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Sprudelnd, überschwänglich und überaus detailliert weiht Gina mich während der gesamten Fahrt in jede winzige Neuheit ein, die sie über Jonathan herausgefunden hat. Die Informationen strömen nur so aus ihr hinaus, sie erzählt von seinen Insta-Followern, Hobbies die sie teilen und seinem Engagement für die Umwelt. Unter dem Vorwand, mich auf den Verkehr zu konzentrieren, höre ich nur halbherzig zu. Als ich von weitem die Ausfahrt in Richtung Amselhof erblicke, huscht mir ein kleines Lächeln über die Lippen. Wie ein göttliches Omen reißt die Wolkendecke auf, als wir auf den Parkplatz fahren. Grelle Sonnenstrahlen blenden uns auf dem Weg zu den matschigen Paddocks, welche durch die verregneten Aprilwochen teilweise unter Wasser stehen. Auf der Suche nach meinem Pferd wird mein Blick jäh gestoppt. "NEIN!", rufe ich und mache einen albernen Hampelmann um das von mir Gesehene sofort zu unterbinden. Doch Herzbube würdigt meinen traurigen Versuch nicht eines Blickes während er sich zielstrebig auf das riesige Matschloch in der Mitte des Paddocks zubewegt. "Du wagst es nicht!", rufe ich ihm zu, während ich mich unter dem Zaun durchquetsche um das unaufhaltsame Unglück abzuwenden, "Du kommst ins Tierheim! Schlimmer, Du wirst zu Wurst verarbeitet mein Freund!". Wirklich voran komme ich mit meinen Sneakern in diesem Matsch nicht und so muss ich frustriert mit ansehen, wie mein wunderschöner Wallach sich langsam ablegt um sich genüsslich mehrfach in diesem tiefen Tümpel von Pfütze zu wälzen. 
Ich starre frustriert zu dem matschbraunen Ungeheuer, in das sich mein liebes Pferd da gerade verwandelt, mit der unvergleichlichen Akustik von Ginas schrillem Lachen im Rücken. Sie hält sich den Bauch, so amüsiert ist sie. Plötzlich hält sie inne und wird aschfahl. Mein Blick hingegen lichtet sich und ich bedanke mich innerlich für das Urteil von Karma, dessen wir gerade Zeuge sein dürfen. Björn hat sich unauffällig angeschlichen und ich drauf und dran, es seinem Kumpel Herzbube gleichzutun. "Na Mädels, da habt ihr ja heute einiges vor euch", ertönt plötzlich eine derart tiefe Stimme hinter uns, dass sich meine Nackenhaare zu Berge stellen, "Ich hoffe, ihr habt Zeit mitgebracht." Gleichzeitig drehen Gina und ich uns um, nur um einen unbekannten Kerl vor uns zu erblicken. Unsicher schaue ich ich zwischen ihm und meiner Freundin her, nicht wirklich klar darüber wie ich reagieren soll. Anders Gina, die zwischen den diebischen Augen und dem frechen Grinsen unseres Gegenüber wohl Potential sieht. Sie setzt ihr süßestes Lächeln auf, klimpert in Richtung des Fremden und antwortet ihm spitz: "Na Du kannst uns ja helfen, Unbekannter." Der Typ geht offensichtlich auf den Flirt ein, lockert seine breiten Schultern und fährt sich mit einer Hand durch sein sonnengebleichtes, schulterlanges Haar. Mir fällt nur auf, wie riesig er ist, weil er auf Gina herabgrinst und ihr nun wortwörtlich von oben herab die Hand reicht. "Ich bin Mikkael, aber ihr dürft mich gern Mike nennen. Leider werde ich nicht fürs Rumstehen bezahlt." Er schüttelt Gina die Hand, zwinkert mir zu und macht auf dem Absatz kehrt. Sprachlos beobachten wir, wie der Hüne sich eine Mistkarre schnappt und in Richtung Stall abmarschiert. "Ist das ein Hintern.." höre ich Gina neben mir sabbern und erwache aus meiner Schockstarre. Auf meinen vorwurfsvollen Blick antwortet sie mit einem Schulterzucken. "Ich meine ja nur." 
Ich bin nicht nur perplex sondern auch satt von dieser Art Gespräch für heute, also erinnere ich mich an die Mission Pferd holen und schaue wieder Blickrichtung Paddock. Herzbube und Björn sind sich des Wälzens wohl überdrüssig und kommen gemütlich auf uns zu getrottet. Gerade als wir unseren Pferden die Halfter angelegt haben, hören wir eine grelle Stimme rufen: "Seid ihr wahnsinnig? Eure Stunde geht gleich los, Mädels. Ich hab doch auch Termine!" Ich folge dem Klang und entdecke Tanja, unsere Trainerin und Inhaberin des Hofes. Mit gerunzelter Stirn und in die Seiten gestemmten Händen schaut sie zu uns rüber. "Sorry Tanja!", murmelt Gina und auch ich entschuldige mich kleinlaut.
In einem Affenzahn schrubben, putzen und satteln wir unsere Pferde und machen uns auf den Weg in die Reithalle. Wir haben ein schlechtes Gewissen, als wir unsere Trainerin sehen und steigen unverzüglich auf. Beim Abreiten fängt Gina vorsichtig an, Tanja über den neuen Mitarbeiter auszufragen. Auch wenn ich wieder einmal über Ginas unersättliches Interesse an Männern genervt bin, erwische ich mich doch beim Lauschen. Tanja ist heute in Plauderlaune und erzählt uns, dass Mikkael gerade aus Amerika zurück ist. Dort hat er nach dem Abi ein Jahr auf einer Ranch gearbeitet und seine Trainerlizenz als Westerntrainer erworben. Er arbeitet jetzt auf dem Amselhof um etwas Geld anzusparen und sich dann selbstständig zu machen. Natürlich ein Reiter, denke ich genervt. Als Amateurin war ich bereits auf einigen Turnieren gestartet und verschiedenen gleichaltrigen Kerlen begegnet - allesamt abgehoben und überheblich. Sollte ich jemals einen Freund haben darf das definitiv kein Reiter sein. Wenn...
Ich schrecke aus meinen Gedanken und fokussiere mich auf Herzbube. Auch wenn wir im letzten Jahr viel geschafft haben, sind wir beide Feuer und Flamme für die nächste Turniersaison. Und so besteht mein Leben aus lernen , reiten und üben.

Nach der Reitstunde sind die letzten Matschflecken auf Herzbube endlich getrocknet - und ich klitschnass. Gina und ich führen unsere Pferde zum Stalltrakt. Bereits vor dem Tor höre ich die Besenstriche und verdrehe genervt die Augen. Gina und die Männerwelt - Kapitel zehn. Let the games begin.. Doch zu meiner Überraschung marschiert Gina ohne einen Mucks von sich zu geben an dem fegenden Mikkael vorbei. Wir satteln ab, putzen noch einmal über die Pferde und stellen sie dann zurück in die Box. Nachdem wir die Ausrüstung gewaschen und zurück an ihren Platz gestellt haben, finden wir Mikkael in Björns Box wieder. "Sag mal, hast Du den Arsch offen?", faucht Gina und reißt ihn an der Schulter herum. Sie mag ein Männermagnet sein, doch wenn es um ihren Björn geht kennt sie keine Gnade. "Was machst Du in meiner Box? Musst Du nicht arbeiten für Dein Geld?" Mikkael verzieht keine Miene, steht nur da und lässt ihren Wortschwall einfach an sich abprallen. Als sie nichts mehr zu sagen hat, antwortet er schließlich ruhig: "Dein Wallach hat eine offene Gurtlage. Ich habe die Wunde gesehen und versorgt." Und tatsächlich trägt er einen Handschuh und hält eine Jodflasche in der Hand. Gina beugt sich hinunter um die Wunde zu inspizieren und findet tatsächlich eine offene Scheuerstelle, als sie einen Büschel Haare beiseite schiebt. "Oh nein, das ist ja furchtbar. Mein armes Baby..". Schuldbewusst zuppelt sie an einem Dreckklumpen, welcher in dem Zottelfell des Isländers hängt. "Tut mir Leid, dass ich Dich so angegangen bin, Mike.. Wie hast Du die Wunde entdeckt?" Ich kenne Gina lang genug um zu erkennen, dass sie den Tränen nahe ist. Obwohl sie die Verletzung selbst verursacht hat, tut sie mir Leid. Und trotzdem, auch wenn es egoistisch ist, will ich gerade nur verschwinden. Mikkael nimmt die Hand von Gina, und führt sie langsam über Björns Schulter bis hin zum Rippenbogen. "Das habe ich in Amerika gelernt. Wir Westernreiter gurten komplizierter, als ihr Dressurpüppis. Ein kleines Sandkorn kann einen Tornado auslösen. Vor allem bei so einem Wollschaf!" Gina kichert. Hat der gerade ernsthaft Dressurpüppis gesagt? Ich bin raus. Also gehe ich unauffällig die Stallgasse hinauf zu Herzis Box. Ich öffne die Tür und spüre augenblicklich die tiefe Ruhe und Zufriedenheit in seiner Nähe. Ein leichtes Schnauben begrüßt mich und fast automatisch wandern meine Hände zu seinem Hals und graben sich in das warme, seidenglatte Fell. Ich verstehe vielleicht Männer nicht, aber ich verstehe Liebe. Genau dieser Moment, das ist für mich Liebe.

HEART RACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt