Kapitel 1

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Kaltes Licht flackte in seinen Augen. Blaue und grüne Farbwirbel lagen in der Iris nebeneinander, wie feuchte Wasserfarben. In ihnen spiegelte sich die Uniform des Mannes wider und eine Waffe, welche er in perfekter Manier vor sich hielt. Als würde er allein durch eine vollkommene Disziplin die Welt vor den Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses schützen können. Der Uniformierte hatte einen denkbar schlechten Morgen gehabt. Hatte verschlafen, kaum gefrühstückt und dann war ihm der schwarze Kaffee über sein bereits angezogenes weißes Hemd gelaufen. Sherlock brauchte kaum einen Blick, um das zu sehen. Er las aus den Bartstoppeln nahe seines rechten Ohrs, aus den Falten, die das Hemd des Mannes an seinen Schultern warf und aus den Flecken auf dem Hosenbund, obwohl sie auf dem schwarzen Stoff kaum zu erkennen waren. Die Schludrigkeit musste ihm peinlich sein. Wenn es nach seinen auf Hochglanz polierten Schuhen ging, dem regelmäßig gefetteten Gürtel und der etwas zu aufrechten Haltung, tat er ansonsten alles, um bei seiner Arbeit ein perfektes Bild abzuliefern.

Sie kannten ihn hier bereits. Für das was vor knapp zwei Monaten geschehen war, war er doch recht oft hier gewesen. Wie eine sich langsam aufbauende Sucht – was bei ihm nicht unüblich wäre. Doch er erkannte etwas anderes in seinen Besuchen. Eine Bürde, die er freiwillig auf sich nahm, doch gegen die sich ein kleiner Teil von ihm, so sehr er es auch zu verhindern versuchte, immer wieder sträubte.

Die Plastikkarte gab ein schneidendes Geräusch von sich, als sie durch den Schlitz an der Tür gezogen wurde – falls man die gut 20 Centimeter dicke Stahlwand, welche sich auf Befehl auf und zuschob, so nennen wollte. Als er zum ersten Mal hier gewesen war, hatte er nicht gewusst, was ihn erwarten würde. Ja, er hatte sie davor gesehen. Doch dort hatte sie gewusst, dass er sie nicht erkannte. Sie hatte mit ihm gespielt. Und er hatte nicht gewusst, dass sie es immer noch tat.

Die Tür öffnete sich mit einem maschinellen Rauschen. Es klang schwerfällig, aber auch verheißungsvoll und ein wenig angsteinflößend. Er hasste es. Der Geruch in dem Raum war anders. Als könnte hier Reinigungs- und Desinfektionsmittel den Geruch nach Wahnsinn etwas weniger überdecken.

Sein Blick suchte die Spiegelungen an der Fensterscheibe, um sich an ihnen festzuhalten. Nur für einen kurzen Moment, bevor er weiter zu der Gestalt seiner Schwester glitt. Eurus griff nach Violine und Bogen. Beides lag direkt neben ihr. Nicht viel Kolophonium hatte die Saiten oberhalb des Steges weiß gefärbt, doch die Rückbestände waren noch frisch. Die Geige war erst vor kurzem gestimmt worden. Sie hatte gewusst, dass er kam. Natürlich hatte sie das.

Er ließ die Schnallen des schwarzen Geigenkastens hochschnellen. Das Klacken, das sie verursachten, hallte laut durch die Stille des Raumes. Er legte das Instrument an seine Schulter, griff nach dem Bogen und strich probeweise über die Saiten. Sie hatten sich auf den Weg hierhin kein bisschen verstimmt. Eurus hob ihre Stradivari hoch und die Finger auf das Griffbrett, als würde sie seine Position nachahmen wollen.

Sherlock schloss die Augen. Konzentrierte sich auf sich, weil er sich in der Musik wiederfinden musste. Ansonsten würde sie ihm nicht antworten. Dann begann er zu spielen. Es dauerte nur vier Sekunden, bis seine Schwester es ihm gleichtat. Es war kein Duett. Denn dann hätte es ihn nie Überwindung gekostet. Es war eine Unterhaltung. Eine Unterhaltung mit der vermutlich gefährlichsten Frau der Welt. Aber es war auch eine Unterhaltung mit seiner Schwester.

Hagelkörner klopften wie hauchdünne Glassplitter an die Fenster der 221b Baker Street. Der herannahende Winter hatte mit seinem Frost Muster auf das Glas gemalt und war durch Tür- und Fensterritzen bis in das Wohnzimmer gekrochen, wo es nach Wandfarbe roch und die alte Unordnung noch nicht ganz wieder hergestellt war. An dem grauen Nachmittag, von dem ich spreche, war es so kalt, dass Flammen im Kamin züngelten und John Watson sich auf seinem Sessel in eine grün-rote Wolldecke eingehüllt hatte. Da so gut wie nie Feuer im Kamin brannte, hatte er eine halbe Ewigkeit gebraucht, um Anmachholz und Streichhölzer zusammen zu suchen und dachte sich, er habe nun einen friedlichen Abend verdient. Zumal er sich seit dem Morgen mit Maklern und möglichen Käufern rumgeschlagen hatte, welche es mit ihrem vielen Gerede beinahe geschafft hatten ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Mr. Sandman (Johnlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt