Kapitel 7

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Der Wind, welcher in dieser Dezembernacht um das Anwesen der Holmes' strich, war fast so kalt wie die alten Backsteine, aus denen es gebaut war. Kaum ein Stern spiegelte sich in den grau-braunen Pfützen wider, die den Garten und die umliegenden Wiesen einnahmen, denn der Himmel hatte sich in graue Schichtwolken gehüllt. Und so verschlang die Nacht das Land in einem derart düsteren Blauschwarz, dass sich die Umrisse der Bäume, Sträucher und selbst der des Hollandfahrrads, das seit Monaten an der niedrigen Mauer lehnte, kaum von ihrer Umgebung abhoben. So mussten sich auch Johns Augen zuerst an die Düsternis gewöhnen, bevor er die Gestalt wahrnahm, welche einige Meter vom Anwesen entfernt stand und in die trübe Nacht blickte.

Er griff sich seine Schuhe und quetschte seine Füße hinein, ohne sich die Mühe des Auf- und wieder Zubindens zu machen. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und durch den dünnen Stoff seiner Hose konnte er Gräser und kleine, niedrige Äste spüren, die seine Beine streiften. Die Pflastersteine waren glatt vom Regen und als er das kleine Tor öffnete und auf die Wiese hinaustrat, gab der aufgeweichte Boden unter jedem seiner Schritte ein wenig nach.

Sherlock wandte sich seinem Mitbewohner zu. Eine langsame Bewegung, als hätte er sich vorher überlegt, ob sie wirklich von Nöten sei, da er ohnehin jeden hier ohne auch nur einen einzigen Blick erkennen konnte.

„So genervt von Ihrer Familie, dass Sie ins Kalte flüchten?"

Der Anflug eines Grinsens schlich über das Gesicht des Detektives. Sein langer Mantel wogte leicht im eisigen Wind, der auch mit den tiefschwarzen Locken spielte.

„Ich flüchte nicht. Ich gebe mir nur regulierte Pausen.", antwortete er und John lachte kurz und leise, bevor er sich neben ihn stellte und der facettenlosen Dunkelheit sein Gesicht zuwandte. Eine ganze Weile lauschten sie bloß dem Zirpen der Grillen und dem Spiel von Blättern und Wind. Ohne die gewohnten Abgase strömte die Luft fast schon stechend klar durch ihre Lungen.

„Wollen wir ein Stück gehen?"

Sherlock musste Johns Zweifel gespürt haben, denn kurz darauf fügte er hinzu: „Keine Sorge. Ich würde die Wege hier auch finden, wenn ich taub und blind wäre."

„Wenn das so ist, folge ich Ihnen."

Mit jedem Schritt tastete John sich weiter voran. Nur ab und zu konnte er Sherlock vor ihm in der Düsternis ausmachen. Er fühlte sich wie ein Jugendlicher inmitten einer dummen Mutprobe. Für einen Moment schlug ihn die Situation zurück in die Vergangenheit. In jener Nacht muss er vierzehn gewesen sein. Doch wenn er daran zurückdachte, war dort nichts anderes als Harrys abwertender Blick. Der Hass in ihren Augen. Wie stark er sie geglaubt hatte.

Nach einiger Zeit konnte er auch das Schnüffeln von Tieren und das stetig lauter werdende Sprudeln eines Bachlaufes hören. Zu mindestens glaubte er, dass diese Dinge, genauso wie der Geruch nach modrigem Wasser, da waren, wo doch die Nacht immer noch ihre Geheimnisse vor jedem von uns verbirgt.

Die Kälte nagte an ihm und er war in so viele Pfützen getreten, dass seine Socken mehr als ein wenig feucht waren. Objektiv wissen, warum er das hier tat, tat er nicht ganz. Aber irgendein naiver Gedanke in ihm hatte zu einem nächtlichen Spaziergang mit Sherlock nicht Nein sagen können. Morgen würde er das hier alles sicherlich ziemlich albern finden. Er hatte keinen Schimmer davon, was Sherlock denken würde. Er wusste ja nicht einmal, was Sherlock im Moment vorhatte; wo sie überhaupt hingingen.

Mit einem Mal blieb er an einer der Wurzeln hängen und machte sich schon beim Stolpern auf die unangenehme Landung im Schlamm gefasst. Doch im Fall ergriffen seine suchenden Hände morsches Holz, durchnässt und mit kühlen Moos überzogen, und klammerten sich daran fest. Er spürte Sherlocks musternden Blick auf sich liegen, ehe er die Zeit gehabt hatte, sich aufzurichten.

Der Detektiv streifte sich den Mantel von den Schultern und breitete ihn auf der kleinen Brücke aus, auf der sie sich befanden. Er wirkte fast schon unbeholfen, wie er sich auf die improvisierte Decke hockte und zum freien Platz neben ihm nickte. Seine kaum zu definierenden Züge beinahe verletzlich. John ließ sich vorsichtig neben ihm nieder und legte seine Arme auf dem Geländer vor ihnen ab.

„Wieso sind wir hier?" Er stellte die Frage, als würde er mit einem Fremdem sprechen. Vielleicht tat er das ja auch. Wie sehr kannte er den Mann neben ihm wirklich; nach alldem, was passiert war?

„Das hier ist der vielleicht Interessanteste Ort in direkter Nähe zum Haus. Und glauben Sie mir, ich habe wirklich lange die Gegend durchstreift, bevor ich mich den ersten Mordfällen angenommen habe." John schmunzelte und er wusste, dass Sherlock es ihm gleichtat.

„Sind Sie deswegen etwa nach London gekommen? Wegen der höheren Mordrate?" John wusste nicht, ob seine Frage Ironie war. Vielleicht war sie der Wahrheit ziemlich nah.

„Vielleicht war das tatsächlich einer der Gründe. Aber nein. Als ich das erste Mal in London war, hat die Lebendigkeit der Stadt mich beinahe erschlagen. Sie hat ihre eigenen Regeln. Beherbergt unzählige Schicksale. Und am Ende ist es doch nur ein sehr feines Netz, das ein geübter Verstand zu durchschauen weiß. Hier schläft alles. Die Bäume, die Erde, das Wasser. Selbst die meisten Menschen."

Der Mond schob sich, wie zum Prostest, zwischen den Wolken hervor und ließ sein Licht tausendfach vom Wasser reflektieren.

John bedachte die Worte, ohne eine Antwort darauf zu finden. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass Sherlock den Blick senkte und seine Hände sorgsam in den Schoß legte.

„Es tut mir leid, dass meine Eltern Sie so oft nach Mary gefragt haben. Sie wissen ja, wie das mit der Familie bei uns ist. Da redet man nicht so gerne drüber." Eine Pause entstand, in der sich Johns Körper anspannte und seine Gedanken aus ihrem Paradies gerissen worden. Wie ein Fluchteffekt, ausgelöst durch den Namen seiner verstorbenen Ehefrau.

„Ist schon gut. Sowas tun normale Menschen nun mal. Das liegt daran, dass sie unterbewusst genau so große Arschlöcher sind, wie Sie es manchmal sein können." Es brauchte keine Sekunde, bis er kapiert hatte, was er gerade gesagt hatte und schon stammelte er etwas betreten eine Entschuldigung. Doch sein Mitbewohner winkte ab.

„Ich kann Sie ja verstehen. Aber wenn Sie schon darauf bestehen, mich und meine Eltern zu beleidigen, lassen Sie wenigstens die Höflichkeitsfloskeln." Obwohl es ihm schwer fiel sich nicht im Grün und Blau zu verlieren, versuchte John dem Blick für einige Sekunden Stand zu halten.

„Wir sind jetzt also per Du?"

„Ich habe mit dir Aschenbecher aus dem Buckingham Palace geklaut und uns in ein Tierversuchslabor eingeschmuggelt. Man könnte meinen, es wäre langsam mal angebracht." John spürte wie sein Leben für einen Moment leicht wurde, bevor es wieder ins Stocken geriet.

„Was ist los?", fragte Sherlock sofort.

„Nichts. Ich bilde mir nur Sachen ein. Augen und Schritte in der Dunkelheit. Vermutlich bin ich nun einfach schon zu lange den blinkenden Lichtern der Großstadt ausgesetzt. Ich vermisse sie." Der Detektiv musterte die Nacht. Sein Gesicht war nun angespannt, der Blick wachsamer als zuvor.

„Lass uns zurück gehen. Ich glaube, es fängt ohnehin an zu regnen." John rappelte sich verdutzt auf.

„Wollen Sie...Ich meine, willst du mir nicht verraten, was los ist. Ich denke wirklich, ich habe es mir eingebildet. Wieso sollte hier denn schon jemand sein? Sherlock?"

Doch Sherlock hatte sich schon wieder seinen Mantel umgeschwungen und war voraus in die Dunkelheit gegangen. Der Regen prasselte nun wirklich auf sie nieder und nahm immer weiter zu, während sie zurück zum Anwesen gingen.

„Das sind die einzigen Momente in denen ich meinen Bruder wirklich mal vermissen könnte.", murrte er und John musste unwillkürlich lachen. Als sie am Haus ankamen schüttete es bereits und Mycroft musterte sie beide abwertend, als sie sich an ihm vorbei die Treppe hinauf zu ihren Schlafzimmern drängten.

Vielleicht habt ihr auch mitbekommen, dass vor vier Tagen die Schauspielerin von Mrs. Hudson gestorben ist. Sie hat die Rolle wundervoll verkörpert und schien mir immer ein sehr einzigartiger Mensch zu sein. 

Ruhe in Frieden Una Stubbs.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 16, 2021 ⏰

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Mr. Sandman (Johnlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt