1. Die Welt außerhalb der Mauern

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Mein Vater wird mich umbringen. Das war so klar wie die Tatsache, dass ich mich heimlich in das Schulsystem gehackt und als Schülerin der elften Klasse eingetragen hatte.

Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Ich hatte meinen Vater das erste Mal so richtig hintergangen und belogen. Er dachte, ich würde wie in den zehn anderen Jahren meiner Schullaufbahn den Privatunterricht mit den anderen Kindern der Mafia-Mitarbeiter im Westflügel unserer großen Villa antreten. Aber das wollte ich nicht mehr. Erstens konnte ich diese Kinder nicht ausstehen, weil sie sich für etwas besseres hielten und zweitens war der Unterricht total langweilig. Die letzten Monate hatte ich viele Highschool-Filme geguckt und war zu dem Schluss gekommen, dass ich das auch wollte. Ich wollte nicht von der Außenwelt isoliert werden, sondern alle Gefahren erleben.

Sechzehn Jahre meines Lebens hatte ich unsere Villa nur mit Bodyguards an meiner Seite verlassen. Immer wurde jeder Schritt, den ich machte, überwacht. Ich verstand das auch absolut; unsere rivalisierende Mafia-Bande würde mir etwas antun, um sich an Papa für die vielen Kriege zu rächen. Aber ich war nicht umsonst in Kampfsport ausgebildet worden. Nicht umsonst hatte ich sechzehn Jahre meines Lebens mehr oder weniger in Gefangenschaft verbracht. Ich wollte leben. Und dieses kleine Risiko dabei reizte mich sehr. Endlich war ich frei.

Lächelnd schüttelte ich meine roten Haare und unterdrückte den Drang, einen Luftsprung zu machen. Vor und hinter mir liefen andere Schüler, jeder war mit sich beschäftigt. Keiner achtete auf mich. Auch wenn ich wusste, dass mein Verhalten wahrscheinlich Konsequenzen haben würde, nahm ich mir fest vor, diesen Tag zu genießen.

Vor dem Schultor blieb ich stehen und atmete tief durch. Wahrscheinlich würde mein Vater keine drei Stunden brauchen, um herauszufinden, dass ich abgehauen war. Meine Spuren auf dem Videoband unserer Villa hatte ich zwar verwischt, aber er hatte Kontakt zu Leuten, für die das Hacken in Verkehrskameras die tägliche Arbeit war. Ich stellte mir vor, wie Papa vor den Monitoren stand und sich die Haare raufte, weil ich mich ihm widersetzt und in Gefahr gebracht hatte.

Dieser Tag war einmalig und das Risiko reizte mich. Ich wollte leben.

Dann trat ich durch das Schultor.

Der Schulhof war komplett überfüllt und Schüler aller Altersklassen rannten hin und her. Aus den vielen Filmen, die ich geschaut hatte, wusste ich, dass so ein reger Betrieb am ersten Tag nach den Ferien normal war. Mit zusammengekniffenen Augen gab ich einzelnen Schülern Gefahrenstufen, eine notwendige Fähigkeit, die mein Vater mich über die Jahre hinweg gelehrt hatte. Laut ihm sollte ich so frühzeitig Gefahren erkennen können.

Kein Schüler überschritt die Gefahrenstufe 6, was hieß, dass mich hier auf dem Schulhof erst einmal keine Gefahren erwarten würden.

Verärgert schüttelte ich den Kopf und runzelte die Stirn. Ich war hier in einer ganz normalen Schule und nicht auf einer Privatschule, wo alle Schüler in Kampfsport, Hacken und Ähnlichem ausgebildet wurden. Auf dieser Schule war die höchste Gefahr wahrscheinlich Mobbing, und ganz im Ernst, nicht einmal das würde mich wirklich interessieren.

Mit hoch erhobenem Kopf stapfte ich auf die Haupteingangstür der Schule zu. Laut der E-Mail, die an meine gefälschte E-Mail Adresse ging, sollte ich mich als erstes im Sekretariat einfinden.

Einige Schüler hatten sich in Gruppen zusammengefunden und nicht wenige von ihnen schauten mich neugierig an. Auch wenn wir in einer Großstadt lebten, fielen Neue in einer Schule wie dieser sehr schnell auf. Wahrscheinlich trugen meine feuerroten Haare und mein ansonsten fast komplett schwarzes Outfit ihren Teil dazu bei. Ich trug eine schwarze, schlichte Lederjacke, ein weißes Top, einen schwarzen kurzen Rock und durchsichtige schwarze Leggins in Kombination mit hohen schwarzen Boots. Sogar mein Rucksack war schwarz. Da alle anderen Schüler hellere Kleidung trugen, fiel ich wahrscheinlich auf wie ein bunter Hund. Aber das war mir egal.

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