Kapitel 33: Eine Vermutung

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Wenige Stunden später saßen Lucius und ich zusammen mit unseren Freunden vor der Waldhütte bei einem Lagerfeuer. Ich war wieder einmal völlig von dem knisternden Feuer im Bann gezogen worden, als mich Silas Stimme aufschrecken ließ.

"Na, was habt ihr beide denn vorhin solange gemacht? So ganz allein?" seine Stimme klang amüsiert und durch sein schiefes Grinsen merkte ich, dass er uns bloß ärgern wollte. Isabella, die meistens sehr ruhig war, meldete sich auch zu Wort.

"Die beiden haben es sich verdient hin und wieder ganz allein zu sein. Und das ist in diesem Wald wirklich sehr schwer. Glaub mir."

"Ich kann mir vorstellen dass du recht hast, aber ich habe ja niemanden mit dem ich allein sein möchte, und werde es vermutlich auch nie." entgegnete der Wolf.

Ich wurde durch diese Worte an das Band zwischen Silas und mir erinnert. Würde das bedeuten, dass er sich niemals verlieben würde? Aber welche Frau würde es schon akzeptieren, dass seine Seelengefährtin eine andere war? Ich konnte mich glücklich schätzen, dass Silas Lucius an meiner Seite akzeptierte. Doch ich fände es sehr traurig, wenn er niemals die Liebe finden würde.

"Wenn du jemanden zum allein sein suchst, kann ich hin und wieder auch mit dir im Wald verschwinden." Lucius Scherz holte mich wieder aus meinen Gedanken zurück und für eine Sekunde sah ich meinen Vampir geschockt an. Ebenso wie der Werwolf, doch im nächsten Moment lachten wir beide.

"Von wegen, als wenn du dich auch nur eine Nacht von ihr los reißen könntest." gab Silas lachend als Antwort. Und auch wir mussten grinsen. Lucius hatte einen Arm um meine Schultern gelegt und mit dem Rücken lehnte ich sanft an seinem Oberkörper. Es war wahr. Wenn wir beide wach waren, waren wir unzertrennlich.

"Ich freue mich sehr für euch beide." sagte Isabella und ich lächelte ihr dankbar zu.
Ich konnte mir gar nicht vorstellen wie es für sie sein musste, getrennt von ihrem Mann zu sein. Die Sehnsucht müsste sie doch verzehren. Wie lange die beiden wohl schon zusammen waren? Und wann würde Lestat zurück kommen? Ob Lene auch wieder zurück kommen würde?

Wieder einmal versank ich ganz in meiner Gedankenwelt. Das tat ich so oft, und bemerkte dann kaum mehr was um mich herum passierte. Das einzige was ich mitbekam, war wie sich Lucius und Silas wohl angeregt unterhielten, Isabella still wie fast immer war, und Marita... Ja, wo war eigentlich Marita?

Ich löste mich etwas von Lucius und begann mit meinen Augen die Wiese vor der Hütte abzusuchen. Sie war nicht da. Deshalb stand ich auf und ging zur Hütte, um drarin nach ihr zu suchen, aber auch hier war sie nicht.

"Leute, Marita ist weg."

"Quatsch, ich bin doch hier!" kicherte sie plötzlich neben mir. Wo war sie denn so schnell her gekommen? Ich hatte sie überall gesucht und auf einmal tauchte sie wie aus dem Nichts neben mir auf?

Mit einem Korb ging die Hexe zu den anderen ans Lagerfeuer und ich folgte ihr. In dem Korb waren vielerlei Früchte, also meine einzige Nahrungsquelle in dieser Wildnis.

Während ich einige Beeren aß, schaute ich durch die gemütliche Runde, und entschied mich dafür dass jetzt der perfekte Moment gekommen war. "Ähm, Lucius und ich müssen euch etwas sagen..." begann ich dann, und sofort schenkten unsere Freunde mir ihre volle Aufmerksamkeit.

"Jetzt sag nicht du bist schwanger und bekommst ein mystisches Vampirbaby oder so." Alle vier schauten wir Silas perplex an. Wie kam er denn nur auf so eine absurde Idee? Ein Baby? Das war doch lächerlich. Konnten Vampire überhaupt... Naja egal das war ein Thema für ein anderes Mal.

"Du Idiot. Natürlich nicht!" Lucius warf einen kleinen Zweig nach ihm, den mein Bruder geschickt auswich. Es brachte mich zum Schmunzeln, wenn ich den beiden Männern dabei zusehen konnte, wie sie sich neckten wie zwei gute Freunde die sich schon ihr Leben lang kannten.

"Was wollt ihr uns denn sagen?" fragte Isabella noch einmal nach und die Zwei wurden wieder ruhig. Ich bemerkte Lucius besorgten Blick, aber es für uns zu behalten, hielt ich nicht für richtig.

"Lucius hat etwas bemerkt, in meinen Blut. Also... anscheinend bin ich nicht vollkommen menschlich." begann ich zu erklären.

"Was soll das bedeuten?" fragte Silas verwirrt.

"Was hast du geschmeckt?" fragte nun Marita an dem Vampir gewandt, dieser zuckte aber ahnungslos mit seinen Schultern.

"Ich weiß es nicht. Ich konnte ihrem Geschmack keinen anderen Wesen zuordnen. Aber da ist noch etwas anderes..."

Lucius erzählte ihnen dann wie schnell der Werwolfsbiss doch verheilt war, nachdem er mein Blut getrunken hatte. Und dann auch von seinem Erlebnis in der Sonne. Silas, Isabella und Marita hingen förmlich an seinen Lippen und waren sprachlos als sie hörten was mein Blut anscheinend bewirkte.

Marita stand plötzlich wie von einer Biene gestochen auf und stürzte in die Hütte. Was hatte sie denn?

"Deshalb wolltest du nicht dass ich ihr Blut bekomme?" fragte Isabella ihren Sohn, der sogleich nickte.

"Ich musste es zuerst mit Luana unter vier Augen klären. Es wäre nicht fair ihr gegenüber gewesen. Und du weißt jetzt, was möglich sein kann. Aber... Es darf niemand erfahren. Wenn uns jemand im Sonnenlicht sieht, dann müssen wir uns eine Ausrede einfallen lassen." erklärte Lucius und Isabella nickte.

"Aber was bist du denn dann nun? Ich dachte immer du bist ein Mensch mit Fähigkeiten. Ein Medium eben. Aber dass du was anderes sein sollst, ist auch mir völlig neu." Silas schien sichtlich verwirrt. Ich rückte näher an ihn heran und legte meine Hand beruhigend auf seinen Arm.

"Vermutlich war es mir auch vor dem Verlust meiner Erinnerungen, nicht klar dass ich mehr bin als ein Mensch." Nun legte Silas seine andere Hand auf meine und wir schauten uns einige Sekunden lang in die Augen bevor uns Marita unterbrach, die mit einem Buch wieder zu uns stürmte.

"Ich habe da eine Vermutung!" offenbarte sie uns plötzlich. Was denn für eine Vermutung? Ich war überaus neugierig was sie in diesem Buch gefunden hatte, doch ehe einer von uns nachfragen konnte, begann die Hexe vorzulesen.

"Nephelin haben besondere Kräfte. Zunächst wirken sie wie ganz normale Menschen, aber im Laufe ihres Lebens entdecken sie besondere Gaben. Die meisten erfahren nie, was sie wirklich sind. Man munkelt, Nephelin haben Heilkräfte, die Wunder bewirken und die Fähigkeit mit der Tierwelt zu kommunizieren. Sogar auf dunkle Wesen scheinen sie einen besonderen Einfluß zu haben."

Gespannt hörte ich jedes einzelne Wort aus dem Mund der Hexe und musste zugeben, dass diese Beschreibung durchaus auf mich zutreffen konnte. Doch der Begriff des Wesens sagte mir überhaupt nichts.

"Und was ist ein Nephelin?" fragte ich ahnungslos. Alle sahen mich perplex an und mir wurde ganz komisch. Selbst Lucius sah mich plötzlich völlig merkwürdig an. Aber warum? Dieses Wesen hörte sich doch gut an. Warum also waren sie alle so geschockt?

"Luana." begann Lucius. Er zog mich zu sich und nahm meine Hand, während er seinen anderen Arm um meine Hüfte legte, so als wolle er mich stützen. "Ein Nephelin ist ein Halbengel."

Luana, Gefangene des ÜbernatürlichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt