Kapitel 3

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Helles Licht strömte durch die Fenster zu seiner Linken und ließ den Boden in einem grellen weiß leuchten. Mit seiner klinischen Sauberkeit strahlte er eine Kälte aus, die die Holzvertäfelung an den Wänden nicht ganz aufheben konnte. Sherlock versuchte sich zu konzentrieren, doch die Türen an der rechten Seite des Ganges verschwammen immer wieder vor seinen Augen und er konnte sich nicht mehr ganz entsinnen, wohin er überhaupt hatte gehen wollen. Erschöpft sank er an einer Wand zusammen und stützte den Kopf in beide Hände.

Sand.

Er hatte über den Sand nachdenken wollen, bevor er in den tiefen Gängen aus Erinnerung und Wissen herumgeirrt war. Irgendwo in seinem Kopf pochte es. Er tauchte den Gang für einen Moment in Schwärze, in der Hoffnung, dass der Schmerz dadurch verschwinden würde. Das hier führte zu nichts. Er würde noch einmal anfangen müssen.

Dann würde er sich konzentrieren.

Ein neuer Raum baute sich vor seinen Augen auf. Es war sein Leichenschauraum. In der Mitte ein Tisch, dessen metallene Oberfläche in der Kälte des Lichts schimmerte. Darauf der Leichnam des jungen Mannes. Nackt und nur ab der schmalen Taille von einem weißen Tuch verdeckt. Sherlock trat näher. Betrachtete den feinen Sand in seinen Augen. Was gab es da?

Sand, der

Substantiv, maskulin

Eine feinkörnige, lockere Substanz, die aus verwittertem Stein – meist Quarz – besteht. Gröber als Schluff und feiner als Kies.

Sandpapier. Sandstein. Sandsturm. Sanduhr. Sandgräber. Nein. Er schüttelte den Kopf und die Wörter von seiner Bildfläche. Sandmann?

Europäische Sagengestalt, die Kindern Sand in die Augen streut damit sie einschlafen und Träume entstehen lässt.

Zu lieb. Es ging um einen Mord.

Der Sandmann – E. T. A. Hoffmann. Deutsche Erzählung. Schwarze Romantik. Der Sandmann wird als eine Legende vom bösen Mann dargestellt, der Kindern Hände voll Sand in die Augen wirft, bis sie blutig zum Kopf rausspringen, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen. Er verfüttert sie dann an seine Kinder, die sie mit ihren krummen Schnäbeln verschlingen.

Etwas unzufrieden schob Sherlock auch diese Idee beiseite. Er spürte wie ein anderer Gedanke sich einen Weg zu ihm bahnte. Er hatte ihn schon viel zu oft angefangen zu denken und noch viel öfter verdrängt. Er blickte von der Leiche auf. Ihm gegenüber – auf der anderen Seite des Tisches – stand Eurus und sah in aus ihren durchdringenden Augen an.

„Emotionaler Kontext, Sherlock. Der macht dich jedes Mal kaputt."

Seine Hände begannen zu zittern. Sein Herz schlug schneller. Im nächsten Moment war er wieder an dem gleichen Ort, an dem er auch vor zwei Monaten gestanden hatte. Und seitdem in Gedanken immer wieder. Statt auf die Leiche blickte er nun auf einen geschlossenen Sarg. Die Wände waren in genau demselben dunklen grau wie der Boden. Sherlock schaffte es nicht, seinen Blick von der Plakette abzuwenden. Tiefschwarze Lettern auf ewig ins Metall gebrannt.

Ich liebe dich.

„Also ist es für jemanden der jemanden liebt.", sagte Johns Stimme in seinem Kopf. Als er sich ihren Klang in Erinnerung rief, musste er unwillkürlich lächeln. Ob er nur so unwissend getan hatte? Weil er vom ersten Moment an gewusst hatte für wen der Sarg eigentlich war?

„Der ist für jemanden der Sherlock liebt.", antwortete die Stimme seines Bruders.

„Es geht hier um dich. Bei allem hier. Also, wer liebt dich?"

Mr. Sandman (Johnlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt