𝐕𝐈𝐈; 𝐬𝐞𝐯𝐞𝐧

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Grace Bree Thompson

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Langsam laufe ich in Richtung meines Colleges – der Oxford University – und umgreife die Träger meines Rucksackes immer stärker. Später werden sie bestimmt Falten oder zumindest Wiedererkennungen haben, weil ich sie so zusammenquetsche. Und das wird Tante Brielle bestimmt – wie so vieles, was ich gerne machen würde – nicht gutheißen. Aber ich bin einfach viel zu aufgeregt, um nicht mit meinen vor Aufregung leicht feuchten Händen an die Träger meines Rucksackes zu greifen.

Ich hoffe, sie wird das verstehen. Schließlich war sie auch mal jung. Außerdem ist das jetzt endlich ein Neustart. Mein langersehnter Neustart. Endlich kann ich meine Vergangenheit hinter mir lassen. Hinter mir in dem kleinen Ort East Peckham. Endlich fängt mein Leben wieder an. Zumindest hoffe ich das.

Doch als ich an einer der vielen Kreuzungen in London ankomme, stockt mein Herz plötzlich und droht hinzufallen und nicht mehr aufzustehen. Mein Atem geht plötzlich stockweise und als ich die ganzen Autos sehe, die schnell an mir vorbeirasen, drohe ich den Halt zu verlieren.

Mein Herzschlag geht jetzt plötzlich doppelt so schnell und meine Atmung ist nicht mehr stockweise, sondern hat fast komplett ausgesetzt. Alle Bilder prasseln wieder auf mich ein und die Schmerzen machen sich in mir breit. Mein ganzer Körper schmerzt und ich stolpere perplex ein paar Schritte zurück. Ein beklemmendes Gefühl, das meine Atmung blockiert, breitet sich zusätzlich zu den Schmerzen immer weiter aus.

Und dieses Gefühl kenne ich nur zu gut. Ich habe es ganze zwei Jahre lang verspürt. Ganze zwei Jahre, die ich noch in East Peckham verbringen musste, bis ich endlich hierher gehen konnte. Ein Gefühl, dass ich hinter mir lassen wollte. All die Schuld, die ich hinter mir lassen wollte. Aber so langsam bezweifle ich, dass ich sie hinter mir lassen kann.

Denn wie soll ich etwas hinter mir lassen, wenn ich immer noch genauso viel Angst vor Straßenkreuzungen und schnellen Autos habe, wie zuvor auch. Und dann begebe ich mich auch noch in eine Stadt, voller Straßenkreuzungen und schnellen Autos, um dort zu studieren. Eine sehr schlaue Idee. Wirklich, sehr schlau.

Außerdem, wie soll das funktionieren, wenn mir meine Tante jeden verdammten Tag seit zwei Jahren vorwirft, ihre Schwester – der ich »leider« sehr ähnlichsehe –, sowie meinen Vater, also ihren Schwager, getötet zu haben?! Dabei stimmt das gar nicht. Das was der Wahrheit entspricht, ist, dass ich die beiden auf etwas angesprochen habe, woraufhin eine kleine Diskussion zwischen uns entstanden ist. Mein Dad am Steuer war kurz nicht aufmerksam und hat nicht bemerkt, wie ein anderes Auto mit einem betrunkenen Fahrer von der Seite auf uns zugefahren ist. Danach ging alles ganz schnell. Wie wurden gerammt, haben uns überschlagen und dann... dann weiß ich nicht mehr weiter. Das Einzige was ich noch weiß, ist, dass ich danach in einem weißen Raum aufgewacht bin. Ich war die einzige Überlebende, was alles andere als fair ist. Mum und Dad hatten das nicht verdient.

Langsam beruhige ich mich wieder und setzte meinen Weg zur Oxford University fort. Bevor ich das Gebäude jedoch betrete atme ich die Luft auf dem Campus noch einmal tief ein und aus. Meine Eltern haben auch hier studiert und sich hier kennengelernt; diese letzte Ehre muss ich ihnen noch erfüllen, wenn ich schon ihr Leben gestohlen habe. Und wer weiß? Vielleicht finde ich ja auch, wie sie, meine große Liebe hier auf dem Campus?

Mit diesem Gedanken setzte ich mich in Bewegung und gehe in meinen Hörsaal, der schon gut gefüllt ist. Ein Sitzplatz fällt mir direkt ins Auge, weshalb ich mich auch sofort dorthin bewege. Kaum bin ich dort angekommen, setzte ich mich mit einem leichten Lächeln in die vorletzte Reihe, in der bereits drei Jungen und drei Mädchen in meinem Alter sitzen. Doch mein Lächeln verblasst auch direkt wieder, als ich bemerke, dass meine Eltern vielleicht mal auf diesem Platz in diesem Hörsaal gesessen haben könnten und meine Schuldgefühle erneut hochkommen.

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broken souls | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt