Wie wär's mit 'nem Kuss?

9.4K 172 24
                                    

//normal//

Der Schulhof leerte sich langsam und der Lärm verblasste, bis nur noch vereinzelte Gestalten über den gepflasterten Platz huschten. Die Bäume neigten sich sachte in der warmen Brise, während die Abendsonne langsam den Himmel orange färbte.

Es war Herbst. Und ein äußerst warmer Oktober Tag.

Während nur noch ein paar wenige Klassen ihre letzten Stunden zu überstehen versuchten, schien im Westflügel eine bedrückende Leere zu herrschen. Weder das Klackern von Lederschuhen, die zügig über den Flur liefen, noch das leise Flüstern von Stimmen war zu hören.

Doch unscheinbar in einem der hintersten Räume ertönte ein Seufzen. Mit einem Rascheln lehnte der junge Mann an dem offenem Fenster. Die Haare glitten aus seinem Gesicht, als eine Böe durch den Raum drang. Seine Schuluniform war leicht aufgeknöpft und die dunkle Hose zierte eine silberne Kette.

Schon von weitem ließ sich erkennen, dass dieser Schüler kein Musterkind war. In der Tat war Kien einer der populäreren Jungen. Bereits im Abschlussjahr und mit dem alten Skoda seines Dads, mit dem er jeden Tag zur Schule fuhr, war er der Grund für das Gekreische der Mädels.

Jeden Tag saß er mit seiner Klicke zusammen, kommentierte die Leute um sich herum und lehnte sich gemütlich zurück, während seine Freunde einen ausfallenden Witz machten. Doch an diesem Tag musste er alleine die letzten Stunden in der Schule verbringen.

Um genau zu sein, vier Stunden. Er hatte Nachsitzen bis um fünf, für den kleinen Streit den er am Vormittag mit einem der Lehrer auf dem Schulklo angezettelt hatte.

Das Flattern von Blättern war zu hören, weswegen Kien seinen Blick auf den Tisch zu seiner Linken richtete. Seine Strafarbeit lag immer noch unberührt auf ihrem Platz und schien ihn schon fast auffordernd entgegen zu fechern. Gelangweilt wollte er schon nach dem Papier greifen, als ihm im Augenwinkel der dunkelrote Einband eines Buches anlächelte.

Verwundert schaute der Junge zu dem Tisch in der zweiten Reihe, auf der anderen Seite des Raumes. Unter der Holzplatte, in der Gitterablage, lag eindeutig ein Buch. Ob dies jemand dort vergessen hat?

Doch es war gar keine Frage, wer es dort vergessen hat. Jeder wusste, wer auf diesem Platz saß. Der Platz, der am dichtesten zur Tür und zum Lehrerpult war. Der Platz, von dem man die ganze Klasse überblicken konnte. Der Sitzplatz des Lehrerlieblings.

Ohne zu zögern ging Kien auf den Tisch zu, schnappte sich das Buch und marschierte zurück zum Fenster, unter dessen er sich auf den Boden gleiten ließ.

Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er nur noch eine und ne halbe Stunde in diesem Gefängnis ertragen musste.

~•~

Meine Zunge streicht vorsichtig über meine Eckzähne, als ich weiter durch das Buch blättere. Mit amüsierter Aufmerksamkeit lese ich durch die Zeilen, welche mich mit jedem Satz zum schmunzeln bringen.

Das Buch, welches sich als ein Tagebuch entpuppte, verrät mehr Geheimnisse, als man meinen sollte und lässt mich doch sehr verwundert in Frage stellen, warum jemand so etwas überhaupt in die Schule schleppen würde.

Erneut geht mein Blick zu der Uhr. 45 Minuten, dann kann ich endlich los. Wenn ich es schlau anstelle, könnte ich der Direktorin meine Blätter auch schon früher zudrücken und sie lässt mich ohne zu fragen gehen.

Meine Augenbrauen ziehen sich bei meinen Gedanken zusammen.

Nein... Sie würde merken, dass ich meine Strafarbeit nicht gemacht habe und mich zurückrufen. Das heißt entweder, ich warte die Zeit ab, oder-

In der Hölle gibt es Yaoi (Oneshots) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt