pullover. Neben ihr saß Kun, der selten sprach und dessen Gesicht genauso verschlossen wirkte wie er war. Seine rötlichen Haare hielt er stets kurz und er trug gerne dunkle Hemden.

„Ein weiterer Silvesterabend. Ihr wisst, was das bedeutet?"

Die Anwesenden nickten als Antwort auf Advarsels Frage.

„Die Ritter werden viele neue Mitglieder rekrutiert haben, überall auf der Welt. Das ist auch bitter nötig, nachdem ihre Zahl im letzten Jahr mal wieder dramatisch reduziert wurde." Advarsel ließ dabei aus, dass sie an diesem Mitgliederschwund nicht ganz unbeteiligt waren.

„Ich weiß gar nicht, warum sie nicht endlich aufgeben, sie müssten langsam wissen, dass sie gegen uns keine Chance haben." Nifs kuckte verärgert und schob sich einen Bonbon in den Mund.

„Wenn sie in der Lage wären, das einzusehen, wären sie nicht schon seit so langer Zeit unsere Feinde."

„Feinde? Pah, widerliche Insekten sind sie!", verbesserte Nifs.

„Wie jedes Jahr, verschafft uns das neue Jahr eine Atempause. Sie müssen die Neuen erst einweisen. Dann werden sie strukturierter und mit größerer Zahl angreifen als zum Ende eines jeden Jahres. Wir sollten uns mit anderen Drachen treffen, denn in größerer Zahl, können wir ihre Zahl schneller reduzieren."

„Glaubst du, wir werden nicht mit ein paar albernen Leutchen in Ritterkostümen fertig?", fragte Fiol, die sich ohne Aufforderung zu ihnen gesellt hatte.

„Es wäre dumm, sie zu unterschätzen", sagte Advarsel mit warnendem Unterton.

Fiol atmete laut aus. „Es wäre auch dumm, sie zu überschätzen."

„Also, was wollte Vilje?", fuhr Advarsel an Pokker gewandt fort, ohne Fiol mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

„Er will, dass ich ihm Magie beschaffe."

Advarsel lächelte mitleidig. „Lass mich raten, diese Magie steckt in einem Menschen. Einem Zauberer."

„Richtig."

„Habe ich auch recht in der Annahme, dass er sie nutzen will, um uns endlich heimzuführen?" Das mitleidige Lächeln verließ Advarsels Gesicht nicht.

„Auch das ist korrekt."

„Nun, das ist nicht sein erster Versuch. Was hast du ihm geantwortet?"

„Das was jeder gute Sohn seinem Vater antwortet."

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