-4-

477 9 0
                                    

Finstere, beinah schon schwarze Wolken verdunkelten den Himmel, welcher zuvor noch in einem faszinierenden Blau gewesen war. Die Sonne verschwand unter den dichten Nebelschleiern, die das angebliche Gefühl der Sicherheit nicht wieder zurückgeben würde. Zuvor waren die Lichtstrahlen noch mit einem Funken Hoffnung begleitet, doch nun mussten sie sich durch die düsteren Wolken drängen, um überhaupt zum Vorschein zu kommen. Doch der sanfte Schein von Geborgenheit verschwand nicht nur in dem unklaren Himmel, sondern auch aus meinem Verstand. Die positiven Emotionen waren verschwunden, waren wie einem prasselnden Regen, starken Windzügen und grollenden Donner gewichen. Aus dem einzigen Fenster, welches über mir noch das letzte Gefühl von Hoffnung vermittelte, ertönten sich laute Geräusche; wie kräftige Böen an den Ästen zerrten, sie in einem knarrenden Geräusch hin und her schwingen. Abgerissene Blätter hingen in Schaudern nieder und grelle Blitze, die nun vereinzelt erschienen, zuckten über den Himmel. "Hast du mich verstanden?", knurrte er. Ähnlich wie die ungezähmte Gewalt der Natur, schnitten diese vier Worte durch meinen Verstand. Mit bebenden Schultern und rasendem Herzen versuchte ich, seinem Blick standzuhalten; trotz meiner panischen Angst. Er strahlte furchtbare Dominanz aus, die mir sofort eine Gänsehaut bereitete. Ich wehrte mich nicht mehr. Ich hatte zu viel Angst, dass er mich erneut würgen oder mir auf anderem Weg Schmerzen bereiten würde, wenn ich nicht das tat, was er von mir verlangte. "Ja, habe ich", antwortete ich mit piepsiger Stimme, um ihn nicht aufzuregen. Seine smaragdgrünen Augen glühten wie zwei eigene Sonnen, in dieser vom Unwetter hervorgerufenen Dunkelheit und jegliches Wesen, welches es gewagt hätte, dem Mann in die Augen zu schauen, wäre vor dem Hass und der Kälte in diesen Tiefen zurückgeschreckt. Außer ich. Ich musste diesem Blick standzuhalten; hatte viel zu viel Panik davor, dass er mir etwas antun würde. "Gut. Ich bin übrigens Shane Sullivan. Kennst du mich?"
Diese Frage bohrte sich in meinen Kopf. Shane? Ob ich ihn kannte? Verdammt, nein! Dieser Name rief keine einzige Erinnerung in mich. Nichts von ihm schien mir vertraut. Wieso fragte er mich so absurd, ob ich ihn kannte? Die zynische Stimme dieses Mannes hallte durch meinen Kopf wie der Donner durch einen verstummten Wald. "Ich...Ich kenne dich nicht, Shane", stotterte ich. Ich sah ihm die pure Verachtung an, die er mir schenkte, die nur darauf wartete, dass ich den kleinsten Fehler begang, damit er mir wieder wehtun könnte. Was wollte er von mir? Aus welchem verdammten Grund befand ich mich hier und hatte von rein gar nichts eine Ahnung? Ehe ich weiter in Gedanken und Fragen versank, spürte ich seine Hand an meiner Wange. Ich zuckte zusammen, doch es war kein Schlag, der mich traf, sondern bloß eine sanfte, beinah zärtliche Geste, die mich völlig verwunderte.
"Du weißt nichts von mir? Gar nichts? An was erinnerst du dich?", fragte er mich und sah mir dabei fest in die Augen. Ich konnte darin einen Funken Misstrauen erkennen. Glaubte er mir etwa nicht? Sollte ich mich an etwas erinnern, an was ich nicht konnte? Zögernd umgriff ich sein Handgelenk und wollte es beiseite schieben, doch er ließ es nicht zu, sondern packte meine Arme und hielt diese mit einer Hand gekonnt fest, als würde er das öfter tun. Es tat nicht weh, es war anscheinend bloß seine besitzergreifende Art. Ich versuchte nicht erneut, mich gegen seine Berührungen zu wehren. Es hatte keinen Sinn und meine impulsive Art half mir da auch nicht weiter. "Ich weiß nicht, wer du bist, geschweige denn, wo ich mich befinde. Bitte...Lass mich gehen", flehte ich ihn an. Das unangenehme Gefühl in meiner Brust verschwand nicht. Wenn ich diesen Mann ohne es zu wissen kannte, waren es definitiv keine positiven Erinnerungen. Ich fühlte mich so unwohl bei ihm. Ich wollte einfach nur hier weg. Der Anblick von ihm veranlasste mich beinah dazu, einfach ihm gewaltig gegen die Rippen zu schlagen, damit er bewusstlos werden würde, oder zumindest, um schnell von hier abzuhauen, doch ich konnte nicht. Egal wie sehr ich es versuchte. Meine Hände bewegten sich nicht. Ich war viel zu schwach und zu ängstlich. "Nein, ich lasse dich nicht gehen. Niemals", raunte er mir ins Ohr. Erneut durchfuhr mich ein eisiger Schauer. Wie, er würde mich nicht gehen lassen? Ich wollte hier nicht sein! Er konnte mich doch nicht einfach bei sich lassen und mir nichts erklären! Einige Herzschläge lang war ich so sehr in Panik versetzt, dass mein Sichtfeld verschwommen wirkte. Mein Körper erstarrte für einen Moment und ich traute mich nicht, ihm erneut in die Augen zu sehen. Insbesondere dann, als sich meine anfingen, mit Tränen zu füllen. Es war so eine absurde und beschämende Situation. Ich wollte nicht vor ihm weinen! Ich war nicht schwach. "Wieso nicht? Warum bin ich hier? Was willst du mit mir machen?" Ich konnte die Fragen nicht unterdrücken, so zittrig und verzweifelt sich meine Stimme auch anhörte. Vielleicht bekam er Mitleid, wenn er merkte, dass ich weinte. Hoffnung breitete sich in mir aus, doch konnte er überhaupt Mitleid empfinden? Trotz meiner nicht endenen Angst empfand ich solch eine Wut, dass ich am liebsten ihm direkt ins Gesicht spucken würde. Ich wollte mich wehren, ihn anschreien, dass ich mit ihm nichts zutun haben wollte und genauso stark sein wie sonst auch, doch es geling mir einfach nicht. Ein Blick von ihm genügte, um mir klar zu machen, dass ich kein falsches Wort sagen durfte. In meinen Augen waren solche Männer keine normalen, fühlenden und lebendigen Menschen mehr. Sie waren nurnoch.. Dinge, ohne ein pochendes Herz, ohne warmes Blut, welches durch ihre Adern floss. Wenn sie dazu fähig waren, einem Menschen grundlos so wehzutun oder gegen seinen Willen Dinge zu machen, so konnten sie doch nicht normale Menschen sein. Normale Menschen hatten Emphatie und ein Gewissen. "Alles zu seiner Zeit, Engel. Ich liebe dich, deswegen bist du hier. Und ich werde dich lehren, was es heißt, mir zu gehorchen und mich ebenso lieben zu lernen", antwortete er mit einer motonen Tonlage. Dieser Mann, Shane, liebte mich? Wieso liebte er mich? Wir kannten uns doch gar nicht! Er musste psychisch krank sein, ansonsten würde er niemals so mit mir umgehen, oder? "Ich kenne dich nicht. Du verwechselst mich mit jemandem", versuchte ich ruhig, auf ihn einzureden. Wer weiß, vielleicht war das alles zu meinem Glück bloß ein Missverständnis und ich würde gleich zurückkommen? Er würde mich gehen lassen, zurück zu meiner Familie? Hoffnung bohrte sich in meinen Kopf. Oh bitte, lass mich gehen. Mehr will ich doch gar nicht.
Aufeinmal, ohne dass ich es überhaupt erwarten konnte, zogen sich seine Mundwinkel nach oben und er beginn, spöttisch und zugleich amüsiert aufzulachen. Das alles verstärkte das unangenehme Gefühl in meiner Brust. Hatte ich etwas falsches gesagt? "Glaubst du, wenn ich dich nicht kennen würde, hätte ich nicht jahrelang alles vorgeplant, damit du jetzt hier, bei mir sein kannst? Ich kenne dich seit du ein kleines Kind bist. Ich kenne dich in und auswendig. Jedes noch so kleinste Detail aus deinem Leben. Ich kenne dich, Nathan Rose", sagte der Mann so amüsiert, als wäre es das normalste der Welt. Er hatte Unrecht. Er kannte mich nicht, das konnte nicht sein. Sonst würde ich mich doch an ihn erinnern! "Wieso erinnere ich mich dann nicht an dich?", fragte ich verwirrt. Mein Kopf platzte beinah. Er hatte diese Worte so leicht ausgesprochen, als würde ich ihm einfach so glauben. Doch er schien absolut nicht im Glauben zu sein, dass es sich um ein Missverständnis handelte.
"Das wirst du früher oder später noch erfahren. Hör auf, ständig zu fragen. Du bist jetzt hier, bei mir. Bei der Person, die dich über alles liebt", hauchte er mir zu. Diese Antwort half mir absolut nicht weiter. Während mein Gehirn mehr als überfordert war, konnte ich nicht verstehen, wieso er mir nicht einfach die Wahrheit sagte, was mit mir geschehen war. Ich hatte so viele Fragen. So viele unbeantwortete Fragen, die nach akzeptablen Antworten suchten. Doch es brachte anscheinend nichts, ihn auszufragen. Es führte zu nichts. Am liebsten würde ich ihm das anmaßende Grinsen aus dem Gesicht wischen, als ich versuchte, Augenkontakt zu halten. Heiße Tränen wanderten über mein Gesicht. Ich wollte Mitleid in ihm erwecken. Ich wollte, dass er mir endlich alles erklärte, mich losließ, irgendeine Art von Gewissen zeigte! Doch anstatt mich zu trösten, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.
"Hör auf zu weinen! Du bist hier, bei mir, du solltest glücklich sein!"
Als Shane mir dies jedoch entgegengesceudert hatte, mit vor Wut triefender Stimme, war es eindeutig zu viel für mich geworden. Ich musste mich wirklich beherrschen, um nicht anzufangen nach Hilfe zu schreien oder aufzustehen, um den Raum zu verlassen. Wie war ich bloß in diese Situation geraten? Was zur Hölle war davor geschehen? Verstand dieser komische Mann denn nicht, dass ich nicht weinte, um ihn aufzuregen, sondern weil ich Panik und Angst hatte? Dass ich verzweifelt war und nicht weiter wusste? Nein, das konnte nicht sein. Was für Möglichkeiten gab es, damit umzugehen? "Ich habe Angst", wimmerte ich. Die Wahrheit. Das war die einzige Möglichkeit, die mir eventuell etwas bringen könnte, die mir blieb. Ansonsten würde mir nichts einfallen, was sich irgendwie positiv auf mich oder ihn auswirken würde. Und es klappte. Sein Puls beruhigte sich und ganz sanft wischte er mit seinen Fingern meine Tränen weg. Ich musste mich wirklich beherrschen, um seine Hand nicht wegzuschlagen, genauso wie ich mich beherrschen musste, nicht erneut loszuweinen. Ich wollte dieser Angst nicht nachgeben; ich wollte nicht zulassen, dass dieses Gefühl, welches wie ein Raubtier um mich herumschlich und nurnoch darauf wartete, seine Fänge in meine unschuldige Seele zu schlagen, sich in mich einverleiben würde! Als im selben Herzschlag, als ich darüber nachdachte, nicht in Panik zu verfallen, ein Donner laut krachend ertönte, fuhr ich zusammen und blickte geschockt aus dem Fenster. Ein weiterer, greller Blitz zuckte über dem Himmel. Als Shane bemerkte, dass ich mich wegen dem Gewitter erschrocken hatte, zog er mich näher an sich und umarmte mich, dabei strich er mir tröstend über den Rücken. "Shh, alles ist gut. Du hast ja genauso viel Angst wie damals, als du noch klein warst und immer nach unten gegangen bist, weil du bei Gewitter nicht schlafen konntest", flüsterte er. Seine Gesten und diese Worte bereiteten mich eindeutig nicht weniger in Panik. Mir war zwar bewusst, dass ich auch früher Angst vor Gewitter hatte, aber im Bezug zu ihm konnte ich mich an nichts erinnern. Es war mir schier unangenehm, so nah bei ihm zu sein. Mein Herz klopfte wie wild, drohte fast schon, auszubrechen. Genauso gerne, wie ich aus dieser Situation einfach ausbrechen, einfach entkommen würde. Auf meinem Körper spürte ich einen brennenden Blick auf mir ruhen, auch wenn ich ihm gerade nicht in die Augen schauen konnte. Mir wurde mulmig. Einige Sekunden ließ ich die Umarmung zu, bis ich ihn dann ganz langsam von mir wegdrückte. Länger konnte ich es wirklich nicht ertragen.
"Es wird spät für dich. Soll ich dir noch etwas vorlesen, oder möchtest du kuscheln, oder einfach nur reden?" Seine plötzliche Freundlichkeit gefiel mir nicht. Auch wenn sie mir natürlich lieber war als die gewalttätige Seite, die er mir bereits gezeigt hatte. Von dem einen auf den anderen Moment änderte sich gefühlt seine komplette Persönlichkeit, seine Art, wie er mit mir umging. Etwas vorlesen? Ich war doch kein kleines Kind mehr. Verwirrt blickte ich aus dem Fenster, versuchte verzweifelt, mich an etwas zu erinnern, was vorher geschehen konnte, doch ich vergaß dabei, dass er mich etwas gefragt hatte.
"Nagut... Wenn du nicht reden willst, ich geh kurz nach unten und mache mir etwas zu Essen. Möchtest du auch etwas?" Seine Worte rasten mehrmals durch meinen Verstand und ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, was er mich gefragt hatte. Daraufhin schüttelte ich nur stumm meinen Kopf, weswegen er kurz seufzte. "Okay, aber dann lass mich bitte los, damit ich aufstehen kann", murmelte Shane.
Verwundert wanderte mein Blick an sein Hemd. Ich hatte tatsächlich unbewusst mit einer Hand mich an ihn geklammert. Völlig verlegen ließ ich ihn los und stand schnell von ihm auf, erleichtert, dass ich ihm endlich nicht mehr so verdammt nah war. Ließ er mich nun wirklich alleine? Ganz alleine? War ihm denn gar nicht bewusst, dass ich alles tun würde, um von hier wegzukommen? Ich behielt meine Gedanken selbstverständlich für mich. Dieses Mal stieg in mir Unbehagen und Ungläubigkeit hoch. Ich traute meinen eigenen Augen nicht, als er einfach so, ohne mir einen letzten Blick zu würdigen, auf die Tür zuging und den Raum verließ. War das ein Test? Es dauerte etliche Herzschläge, in denen ich einfach nur genau an der selben Stelle stehenblieb und die Tür anstarrte, einfach nur blinzelte und offenbar den Schock verdauen musste, bevor ich überhaupt meinen Blick abwandt und versuchte, meinen Körper ein wenig zu entspannen. Es blieb mir sicherlich nicht viel Zeit. Ich musste von hier verschwinden, ganz egal, wie. Verzweifelt ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, während erneut Tränen ihren Weg über mein Gesicht fanden. Meine Beine zitterten schier unkontrolliert und ich war zu überfordert, um irgendeinen klaren Gedanken fassen zu können. Was geschah hier?

WorthlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt