Prolog

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Die breite Krempe hüllte die Augen des Mannes, welche zwischen den langen Wimpern die Farbe von jungen Kastanien in sich trugen, in Schatten. Antony Clay zog den Hut trotzdem noch etwas weiter in sein Gesicht. Der Fedora wurde inzwischen von zahlreichen Narben im schwarzen Filz geziert, was jedoch bei der Hingabe, mit dem sein Besitzer ihn pflegte, nie jemandem aufgefallen war.  

Was den Leuten auffiel, war der lange Mantel – in einem ebenso dunklen Rotbraun wie seine Augen – und der altmodische Koffer, dessen Gewicht nun schwer in seiner Hand lag. Wenn die Leute fragten, sagte er, dass er ihn wegen des Lärms, den die Plastikräder verursachten, einem einfachen Trolley vorzog. Natürlich stimmte das nicht. Er hatte schlichtweg einen Sinn für Ästhetik. Doch die Menschen schluckten es. Sie erklärten sich seine Kleidung mit einem Tick – einer Vorliebe für vergangene Zeiten – und sein stetiges Schweigen mit Introvertiertheit. Die meisten konnten ihn so akzeptieren. Doch ihnen fiel auf, dass er irgendwie nicht dazu gehörte. Irgendwie anders war.

Menschen strömten Clay aus der U-Bahn-Station entgegen. Wie Ratten, dachte er bei sich und senkte den Blick, um sie nicht ansehen zu müssen. So sahen sie ihn auch nicht an. Ihre Blicke verfingen sich dann nicht in den geschminkten Augen oder an der Narbe an seinem Kinn. Wie aus Höflichkeit trat er ein paar Schritte beiseite, als sie an ihm vorbei in den Flughafen rauschten. Er hasste Touristen. Hatte noch nie verstanden, warum sie einen Ort kennen wollten, wenn sie nicht in ihm lebten. Solange bis ihre Lungen sich nach fremder Luft sehnten und ihre Zungen sich nach einem anderen Slang. Er wusste nicht, ob er London mögen würde. Er wusste, dass es viele vor ihm getan hatten. Doch ihm ging es nicht darum die Stadt zu mögen. Er wollte London spüren. Wollte sich an smoggetränkten Sommertagen im Pub Abkühlung verschaffen, während er und der Wirt sich über das Leben in den überfüllten Straßen beschwerten. Vielleicht würde er ihm sagen, dass er für eine Versicherung arbeitete. Oder für ein Reisebüro. Irgendetwas Langweiliges.

Seinen richtigen Beruf würde er nicht nennen. Auch wenn er der eigentliche Grund für London war. Ohne seinen Traumjob hätte er sich kaum durch den ganzen Papierkram geschlagen. Und besonders nicht durch die ganzen Anrufe. Zu Hause hatte man sich gesorgt. Er habe ja niemanden hier. Was nicht ganz stimmte. Antony wegen eines Mannes hier. Nicht so wie ihr jetzt denkt. Er hatte sich seit Ewigkeiten in niemanden mehr verliebt. Dennoch war er der Grund für die Aufregung gewesen, nicht die neue Stadt. An diese würde er sich schon noch gewöhnen, ob er sie nun auch mochte oder nicht. Doch er hatte einmal gehört, dass man sich nicht an seine Idole gewöhnte. Auch wenn man mit ihnen arbeitete. Falls das stimmte würde er sich an ihn niemals gewöhnen können.

Das Herz schlug ihm laut in der Brust, als er mit eilenden Schritten die Treppe zum Bahnsteig passierte. Eine Neonröhre flackerte und ließ die langen Schatten der Reisenden an den Wänden tanzen. Antony musste bei dem Anblick unweigerlich an Fackeln und die abstrakten Zeichnungen von Pferden an unbehandelten Höhlenwänden denken. Was so gar nicht zu dem kalten Licht und dem Lärm passte, die die unterirdische Station erfüllten. Zwei Minuten noch. So lange, sagten die elektronischen Anzeigetafeln, würde es dauern. Dann würde er von diesem gottverdammten Flughafen weg sein. Und kurz darauf würde sein neues Leben beginnen, als hätte es sein Altes nie gegeben.

Von einer Sekunde auf die Andere hörte Clay die Gespräche, die in zig verschiedenen Sprachen geführt wurden kaum noch. Ignorierte den Geruch nach Schweiß, Rauch und Nässe. Seine ganze Aufmerksamkeit war dem kurzen Läuten gewidmet, welches er zuerst nicht ganz hatte zuordnen können. Mit langen Fingern zog er sein Handy aus einer der inneren Manteltaschen. Selbst jenes war alt und hatte seit Ewigkeiten keinen Ton mehr von sich gegeben. Ihm fiel nicht einmal jemand ein, der die Nummer besaß. Wenn er es sich richtig überlegte, war es seit Ewigkeiten schon gar nicht mehr an gewesen. Wieso sollte es auch, wenn er eh nie jemanden hatte, mit dem er sprechen wollte? So gingen die Tasten nur schwerfällig, als er sich zur Nachricht durchklickte.

Hätte dich etwas weniger antik erwartet, Honey.

Wir sehen uns heute Abend. Du weißt wo.

JM


Mr. Sandman (Johnlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt