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Ein schrecklicher Schmerz durchzog meinen Körper, als Luan mich an den Haaren nach oben zog und von dort herab in meine Augen blickte. Sein gesamter Gesichtsausdruck wirkte kalt, undurchschaubar. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich diese Mimik zuvor gesehen haben könnte, doch mein Verstand schien leer. Keine einzige Erinnerung an diesen Mann schien in meinem Kopf zu sein.  Tief Luft holend klammerte ich meine stark zitternden Hände an das Waschbecken, hoffte, dass er mich nicht erneut in das eisige Wasser drücken würde.
"Hörst du jetzt auf zu weinen, hmm?"
Seine Augen strahlten so eine intensive Dunkelheit aus, dass es mir alleine Panik bereitete, sobald er mich ansah. Ich nickte hastig, versuchte ihn irgendwie dazu zu bringen, nicht mehr böse auf mich zu sein. In so einer Situation musste man unbedingt noch schalten können und keine voreiligen Dinge tun, die man im Nachhinein bereuen könnte. Auch wenn Panik und Schmerz alles war, was ich zu diesem Zeitpunkt fühlen konnte, musste ich dennoch alles geben, um es nicht auch noch zu verschlimmern. Dieser Mann musste psychisch schwer krank sein, ansonsten würde er niemals so mit mir umgehen. Zitternd stellte ich mir vor, wie er jeden Moment seine Fäuste in meinen schwachen, wehrlosen Körper schlagen könnte, wie er mich mit Schlägen und anderen Methoden folterte und das Leben langsam und grausam heraustrieb, während meine Schreie ungehört verklingen würden.
Ich sollte in naher Zukunft besser aufpassen, wenn dieser Mann zu schrecklicher Gewalt fähig war und sich nicht davor sträubte, mich beinah umzubringen. Auf keinen Fall durfte ich mir Nachlässigkeit gewähren.
"Worte, Kätzchen", hauchte er. Sein Griff wurde stärker, fester. Voller Entsetzen blickte ich ihm in die Augen, mein Herz hörte nicht auf, rasend zu klopfen, die Furcht war mir wahrscheinlich deutlich anzusehen. Von meiner starken Persönlichkeit, die jegliche Schwäche versuchte auszublenden, war nun nichts mehr übrig geblieben. Kein Bisschen.

Welches Monster konnte einer so unschuldigen Person nur so etwas antun? Dieses Verderben musste doch ein Herz aus Schwärze besitzen, um jemanden solche Schmerzen anzutun und dabei Vergnügen hatte. Dasselbe Verderben, welches mir direkt in die Seele sah, fordernd und grinsend.
Hilfe... So schnell es nur ging, musste ich Hilfe holen, wenn ich diesen Alptraum hier überleben wollte.
"Ich werde nicht weinen", flüsterte ich mit einem deutlich heraushörenden Zittern in der Stimme, unkontrollierbar. Ich hasste es hier. Ich wollte ihm nicht auch noch das Vergnügen bescheren, mich leiden zu sehen, doch ich leidete und ich konnte es nicht ändern, so verdammt wehrlos wie ich nunmal war. Ich durfte einfach nicht sterben.
Und nur wegen meiner unnützen Schwäche konnte ich nicht anders handeln, als zu tun, was er verlangte, auch wenn das Bedürfnis, loszuheulen, immer stärker wurde. Ich durfte nicht weinen. Verärgert, voller Zweifel und Angst legte ich meine Hände um seine Arme, um zu versuchen, seinen Griff zu lockern, mir quälend darüber im Klaren, dass jeder verstrichene Herzschlag mich immer weiter in den Abgrund treiben konnte. Immer weiter in den Tod, welcher mir eventuell bereits vorher gesagt werden könnte. Wer wusste schon, was in den kranken Köpfen dieser Männer vorging? Luan stöhnte leise auf und verdrehte die Augen, gab aber keinen weiteren Laut von sich, sondern nahm endlich seine Hände von mir, sodass ich tief nach Luft schnappte und mich sofort zu ihm umdrehte, aus Angst nicht mitzubekommen, was er mir antun könnte. Voller Unsicherheit krampfte sich mein Herz zusammen, doch ich nahm den sicheren Abstand zu ihm und blickte völlig angespannt zu Boden, nichtsahnend, was ich tun sollte. Mein Kopf schmerzte fürchterlich, genauso wie meine Lunge.
"Geh schonmal in mein Zimmer. Wenn ich dich in fünf Minuten woanders sehe, passiert etwas schlimmeres, als du dir vorstellen kannst", drohte er mir mit seiner eisigen Stimme und packte mich am Nacken, um mich aus der Badezimmertür zu stoßen. Nicht gerade sanft, doch was erwartete ich? Entschieden trat ich auf vorsichtigen Schritten nach vorne und vergewisserte mich, dass ich nicht irgendetwas falsches tat, beispielsweise in eine falsche Richtung lief oder Sonstiges. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass unter den Worten Luan's eine leere Drohung befand. Meine Aufmerksamkeit hielt ich völlig auf die Gänge und Türen vor und neben mir gerichtet, die allesamt mit einer Nummer beschriftet waren. Ich konnte mich nicht fragen, was diese zu bedeuten hatten, weil ich mir nicht zu viel Zeit nehmen sollte. Wer weiß, was dann passieren würde?
Mein Körper zitterte und mein Blick huschte hin und her, in der Hoffnung, irgendwo ein Fenster oder eine andere Fluchtmöglichkeit zu erkennen, doch es war zwecklos. Die einzigen Fenster, die ich erkannte, waren höchstwahrscheinlich aus dickem Sicherheitsglas und es würde mich wirklich nicht wundern, ob es bei diesem Psychopath auch noch Alarme gab. Allein meine kaum wahrnehmbaren Schritten, die sich leicht wie eine Feder anhörten, zeugten davon, dass ich lebte, dass es kein Traum war, sondern die grausame Realität. Ich konnte es nicht ausblenden. Ich war im hier und jetzt, hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was hier los war und wieso ich so behandelt wurde. Doch wie lange würde ich noch leben, wie lange würde es noch dauern, bis ich aufhören würde zu kämpfen? Wie würden meine Eltern reagieren, wenn sie erfahren würden, dass sie soeben ihren Sohn verloren hatten? Wenn sie wissen würden, was mit mir passierte? Sie wären sicherlich erschüttert, ihr Kind auf so eine brutale Art und Weise zu verlieren, nach so vielen Jahren der Sicherheit und Liebe. Meine Gedanken brachen ruckartig ab, als ich die offene Tür vor meinen Augen sah, das Zimmer, in welchem ich mich davor stundenlang befand. Ein unwohles Gefühl verbreitete sich von meinem Nacken aus bis in meinen kompletten Körper; Ich wusste nicht, woher es so plötzlich kam, doch auch wenn sich alles in meinem Inneren dagegen sträubte, hinein zu geben, blieb mir kaum eine andere Möglichkeit. Sollte ich die Tür hinter mir verschließen, lieber offen lassen? Oh Gott, ich musste über jegliches Detail meiner Taten vorher nachdenken, aus Angst, ich könnte etwas falsches tun. Während ich versuchte, das Pochen in meinem Nacken und meinen schmerzenden Kopf zu ignorieren, setzte ich mich auf das Bett, welches rechts neben dem Schreibtisch stand. Die Matratze legte sich ein Stück, als mein doch so geringes Gewicht darauf verlagert wurde. Meine schwarzen Haare waren klitschnass und als die Wassertropfen langsam meinen fast nackten Körper hinuntertropften, wünschte ich mir noch viel mehr, ich hätte auf ihn gehört und ihn nicht zur Weißglut gebracht. Es war so kalt, eisig kalt. Ohne zu überlegen, schnappte ich mir eine Decke, die sich neben mir befand und zog sie über meinen zitternden Körper, kuschelte mich dort ein, ohne vorher überhaupt um Erlaubnis gefragt zu haben. Lieber bekam ich Ärger, als diese Nacht in dieser Hölle noch zu erfrieren. Der kuschelige, graue Stoff umhüllte meine Haut mit Wärme und insgeheim hoffte ich, Shane würde mir nicht auch noch meine einzige Wärmequelle wegnehmen, denn dann hätte ich gar nichts mehr.

WorthlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt