Avatar - Ruinen und Rebellion

Aufgeflogen

Lee rannte. Er rannte so schnell er konnte, aber er sah immer noch die Rücken seiner Teamkameraden langsam Abstand gewinnen. Er konnte kaum noch mithalten. Vor ihnen erstreckte sich eine lange, gerade Gasse. Die Häuser links und rechts waren in das orangefarbene Licht der untergehenden Sonne getaucht. Das Licht erreichte jedoch nicht den Boden und ließ ihn in dunklen Schatten liegen. Währenddessen schienen die Wände zu beiden Seiten näher zu kommen, als wollten sie ihn zwischen sich zerquetschen. Das bildete er sich nur ein. So viel wusste Lee. Aber während die Schritte hinter ihm immer näher kamen, kamen auch die Wände immer näher. Seine Brust fühlte sich an, als ob ein Riese ihn in der Hand hielt und langsam die Faust ballte. Die Gasse zog sich ewig hin. Seine Beine brannten und seine Lunge ging schwer. Trotzdem rannte Lee weiter. Er musste mithalten.

Plötzlich kamen sie vor ihm zum Stehen. Die Gasse ging nicht ewig weiter. Es war eine Sackgasse. Vor ihnen erhob sich eine beigefarbene Wand und versperrte ihnen den Weg. Es blieb jedoch keine Zeit umzukehren. Sora sprang zuerst. Sie hatte nicht angehalten, sondern war weitergerast. Jetzt flog sie geradewegs in die Luft, als würde sie von ihr getragen werden. Ihre Füße berührten die Oberkante der Wand und sie landete anmutig wie eine Katze. Corto stampfte auf den Boden, und die Erde erhob sich zu einer Stufe für den Rest von ihnen. Sora drehte sich um. Ihre Augen wurden groß.

Die Schritte hinter ihnen waren ebenfalls stehen geblieben. Ihre Verfolger standen still, und es gab nur einen Grund, warum sie das tun sollten. Sora sah es und Lee spürte es.

Für einen Moment war er wieder zehn. Ein kleiner Junge, der zitterte, als er spürte, wie sich das Feuer näherte, nur wenige Augenblicke, bevor es ihn verbrannte. Der Junge hatte sich nicht bewegt. Er hatte sich nicht gewehrt, weil er allein war und sich entschieden hatte, diesen Schlag einzustecken.

Doch jetzt war er nicht allein. Lee konnte sehen, wie sich das Feuer in den Augen von Roku und Sora spiegelte, die sich beide umgedreht hatten. Er sah, wie es sein orangefarbenes Licht auf Cortos Rücken warf, der wieder seinen Fuß hob und wahrscheinlich plante, eine Mauer zwischen ihnen und den Flammen zu errichten. Er würde es jedoch nicht rechtzeitig schaffen. Genauso wenig wie Mikki, der soeben seine Wasserbeutel aufriss.

Sie würden alle verbrennen, wenn der Junge den Flammen den Rücken zuwandte. Also bewegte sich der Junge. Er bewegte sich und tat, was sein Vater vor so vielen Jahren von ihm verlangt hatte. Er verteidigte sich.

Die Flammen prallten gegen die Wand zu seiner Rechten. Sein Feuerbändigen war nicht stark genug, um sie vollständig aufzufangen, also war seine einzige Möglichkeit gewesen, ihre Flugbahn zu ändern. Lee hatte das getan, während er sich drehte, und selbst dann hatte er halb erwartet, dass es scheitern würde. Er hatte keinen Feuerangriff mehr umgelenkt, seit er sein altes Zuhause verlassen hatte. Alles um ihn herum wurde still. Sein Geheimnis war raus. Jetzt würden sie ihn hassen und ihn mit Augen voller Schrecken und Verachtung anstarren. Irgendwie war Lee froh, dass er ihnen den Rücken zugewandt hatte.

"Lauft weiter!", befahl er durch das Getöse der Flammen, die gegen die Wand schlugen. Sie bewegten sich nicht. Keiner bewegte auch nur einen Muskel. Außer dieser einen Frau.

Seine Schwester lächelte. Es war kein glückliches Lächeln. Ihr Ausdruck war von einer Art grausamer Genugtuung erfüllt, die ihn tief in seinem Herzen traf. Lee hatte sie noch nie so gesehen. Das Mädchen, das er kannte, war immer fröhlich und lebhaft gewesen. Ein freundliches Kind, das der Gewalttätigkeit ihres betrunkenen Vaters als Einziges entkommen konnte. Das ihn immer mit leisen Worten beruhigen konnte.

Jetzt war all diese Freundlichkeit verschwunden. Sie starrte ihm direkt in die Augen, ihre eigenen von purem Hass erfüllt.

"Geht, verdammt noch mal!", wiederholte Lee und warf dann selbst einen Feuerball gegen die Wand. Er schoss ihn direkt aus seiner geballten Faust. Es war, als hätte er eine Art Bann gebrochen.