Kapitel 2

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Herbst 2013
Inzwischen waren anderthalb Monate vergangen und ich würde noch gut sieben Wochen hier am Set verbringen. 
Bislang waren ich und der Rest des Casts ganz gut miteinander klargekommen. Meistens aßen wir gemeinsam abends, hin und wieder hatten wir Film Nachmittage oder Abende. 
Ich hatte trotzdem meine Schulsachen zu erledigen, was meist dazu führte, dass irgendjemand reinkam und mich störte, weil er was mit mir machen wollte, bis Scarlett vorbeikam und mitbekam was los war. Sie warf die Person dann raus. Mit der Begründung, dass sie nicht zuließe, dass irgendjemand meine Bildung gefährde weil er oder sie gelangweilt war. 
Meistens setzte sich dann zu mir und stellte sicher, dass ich auch wirklich arbeitete und alles verstand. 
Meinen Vater hatte ich in der Zeit kein Mal gesehen. Natürlich nicht, wieso sollte er sich auch darum kümmern was mit mir ist. Scarlett hatte einige Male nachgefragt, warum er mich nicht besucht oder ich ihn. Oder warum wir nie telefonierten. Auf ihre Fragen hatte ich nur ausweichende Antworten geben können. Was sollte ich denn auch sonst sagen? Mein Vater will halt nicht mit der Mörderin seiner Ehefrau reden. Ne kommt nicht in Frage.
“Charlie?” Ich zuckte zusammen. Niemand nannte mich Charlie aus dem einfachen Grund, dass mein Vater Charlie hieß. Scarlett und ChrisE kamen auf mich zu. Sie waren in normaler Alltagskleidung und abgeschminkt, genau wie ich, also waren sie wahrscheinlich mit den Szenen für heute fertig. 
“Hey.” Ich schenkte den beiden ein Lächeln, dass sie erwiderten. 
“Wir wollten im Cafe was zu trinken holen gehen. Willst du mitkommen?” ChrisE strahlte mich an, als hätte er mir gerade das Angebot gemacht meine größten Träume zu erfüllen. Scarlett lächelte mich auch an, aber im Gegensatz zu dem Mann kam sie näher und zog mich in ihre Arme. 
Das war noch so eine Sache. Von Anfang waren Scarlett und Lizzi diejenigen gewesen mit denen ich am meisten geredet hatte und beide hatten die Angewohnheit mich zu umarmen. Ständig. Überall. Zwischen Szenen, zur Begrüßung, wenn wir uns mit anderen unterhielten wurde ich plötzlich in die Arme von eine der beiden gezogen, die dann ihren Kopf auf meine Schulter legte. Auch wenn ich nichts dagegen hatte, war es mir dennoch unangenehm. Schließlich wussten sie nicht, dass ich eine Mörderin war, dass ich meine eigene Mutter umgebracht hatte. Sie sollten nicht so gut zu mir sein. Ich verdiente es nicht. Ich verdiente den Hass und die Wut meines Vaters, Ich verdiente die schlaflosen Nächte, die mir mein schlechtes Gewissen bereitete. Ich verdiente die blauen Flecken auf meinen Körper. 
“Charlie? Worüber denkst du nach?” Scarletts Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ihre Hand malte Kreise auf meinem Arm, während die andere mich fest an sie gezogen hielt. 
“Nichts wichtiges. Könnt ihr mich nicht Charlie nennen? Mein Vater heißt Charlie.” Die Erwachsenen nickten. Scarletts Hand malte noch Muster auf meinem Arm. 
“Okay. Kommst du mit zum Cafe, Lottie?” Sagte nun ChrisE und ich lächelte. Lottie hatte mich auch noch nie jemand genannt. Ich war immer nur Charlotte. 
“Ja sehr gerne. Ich muss nur kurz mein Geld holen.” Sagte ich, aber er schüttelte den Kopf.
“Ich lade die Ladys ein.” Er zwinkerte uns an, in seinen Augen glänzte etwas schelmisches. 
Scarlett lachte und ließ mich los, aber nur um meine Hand zu nehmen und mich mit sich zu ziehen.
Wir stiegen in ChrisE’s Wagen und er fuhr los. Scarlett saß wie fast immer neben mir. Sie hatte wieder angefangen Muster auf meine Hand zu malen. Ich schaute auf ihre Hand und dann in ihr Gesicht. Sie lächelte einfach nur. 
ChrisE hatte das Radio angeschaltet und es lief ‘Everything has changed’ von Taylor Swift und Ed Sheeran. Das Lied war eins meiner Lieblingslieder und ich begann unwillkürlich mit zu summen. 
“Magst du das Lied?” Fragte ChrisE von vorne, durch den Rückspiegel konnte ich sein grinsen sehen. 
“Ja. Das ganze Album ist echt gut.” Die beiden lachten leise während ich mich wieder auf das Lied konzentrierte. “Da wären wir.” Das Auto blieb stehen und wir stiegen aus. Das Cafe war relativ leer.
“Was hättet ihr gerne?” Fragte ChrisE nachdem wir uns gesetzt hatten. Ich warf einen Blick in die Karte.
“Eistee.” Sagte ich schnell und legte die Karte beiseite. Scarlett war noch in die Karte am schauen, aber ChrisE war schon fertig. “Ich nehme ein Stück Käsekuchen und einen Kaffee. Scar?”
“Kaffee und uhm einen Schokomuffin. Lottie du solltest auch was essen. Du hast kaum was zu Mittag gegessen.” Sagte sie und schaute mich an. “Ich bin nicht hungrig.” “Du solltest aber wirklich was essen.” Ihrer Stimme hörte man die Besorgnis an.
Mit einem Seufzen blätterte ich die Karte noch einmal durch. “Ein Käsesandwich?” Fragte ich und die Erwachsenen nickten zufrieden.
Nachdem wir bestellten hatten, lehnte sich ChrisE zurück und strahlte uns beide an.
“Das ist das erste Mal, dass du mitgekommen bist Lottie.” ich zuckte innerlich zusammen. Also hatten sie es bemerkt. Ich dachte ich wäre unauffällig gewesen, dass nicht auffallen würde, wie ich mich von ihnen distanzierte. 
“Uhm ja ich bin beschäftigt gewesen mit Schulkram und so.” Sagte ich während ich nach unten guckte. Meine rechte Hand, die eben auf Scarletts lag, begann mit ihren Ringen zu spielen.
“Du arbeitest zu hart. Du brauchst auch mal Freizeit.” Ich verdrehte die Augen. Als ob ich Erholung und Freizeit wollen würde. Freizeit ist Zeit, die ich zum nachdenken nutzen konnte. Also schlechte Zeit.
“Was verdrehst du die Augen. Er hat Recht. Du siehst ständig müde aus, du isst nicht genug. Wir machen uns nur Sorgen Honey.” Ich schaute immer noch auf den Tisch. Betrachtete das Muster und die Flecken, die sich über die Jahre in den Tisch gefressen hatten.
“Er müsst euch keine Sorgen machen. Mir geht’s gut.” Scarlett zog sanft ihre Hand unter meiner weg und legte ihren Arm um mich, bevor sie mich eng an sich ran zog. 
Ihre andere Hand legte sich unter mein Kinn, wodurch die mich zwang sie anzugucken. 
“Honey. Wir machen uns nun mal Sorgen. Und wir sind nicht die einzigen. Liz hat schon vorgeschlagen deine Eltern anzurufen.” Ich zuckte zusammen. Mein Vater durfte auf keinen Fall herkommen.
“Nein, bitte nicht. Mein Vater ist sehr beschäftigt.” 
“Was ist mit deiner Mutter?” fragte ChrisE nun. “Sie ist tot.” “Tut mir leid.” Murmelte er, während Scarlett mich enger an sich ran zog. 
“Darf ich fragen wie sie gestorben ist?” Der blonde schien nicht genug davon zu kriegen unangenehme Fragen zu stellen. 
“Autounfall.” Es war meine Schuld ergänzte ich in meinem Kopf.
“Was meinst du es war deine Schuld?” Scarlett strich mir übers Haar. Verdammt, hatte ich etwa laut gedacht.
“Nichts. Tut mir leid.” Unser Essen kam und ich trank einige Schlücke Eistee um mich zu beruhigen. 
“Es ist nicht nichts. Was meintest du damit?” Bohrte die Blondine nach. 
Ich schüttelte den Kopf und nahm das Sandwich um etwas zu essen, wie sie mich gebeten hatten.
“Charlotte. Was meinst du damit?” ChrisE’s Stimme war streng und ließ mich zusammenzucken. Für eine kurze Sekunde sah ich das dunkle Haar und die schwarzen, durch das Weinen und den Alkohol leicht geröteten, Augen meines Vaters. 
Ein Wimmern entfuhr mir und ich fühlte Scarlett mich wieder in den Arm nehmen. 
“Lottie. Alles ist in Ordnung. Du musst keine Angst haben. Wir wollen dir nur helfen.” Versuchte ChrisE, aber ich vergrub mein Gesicht in Scarletts Nacken.
Sie begann mich leicht hin und her zu wiegen um mich zu beruhigen. “Alles ist gut, keine Angst. Niemand hier wird dir etwas tun.” Sie strich mir über die Haare und wisperte in mein Ohr.
“Tut mir leid.” Murmelte ich, aber sie schüttelte den Kopf. 
“Willst du uns erzählen was passiert ist? Danach geht es dir sicher besser.” Ich wollte den Kopf schütteln, aber wusste, dass ich keine Chance hatte.
“Meine Mom musste mich nach der Schule holen kommen, weil ich noch mit meinen Freunden gespielt habe, anstatt den Bus zu nehmen.” Begann ich bevor mir die Tränen wieder in die Augen stiegen. 
“Sie hatte auf dem Weg zur Schule den Unfall. Wenn ich einfach den Bus genommen hätte, wäre sie noch am leben. Ich habe sie umgebracht.” Die Tränen liefen inzwischen frei über meine Wangen. Ich konnte sie schmecken und auch die Hitze in meinen Wangen fühlen.
“Oh Honey. Das war nicht deine Schuld. Sie hatte einen Unfall.” Versuchte Scarlett mich zu beruhigen, während sie wieder angefangen hatte mich hin und her zu wiegen, mein Gesicht in ihrem Nacken vergraben. 
“Aber sie wäre gar nicht im Auto gewesen, wenn ich brav gewesen wäre und getan hätte was man mir gesagt hat.” Die Tränen liefen jetzt schneller. 
Ich bemerkte erst nicht wie ChrisE aufgestanden war und gemeinsam mit der Verkäuferin unsere Sachen einpackte und bezahlte.
“Komm lasst uns zurückfahren.” Scarlett hielt mich fest als wir das Cafe verließen und auch als wir im Auto saßen waren ihre Armee noch fest um mich geschlungen.
Ich spürte wie ich müde wurde und schloss meine Augen. 
“Es ist okay. Schlaf ein bisschen Honey.” Hörte ich Scarlett noch sagen, bevor ich endgültig in einen tiefen Schlaf fiel.
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1493 Words

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