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Langsam und träge, glitten meine dünnen Finger zwischen die Vorhänge, die sich um die Dusche herum befanden. Sie waren weiß, viel zu hell. Helle Farben galten für mich als Zeichen der Unschuld und Lebendigkeit. Normalerweise würde ich sie eher mit positiven Assoziationen in Verbindung bringen, doch meine Lage zerstörte diese Sichtweise.
''5 Minuten, Engel.'' Seine Worte hallten in meinem schmerzhaft pochenden Schädel viel zu laut und lösten eine weitere Welle an schier unerträglicher Qual in mir aus. Dazu noch der lähmende Griff der Müdigkeit drängte sich in meinen Körper; Es kam mir so vor, als hätte ich mich erst vor wenigen Sekunden zum Schlafen hingelegt und kein Auge zubekommen. Fast genauso war es schließlich auch. Dass sich nun die Müdigkeit offenbarte, wunderte mich nicht. Ich hob langsam den Kopf, schaute mich mit getrübten Augen im Badezimmer um, während ich eines der Handtücher um meinen zitternden Körper schlang. Ich schluckte nervös, als mein Blick auf mein Spiegelbild traf. Die seltsame Leere in meinen blauen Augen machte mir Angst, und doch versuchte ich den Fakt zu ignorieren. Die Stimme des Mannes löste ebenso aus, dass sich Behagen mit brutaler Gewalt in mein Herz krallte, wollte es nicht mehr loslassen. Es erinnerte mich daran, als Shane meinen Kopf mit voller Wucht gegen das Waschbecken geschlagen hatte. Es erinnerte mich an die vielen Schmerzen und das unaufhörliche Zucken meines Körpers, während ich versuchte, aus seinem festen Griff zu entkommen, bis er endlich aufhörte und mich ins Zimmer zurück gezerrt hatte. Dann all die Augenblicke inmitten dieser Nacht, als ich versuchte, wach zu bleiben, um irgendetwas zu finden, um hier raus zu gelangen; Und wenn es nur etwas Mut gewesen wäre, welcher mich aus der Situation hätte retten können. Aufgelöst in Tränen und völlig geschockt hatte ich in seinem Zimmer gelegen und mich gefragt, ob er noch irgendwelche Gefühle mir gegenüber zeigen konnte oder ob in der Stelle, in der eigentlich ein Herz ruhen sollte, bloß leere Schwärze herrschte. Eine Ähnliche Schwärze, die sich in meinem Kopf befand, sobald ich versuchte, mich zu erinnern, was passiert war und wer ich wirklich war. Ohne das Wissen, ob ich hier eines Tages lebendig rauskommen würde, trocknete ich meine nassen Haare, starrte dann jedoch unschlüssig zur Tür.                  Kleidung. Er hatte mir keine Kleidung mitgegeben und auch nicht gesagt, wo ich welche finden konnte. Ich musste ihn rufen und fragen, etwas anderes blieb mir nicht übrig. Mein Puls pochte wie wild hinter meinen Schläfen. Es fühlte sich erniedrigend an, scheinbar abhängig von einem Mann zu sein, weil er mir noch keine andere Möglichkeit gab. Als ich mich an seine Worte erinnerte, wie wenig Zeit ich noch hatte, kroch mir eiskalte Panik den Rücken hoch. Ich konnte mir jedoch vorstellen, was schlimmer war. Entweder hier in Ungewissheit stehen bleiben und darauf warten, bis Shane wutentbrannt die Tür aufriss und mich bestrafte, dafür, dass ich nicht auf ihn gehört hatte, oder aber ihn zu fragen. Beides stellte ich mir grausam vor. Ich wollte ihn nicht um etwas bitten. Ich wusste doch nicht einmal, wie er reagieren würde, ob er mich auslachen würde, ob er sich wieder über mich belustigen würde? In jedem Herzschlag, welcher verstrich, verstrich sogleich auch die Zeit, die mir blieb. Mit jeder weiteren Sekunde, in der ich hier stand und nachdachte, stieg die Chance, dass ich sobald erneut schreckliche Schmerzen erleiden musste. Vielleicht weitaus schlimmere als beim ersten Mal; Ich wusste schließlich nicht, zu was Shane wirklich in der Lage war. Verzweifelt versuchte ich, durch die Tür ein Geräusch oder irgendeine Stimme auszumachen, doch dieses Mal war alles, was ich hörte, mein Herz. Es schlug so schnell, dass ich kaum noch atmen konnte. Sollte ich mich hier ein wenig umsehen, bis es mir gelingen könnte, zu fliehen? Es wäre meine einzige Hoffnung in diesem Moment. Wie betäubt starrte ich auf die Türklinke. Es wäre nur ein Handgriff, einige Schritte, und dann... dann könnte ich vielleicht zurück. Zurück, wohin?, fragte ich mich dann doch selbst. Ich wusste ja nicht einmal, wo mein Zuhause war. Ob ich überhaupt ein Zuhause besaß? Es war vermutlich doch keine sonderlich gute Idee. Ich presste meine Lippen zusammen, hielt den Atem an und umgriff die Klinke mit einer Hand, während nur ein Handtuch um meinen Körper geschlungen war. Doch hier konnte ich nichts ausmachen, als all diese Türen und Gänge, die nach links und rechts führten. Das etwas dunklere Holz ließ die Umgebung finsterer wirken, fast genauso finster wie das alles hier für mich war.                                                           

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