Das Wochenende startet sonnig, warm und überaus frühlingshaft - der Jahreszeit entsprechend. Das Wetter unterstreicht meine Gefühle, als ich voller Hoffnung und Zuversicht auf dem Weg zu Gina bin. Per Whatsapp haben wir bereits alle Neuigkeiten ausgetauscht und so blicke ich in ein strahlendes Lächeln zu Begrüßung. "Entschuldigen Sie bitte", näselt Gina gespielt arrogant, als sie zu mir ins Auto steigt, "aber mein Pferd hat für heute Morgen Erdbeermüsli bestellt. Ich sehe da nur gewöhnliches Müsli!". Wir kichern los. "Beschwör es nicht, Gina! Erstmal muss ich Tanja anbetteln, mich einzustellen." Eine Welle der Euphorie durchströmt jede Zelle meines Körpers. Fröhlich plaudernd machen wir uns auf in Richtung Stall.
Von Kopf bis Fuß in loses Pferdehaar eingedeckt stehen wir am Putzplatz, als Tanja an uns herantritt um die folgende Unterrichtsstunde zu planen. Die beiden Wallache genießen die pralle Sonne auf ihren Hinterteilen, welche dank unseres Arbeitseinsatzes inzwischen glänzen, wie eine vor Fett triefende Schweineschwarte.
Nach einer intensiven Kontrolle der Pferde beschließen wir, heute vom Boden zu arbeiten. Björns Verletzung ist noch zu frisch, um einen Sattelgurt anzulegen.
Gina und ich gehen in die Sattelkammer, um unsere Longierausrüstung und Kappzäume zu holen, als sie mich unsanft anrempelt und einen Wink gibt, Tanja anzusprechen. Ich halte kurz ein um mich zu sammeln, bevor ich an meine Reitlehrerin herantrete und sie schüchtern anspreche: "Tanja, ich hab da mal eine Frage..". Fragend hebt sie eine Braue und antwortet: "Ja, bitte?". Ich hole tief Luft bevor ich frage: "Kann ich vielleicht bei euch aushelfen? Ich brauche dringend einen Job, meine Eltern haben sich getrennt und das Geld reicht nicht für die Stallmiete.." Überrascht unterbreche ich mich selbst. Hoppla, da kamen ja gerade ganz schön viele Informationen aus mir gesprudelt. Tanjas Blick ist ebenso verdutzt wie meiner, doch sie antwortet: "Ich bräuchte wirklich jemanden der Mikkael nachmittags hilft". Ich kann nicht anders und falle ihr dankbar in die Arme. "Danke Tanja! Ich drehe jeden Pferdeappel einzeln um, wenn es sein muss!". Sie muss lachen und ich falle ein, den Namen Mikkael blende ich für diese Sekunde einfach aus. Wir einigen uns darauf, alle Formalien nach dem Training durchzugehen.
Gina, die natürlich alles mitgehört hat, knufft mir glücklich in den Arm. Wir grinsen uns an, bevor wir uns daran machen, die Pferde für die Stunde vorzubereiten.
Donnernd prescht Herzbube voran, ich beobachte wie sich die Muskeln über seinen Körper spannen, während er mir erhobenem Schweif seine Zirkel um mich dreht. "Emily, Oberkörper besser ausrichten, Schultern locker und mehr Übergänge! Wir sind in der Lösungsphase und nicht auf dem Kinderkarussel", brüllt meine Reitlehrerin da von der Bande zu mir. Ich lockere meine Schultern und pariere den Wallach zum Schritt durch. Ich senke die Peitsche in meiner Hand und versuche, meinen Oberkörper direkt auf Herzis Schulter zu richten. Mit lauter, aber gefasster Stimme fordere ich ihn nach einigen Takten wieder auf, anzutraben und sehe sofort einen deutlichen Unterschied. Nach einigen Schritt-Trab-Übergängen gelingt es mir schließlich, Herzbuben in einen gleichmäßigen Tempo locker abzuarbeiten. Zufrieden streckt er den Kopf aus und wird schön locker in der Hüfte. Gleichmäßig hüpft seine Kruppe auf und ab, während sein aufmerksames Ohrenspiel mir zeigt, dass er genauso fokussiert ist wie ich.
"Schöne Stunde, Mädels!", lobt uns Tanja, bevor wir die Halle verlassen, "Emily Dich sehe ich dann gleich im Büro!". Ich strecke den Daumen zur Bestätigung aus, bevor wir uns in Richtung Stalltrakt bewegen.
"Geh ruhig, Emi. Ich mache die zwei Jungs fertig", bietet Gina mir an. Ich bedanke mich und eile zum Büro. Das Wohnhaus von Tanja steht in der Mitte des Hofs und wird dem Namen Traumhaus allemal gerecht. Der umgebaute Stalltrakt wurde modern verglast und bietet so Tag und Nacht Ausblick auf die umliegenden Pferdekoppeln.
Ich trete ein und die Holzdielen knarren unter meinen Schritten. Zielstrebig gehe ich auf das letzte Zimmer zu und höre schon im Flur, dass Tanja nicht allein im Büro sitzt. "Das mag sein, aber ich soll nebenbei den Trail bauen und Reitstunden geben, dazu kann ich sie nicht gebrauchen!", höre ich Mikkaels Stimme. Ein Knoten zieht sich in meinem Bauch zusammen und ich bleibe stehen, um Mäuschen zu spielen. Dass gerade Mikkael, dieser Vollidiot, gerade dabei ist meinen Traum zu zerstören lässt mich wütend und fassungslos zurück. "Quatsch!", entgegnet ihm Tanja gerade, "Emily ist eine meiner besten Reiterinnen. Sie kann Dich auf die Turniere begleiten, kennt sich mit Pferden aus und ist bereit, hart zu arbeiten." Ich würde Tanja am Liebsten gerade knutschen! Zur Antwort murmelt Mikkael etwas und ich muss mich vorbeugen, um ihn besser verstehen zu können. "Ja bitte?" tönt da Tanjas strenge Stimme laut aus dem Raum. Mist! Das laute Knarzen einer holzigen Diele hat meine Anwesenheit verraten.
Ertappt stolpere ich ins Büro. "Hey.. ich wollte euch nicht unterbrechen!", versuche ich es mit einer Notlüge. Mein eigener Körper verrät mich und mein Kopf läuft knallrot an. Verlegen zucke ich mit den Schultern, woraufhin Mikkael aufsteht, seinen albernen Lederhut aufsetzt und die Hand erhebt. "Gut, dann hat sich das hier geklärt. Wir sehen uns am Montag, Greenhorn", meint er trocken zu mir und verlässt den Raum. Sprachlos schaue ich ihm hinterher.
"Ach, jeder trägt sein eigenes Päckchen, Emily. Er kann besser mit den Pferden, glaub mir. Mikkael macht einen tollen Job", rechtfertigt Tanja das unverschämte Verhalten von Mikkael und bedeutet mir, Platz zu nehmen. Mir ist unklar, weshalb sie Partei für ihn ergreift, doch ich folge wie mir geheißen und lasse mich in den schweren Ledersessel nieder.
In der folgenden halben Stunde klären wie den bürokratischen Teil meines angehenden Minijobs auf dem Amselhof. Wir einigen uns auf einen Preisnachlass in der Boxenmiete und dankbar nehme ich Tanjas Angebot an, gegen zusätzliche Arbeitsstunden gratis Reitstunden nehmen zu dürfen.
Zufrieden und mit einem frischen Arbeitsvertrag in den Händen verlasse ich das Büro und mache mich auf den Weg zu Gina, die in der Zwischenzeit unsere Pferde abgeputzt und mit frischen Möhren versorgt hat. Als ich ankomme, stehen die Jungs zufrieden mümmelnd am Putzplatz, während Gina in ihr Handy vertieft daneben steht.
Es ist noch nicht einmal Mittag und bis zur Party heute Abend haben wir noch reichlich Zeit, also beschließen wir, die Pferde auf das frische Grün der Anweidefläche zu entsenden.
So stehen wir einige Zeit später, Björn und Herzbube am langen Strick zufrieden mit den Köpfen am Boden knabbernd, nebeneinander in der Sonne.
"Wow, das ist echt mehr als fair. Das heißt, Du hast nicht nur die Pension drin sondern noch etwas Taschengeld obendrauf?" fragt Gina mich interessiert, nachdem ich ihr jedes Detail erzählt habe. Ich nicke und antworte: "Jep, spätestens im Studium kann ich jeden Cent extra brauchen. Ich hoffe nur, dass ich nicht oft mit Mikkael arbeiten muss, der Typ geht mir aber mal gehörig auf die Nerven..". Allein dieser Name bringt meine Augen mechanisch dazu, sich theatralisch zu verdrehen, was Gina ihrerseits zum Kichern bringt. "Ich kann mir wirklich was Schlimmeres vorstellen, als mit einem Unterwäschemodel zu arbeiten", entgegnet sie frech. "Pah!", entrüste ich mich, "dieser Typ ist das perfekte Beispiel für mein ewiges Singledasein. Schöne Fassade, aber den guten Charakter kann ich irgendwie nicht finden". Grinsend schaut meine beste Freundin mich an. Fragend hebe ich die Augenbraue. "Was denn?", frage ich nach, wohlahnend dass sie nichts Gutes im Sinn hatte. "Na ja, wo wir gerade von Typen mit einem süßen Charakter sprechen..", beginnt sie, "gibt es da nicht jemanden, der super nett und darüber hinaus noch mega interessiert an Dir ist?". Verdutzt gaffe ich sie an. "Bitte was? Wo hast Du denn überall gesucht, mir fällt da nämlich keiner ein!", entgegne ich und weiß wirklich nicht, was sie meint. "Chris?!", lacht Gina zurück, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, "der hat die ganze Zeit nur mit Dir geredet. Und Jona meinte, er hat tausendmal gefragt, ob Du wirklich heute Abend zur Party kommen willst. Als ob Du das nicht mitbekommen hast!". Ich bin wirklich überwältigt, doch wenn ich so darüber nachdenke ergibt es schon Sinn, was Gina mir da erzählt. "Oh Gott, Gina..", fange ich an, "ich habe das nicht einmal mitbekommen. Was mache ich denn jetzt? Das letzte Mal, als ein Typ Interesse an mir hatte, war in der Grundschule..". Ich muss wirklich verzweifelt aussehen, so wie Gina darüber lachen muss. Ich falle mit ein und pruste: "Ich weiß nichtmal, wie man flirtet! Das kann ja was werden..".
Verschmitzt guckt Gina mich an: "Also das klingt ja zumindest so, als wärst Du nicht ganz uninteressiert!". Diese Worte lassen mich ruhiger werden und in mich kehren, und ich muss feststellen: Sie hat recht. Chris ist wirklich ein lieber Kerl, seine feuerroten Haare unterstreichen die Hingabe zu den Themen, die ihn interessieren. Ich zucke unbeteiligt die Schultern. "Schon, er wirkt zumindest echt cool..". Theatralisch fächert Gina sich Luft zu. "Ich kann es nicht glauben. Meine beste Freundin, Emily Blankenburg, interessiert sich für einen.. echten MANN!".
Wieder fangen wir hysterisch an zu kichern und beginnen mit der Planung für heute Abend.
Als der Wecker klingelt, machen wir uns zurück zum Hof, immer noch in ein tiefes Gespräch über Kleidung, Frisuren und Makeup verwickelt.

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HEART RACE
JugendliteraturDie Schülerin Emily führt ein angenehmes und harmonisches Leben. Neben der Schule verbringt sie jede freie Minute mit ihrem Herzbuben - ihrem treuen vierbeinigen Begleiter. Doch bald schon sollen sich Harmonie und Ruhe in ein Chaos voller Gefühle u...