Sie saß in der Küche. Den Blick aus dem kleinen Fenster in den Vorgarten gerichtet, strich sie mit zärtlichen Berührungen über das schwarze Haar ihres Sohnes. Er saß auf ihrem Schoss, den Kopf auf ihre Schulter gelegt und die kleine Kinderhand um ihren Nacken. Sie konnte spüren, dass sein Atem ruhig und leise ging, denn sein Oberkörper hebte und senkte sich in einem regelmäßigen Tempo. An seiner entspannten Haltung konnte sie merken, dass er eingeschlafen war. Vier Jahre alt und doch noch wie ein Baby. "Kleiner, du kannst heute Nacht nicht auf meinem Schoss schlafen", murmelte sie. Ein tiefes Seufzen drang aus ihrer Kehle, als sich einige Sekunden später die dunkelblauen Augen des Jungen öffneten. Müde und doch nicht bösartig oder genervt, ganz im Gegenteil. Viel mehr freundlich und unschuldig. Sofort umgab eine angenehme Wärme das Herz der Mutter, als er seinen Blick erhob und sie aus großen Augen ansah. "Aber Shane.. Shane wollte doch kommen", gab er undeutlich von sich und richtete sich langsam auf. Wohl überlegt kamen diese Worte über seine makellosen Lippen, als wäre dieser Mann das einzige, was ihn beschäftigte.
"Er hat zu tun, Engel"
Es war eine Lüge. Eine einzige Lüge, die sie mit so einer Fürsorge aussprach, dass ein kleines Kind es niemals für möglich gehalten hätte, diese Worte als Lüge zu interpetrieren.
Shane hatte nichts zu tun, doch sie wollte den Abend alleine mit ihm verbringen, ohne ständig von dem Gequengel gestört zu werden. Seine Lippen formten sich zu einem Strich, als er realisierte. Ein leises Wimmern durchschnitt die Stille und sofort fing er an zu schmollen. Das tat er immer, sobald er nicht das bekam, was er erwartete. "Aber Shane..." Die Worte waren so leise geflüstery worden, dass die Frau sie beinah nicht verstanden hatte. Dafür jedoch bemerkte sie die Enttäuschung in seiner Stimme und ohne zu überlegen stand sie mit ihm in den Armen auf. "Später, es geht heute nicht mehr. Du musst schlafen" Die nächsten Sekunden bestanden aus Stille.
"Wieso kann er nicht? Ist er wieder arbeiten?", fragte er leise, vergrub seinen Kopf in ihrer Schulter. Entschlossen drückte sie ihn noch enger gegen ihre Brust und lächelte leicht. Doch ehe sie ihm eine Antwort geben konnte, fiel er in einen tiefen Schlaf.Mit spürbar pochendem Herzen wagte ich einige Schritte zurück. Ich betete still, dass das alles bloß ein böser Alptraum war und ich gleich in meinem gemütlichen Bett aufwachen würde. So groß meine Hoffnung auch war, dass Shane mir nichts antun würde, meinte mein Verstand, dass ich es nicht wissen konnte. Diese schreckliche Ahnungslosigkeit machte mich noch fertig. Ich spürte, wie gierig sein Blick sich in meinen Körper bohrte, sodass ich ihn nichteinmal direkt anschauen musste, um zu merken, dass er mich genau im Blick hatte. Wenn er es machte, um mich einzuschüchtern, dann hätte er das definitiv geschafft. Mit jedem Schritt, den ich rückwärts ging, um mehr Abstand zwischen uns beiden zu schaffen, kam mir die Wand quälend näher. Doch das war nicht das einzige, was mich seltsam fühlen ließ. Seine Hände, die sich zu Fäusten ballten, sein lauter Atem, den man in der Stille verdammt gut hören konnte, wie eine Feder, die man hätte fallen hören können... Mit verschränkten Armen ließ ich meinen tiefblauen Blick über die Umgebung schweifen; nichts, was mir vertraut vorkam. Nur der starke Duft von irgendeinem Parfüm, welches aus Shane's Richtung drang, erlaubte es mir nicht, andere Gerüche wahrzunehmen. Es gab absolut nichts, an was ich mich hier in diesem Raum erinnern konnte, nichts, was mir nicht fremd vorkam.
Durch die ganze Sache war mein Verstand schon so durcheinander, dass er begann, sich Dinge einzubilden. Hoffnungslos versuchend, von den Gedanken wegzukommen, erhob ich erschrocken meinen Blick, als er mir näher gegenüber stand, als zuvor. Mein Atem ging schneller. Seine Arme, auf die ich einen freien Blick hatte, waren durchtrainiert und seine Adern stachen deutlich hervor. Der Duft von seinem Parfüm wurde deutlicher, sodass ich kurz dachte, ich würde hier noch ersticken. An seinen Armen entlang zeichnen sich Tattoos, die ich so schnell nicht ausmachen konnte. Wie alt er wohl war? Wie lange er mich wohl kannte?
Sofort wich ich einen weiteren Schritt zurück, als er auf mich zukam. Ich presste mein Kiefer fest aufeinander, um mich von der panischen Angst, gefolgt von seiner einschüchternden Art ablenken zu können. "Nathan"
Als ich seine Stimme meinen Namen raunen hörte, fuhr mir eine unangenehme Gänsehaut über den Körper. Ich musste mich beherrschen, um nicht ständig vor Unsicherheit wegzuschauen, als er mit mir redete. Mit wild klopfendem Herzen spürte ich die kalte Wand an meinem Rücken, und merkte, dass ich ihm nicht mehr so leicht ausweichen konnte. Ein bosshaftes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Mein Körper zitterte und meine Hände schwitzten. Mir war kalt und heiß zugleich. Vor mir strahlten plötzlich zwei Arme auf, und ehe ich mich versehen konnte, lag in diesen sein T-Shirt, welches er vor wenigen Sekunden anhatte. Mit knallrotem Kopf versuchte ich, meinen Blick von seinem Oberkörper abzuwenden. Muskeln und zahlreiche Tattoos konnte man nicht übersehen. In seinem Gesicht jedoch, konnte ich keine Emotion definieren. War er gut oder schlecht gelaunt? War er wütend? Hatte ich etwas falsch gemacht?
Meine Fragen wurden abrupt abgebrochen, als ich seinen heißen Atem in meinem Nacken spürte, auch wenn ich mich dagegen sträubte, noch mehr Nähe zu diesem furchteinflößenden Mann zuzulassen. Ich hasste seine Nähe, ich fühlte mich unwohl und widerlich, sobald er mich berührte. Doch egal, wie sehr ich versuchte, ihn mit Worten oder körperlichem Wehren dazu zu bringen, Abstand zwischen uns zu bringen, es brachte nichts. Ehrlich gesagt wunderte mich das auch nicht. Ein Mann, welcher jemanden gegen seinen Willen gefangen hält und mit seiner Macht spielt, konnte man nicht als einfühlsam beschreiben. Würde er jemals Mitleid mit mir haben? Seine riesigen Hände umgriffen meine Arme, pressten sie plötzlich gegen die Wand, ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte. Seine Bewegungen, seine Taten, seine Worte, alles kam mir so unfassbar unberechenbar vor. Ich konnte nichts erwarten, ich konnte ihn nicht einschätzen und ich wusste nicht, was als nächstes auf mich zukommen würde. Ein Schauer durchlief meinen Körper, mein Puls raste.
"Bitte... Nicht" Meine Stimme war nur ein hilfloses Flüstern, während ich zur Seite sah, bloß nicht wieder in seinem Blick verfangen.
"Was, wenn doch?" Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Seine Wangenknochen stachen hervor, genau wie seine Adern an seinen gesamten Armen. Sein Duft kitzelte in meiner Nase und brachte mich dazu, die Luft für einen Moment anzuhalten.
"Dann...Ich...-"
Ich zögerte. Was, wenn doch? Das war die Frage, die ich mir selbst stellte. Wozu war ich bitteschön noch fähig? Es war so verdammt demütigend, wie er mir einen herausfordernden Blick zuwarf, als wüsste er genau, dass egal was ich sagte, er widersprechen konnte. Sein Griff um meine Gelenke wurde drückender. Es schmerzte beinah, doch ich unterdrückte mir ein Schluchzen.
"Du kannst nichts gegen mich tun, Kätzchen", lachte er und hob mit seinem Zeigefinger und dem Daumen mein Kinn an. Ich wehrte mich gegen seine Berührungen, versuchte, seinen Griffen auszuweichen, um irgendwie aus dieser Situation zu kommen, doch es gelang mir nicht.
"Ich will das nicht, bitte", flehte ich ihn an, doch er hörte nicht auf meine Worte, sondern drückte mein Gesicht unsanft in seine Richtung.
"Sieh. Mich. An"
Es klang wie ein Befehl. Wütender, lauter und deutlicher, als zuvor. Zögernd versuchte ich, ihm in seine kalten, grünen Augen zu schauen, doch es fiel mir so unglaublich schwer. Er machte mir Angst. Unglaubliche Angst. Meine Augen füllten sich mit Tränen, weil mir alles zu viel wurde. Das Gefühl, nichts tun zu können, dieses Gefühl von Hilflosigkeit machte mich fertig. Es bannte sich so sehr in meinen Körper und baute eine Art Mauer auf, durch die mein gesunder Menschenverstand nicht kam. Ich hatte nur eines im Kopf.
Angst.
"Hör auf zu weinen, ich hasse es, wenn jemand rumheult"
Sichtlich schlecht gelaunt fuhr er mit seinem Daumen über meine Wange, um mir die Tränen wegzuwischen. Doch ich hörte nicht auf, zu weinen. Es wurde mir alles zu viel. Mit jedem weiteren Schluchzen, welches unerhört erklang, änderte sich seine Stimmung auch schlagartig. Seine Miene wurde wütender und er sprach nicht mehr so "liebevoll" mit mir, wie er es noch am selben Tag getan hatte. Seine Stimmungsschwankungen waren kaum auszuhalten.
"Hörst du mir überhaupt zu?", knurrte er.
Wie paralysiert stand ich nur da, starrte auf einen Punkt neben seinem Gesicht. Meine Sicht war durch die Tränen verschwommen und ich wusste, dass ich mich beruhigen musste. Ich schluchzte und weinte, während er mir kalt in die Augen sah, mich festhielt, als wäre ich ein verdammtes Objekt. Zu meinem Unglück spürte ich auch noch, wie ich mir auf die Zunge biss und einen bitteren Stich schmeckte, auch wenn ich dagegen ankämpfte. In diesem Moment stieg das Verlangen, mich einfach zu erbrechen, so dermaßen an, dass ich erneut wie ein wildes Tier versuchte, mich aus seinen festen Griffen und drohenden Blicken zu befreien. Doch mich zu erbrechen, würde ihn sicherlich nicht gerade erfreulicher machen. Noch immer konnte ich nicht verstehen, was geschehen war, dass ich hier mit meinen 16 Jahren so brutal aus meinem Leben gerissen wurde, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wer diese Männer waren, und ohne, dass meine Familie irgendetwas davon mitbekamen. Wieso hatte niemand meine Schreie gehört? Ich musste doch geschrien haben, bevor sie mich hierhin gebracht haben. Das konnte niemals im Leben freiwillig gewesen sein, verdammt! Wieso hatte ich nicht selbst auf mich aufgepasst, in jenem Herzschlag über mich selbst gewacht? War es irgendeine Folge eines dummen Fehlers in meiner Vergangenheit, ein Misserfolg, etwas, dass ihn so sehr in die Wut getrieben hatte, dass er mich leiden sehen wollte? War dies das Leid, das nun über mich kommen sollte, aufgrund eines Fehlers aus meiner Vergangenheit, an was ich mich nichtmal mehr erinnern kann?
"Verdammt!"
Ich schreckte auf.
Schmerz pochte in meiner Wange.
Die Stelle in meinem Gesicht brannte fürchterlich, was mich nicht davon abbrachte, aufzuhören, zu heulen. Er hatte mich geschlagen.
Mit Tränen in den Augen wagte ich einen Blick um mich herum. Shane stand vor mir, sein Gesicht war vor Wut verzerrt.
"E-Es tut mir-", ehe ich zuende sprechen konnte, packte er mich plötzlich an den Haaren, weswegen ich vor Schmerz aufschrie. Mein Herz drohte zu explodieren, als er mich, ohne jegliche Rücksicht zu nehmen, einfach so hinter sich her zog, die Tür öffnete, um mit mir durch irgendwelche Gänge zu laufen, die ich bisher nur einmal gesehen hatte, als ich hier in das Zimmer von Shane gebracht wurde, von einem der anderen Männer.
"Was machst du? Bitte tue mir nichts an, bitte, bitte!", schluchzte ich, versuchte panisch, ihn dazu zu bringen, mir das zu erklären, was er vorhatte, doch er war nicht zu bändigen. Eine weitere Tür öffnete sich, seine tiefe Stimme dröhnte in meinem Kopf, doch dann drückte er mich mit diesem in ein Waschbecken, welches er laufen ließ.. Erschrocken versuchte ich, aufzutauchen, als meine Luft abgeschnürt wurde. Furcht stieg in mir hoch, panische Furcht, die sich wie Dornen um meine Kehle rankte. Wollte er mich umbringen?! Ich schlug, tritt um mich, doch es half nichts. Mit geschickten Griffen hielt er meine Gelenke fest, sodass ich nicht dazu in der Lage war, mich gegen ihn zu wehren. Es war wahrscheinlich der schrecklichste Moment in meinem Leben. Ich hatte keine Kontrolle über mein eigenes, armseliges Leben, wusste nicht, ob er mich töten würde, ob er dazu in der Lage wäre. Erschrocken schnappte ich nach Luft, als er mich an den Haaren packend hochzog. Mit weit aufgerissenen Augen klammerte ich mich an das Waschbecken, versuchte dem zu entkommen, was mir erneut bevorstehen könnte. "Shane! Bring mich nicht um, bitte, nein, ich tue alles, verdammt", schrie ich unaufhaltsam, doch ich konnte nichtmal in das Gesicht meines Verderbens sehen. Mein rasselnder Atem ging schneller, Licht flackerte unangenehm in meinen Augen, so stark, als würde es der Sonne gleichen wollen. Keine Antwort, keine Regung. Kaum hatte ich das letzte Wort herausgebracht, drückte er mich erneut unter das kalte Wasser. Ein starkes Zittern durchfuhr meinen Leib, schüttelte diesen wie einen schmerzvollen Anfall. Das Licht war verschwunden, meine Augen brannten und ich hielt die Luft an, tat alles, um kein Wasser in die Lunge zu bekommen. Er sollte mich nicht umbringen, ich würde das schaffen!Dieses Unglück, von welchem Leute sprachen, war es das? War nun diese Zeit gekommen, in welcher man lieber aufgeben sollte, als weiterhin Hoffnung zu schieben? In welcher man auf die Schreie seines Herzens hören sollte, anstatt auf die Stimme im Kopf, die einem sagte, man würde das schaffen? Den Kopf noch immer gesenkt, zog er mich erneut gewaltsam hoch. Sofort schnappte ich nach Luft, versuchte irgendwie, aus seinem Griff zu entkommen oder mich an irgendetwas festzuklammern, ihn anzuflehen, er solle aufhören, doch es brachte nichts. Mit einer unangenehmen Enge im Brustkorb, sträubte sich alles in mir dagegen, wieder etliche Sekunden lang die Luft abgeschnürt zu bekommen. Es war grausam. Mein ganzer Körper zitterte und vor Panik schrie ich meinen Leib heraus. Es war anders, als die Angst davor.
Intensiver.
Panischer.
Bewusster.
Geplagt von Todesangst und unaufhaltsamen Gedanken, dass nicht einmal mehr das hellste Licht der Sterne durch sie hindurch scheinen vermochte.
Ich wollte hier weg.
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Worthless
Mystery / ThrillerOhne jegliche Erinnerung wacht der 16-Jährige Nathan in einem Keller auf. Eine Gruppe von sadistischen Männern hält ihn in ihrem Haus gefangen und behaupten, ihn niemals wieder gehen zu lassen. Für Nathan beginnt eine Zeit voller Verzweiflung, Angst...