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Sanft streichelt die frische Frühlingsbriese über die zarten Halme, die sich ihren mühsamen Weg durch den harten, kalten Boden erarbeitet haben und nun wie winzig grüne Farbspritzer aus der kahlen Erde sprießen. Ich erschaudere und ziehe die Jacke zu, während mein Blick über die weiten Wiesen streift von denen ich umgeben bin. Ich fühle, wie mich der Anblick der weiten, klaren Ferne in ein angenehmes Wohlgefühl taucht und vergesse für einige Momente alles um mich herum. Mit Erstaunen stelle ich fest, wie der April die Umgebung in den letzten Wochen immer mehr mit Farbe gefüllt hat. Die Weiden sind in ein sanftes Grün getunkt, das Wäldchen am Ende des Horizonts blüht in wunderschönen Pastellfarben.
Meine sinnliche Auszeit von der Realität kommt zu einem jähen Ende, als mein schriller Handywecker in meiner Jackentasche losgeht. Erschrocken stelle ich das Handy aus, richte meine Jacke und greife den Führstrick fester, welcher die ganze Zeit über in meiner Hand gelegen hat. "Komm mein Junge", sage ich liebevoll und meine damit den fuchsfarbenen Wallach, der nahezu lautlos neben mir am grasen war, "Deine Zeit für heute ist um!". Entschlossen strecke ich meine ausgekühlten Glieder und richte mich Richtung Koppeltor. Herzbube ist zu gut erzogen um mir nicht zu folgen, die Sehnsucht auf das erste saftige grüne Gras des Jahres lässt ihn jedoch lethargisch neben mir hertrotten. Mitleidig beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln. Nur zu gern würden die Besitzer der Pferde auf dem Amselhof ihre vierbeinigen Freunde schon auf die weitläufigen Koppeln der Anlage entsenden, damit diese die ersten Sonnenstrahlen des Jahres einfangen konnten. Doch jedem von uns war bewusst, dass sich die empfindlichen Pferdemägen nach einem langen Winter voller Raufutter erst auf die frischen Sprossen einstellen und wir die Tiere somit nach und nach an die grünen Flächen gewöhnen mussten. Gemütlich wandern Herzbube und ich über die Weiden zurück zur Hofanlange. Schon von weitem erkennt man den imposanten Holzbau, in dem sich unsere Reithallte befindet. Ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie riesig der gesamte Hof mit seiner modernen Reithalle, den zwei Reitplätzen und Stalltrakten aus der Ferne wirkt.

Über den Innenhof gelangen Herzbube und ich zum Anbindeplatz vor dem Einstellerstall. Im Vorbeigehen begrüße ich die bekannten Gesichter, welche wie ich das angenehme Frühlingswetter zum Anlass genommen hatten, einen langen Tag am Stall zu verbringen. Ich suche mir einen freien Platz und binde mein Pferd an. Seelenruhig und folgsam platziert sich der Herzbube, entlastet sein Hinterbein und genießt die Sonnenstrahlen auf seiner runden Kruppe. Ich mustere ihn von Kopf bis Fuß und stelle erstaunt fest, wie sehr mich dieses Pferd mit seiner Schönheit nach all den Jahren immer noch ohne weiteres blendet. Zugegeben, das verbliebene krause Winterfell zerstört die perfekte Dressurpferde-Optik, dennoch könnte ich ihn jetzt und hier ablichten und die Fotos würden perfekt gelingen. Das rote Fell des siebenjährigen Wallachs funkelt wie tausend Rubine, seine vier hochweißen Beine sind zur Abwechslung nicht schlammbespritzt und trotz seiner Entspannungshaltung ziehen sich Muskeln über den großrahmigen Körper. Ich wende den Blick ab und schlendere in Richtung Sattelkammer, dabei blitzen Bilder vom Pferdekauf vor 4 Jahren in meinem Kopf auf. So verschwommen die Erinnerungen auch sein mögen, das erste Treffen mit Herzi hat sich wie ein Tattoo in mein Gedächtnis gebrannt. Dreijährig, unterbemuskelt und dürr, frisch gelegt weil er nicht gekört wurde war dieses Pferd nicht das, was ich gesucht hatte. Keinen Fuchs, Hauptsache keinen Fuchs wollte ich damals haben. Eine Lehrstute sollte es sein, im besten Alter und mit Turnierambitionen. Hat ja fast geklappt.
In der Sattelkammer angekommen marschiere ich direkt zu meinem großen Bundeswehrschrank, in dem ich sämtliche Ausrüstung für Herzi aufbewahre. Über die Zeit hat sich einiges angesammelt, doch heute greife ich bewusst nach einer Metallbürste, fest davon überzeugt, dem losen Winterhaar damit den Garaus zu machen.

"Na wenn es mit echten Männern schon nicht klappt, hast Du ja wenigstens diesen Traumprinzen." Wieder einmal komplett aus meiner Gedankenwelt gerissen, drehe ich mich blitzschnell um. "Na hör mal", erwidere ich der blonden Schönheit, die sich da gerade von hinten an mich rangeschlichen hat, "es kann ja nicht jeder so ein Männermagnet sein, wie Du Gina!" Gespielt empört stemme ich die Hände in meine Hüften, drehe mich zurück zu meinem Herzbuben und betrachte stolz mein Werk. "Ich würde Dich ja umarmen Süße, aber Du siehst aus wie ein Yeti.", grinst Gina mich da frech von der Seite an. "Ich bin übrigens neidisch", fügt sie an, "Ich habe keinen blassen Schimmer, wieso es bei mir ein Isländer sein musste." Wie abgesprochen drehen wir uns zu dem Pony um, welches sie am Strick führt und mir entgleisen meine Gesichtszüge. Die Versuche, den dunkelbraunen Björn zu enthaaren, haben offensichtlich nicht gefruchtet. Beinahe habe ich Mitleid mit dem armen Kerl, der dort wie ein überaus zotteliges und gerupftes Huhn mitten im Hof steht und ein wenig dämlich aus der Wäsche guckt. "Na sieh es doch mal positiv", antworte ich besänftigend, "zumindest hat er so einen fülligen Schopf, dass er nicht viel davon mitbekommt..." Vorsichtig lurke ich zu Gina hinüber, welche ihrerseits nun sehr empört aussieht. Einige Sekunden sehen wir uns so an, bis ihr verzogener Mund sich zu einer breiten Grimasse öffnet und sie prustend loskichert. Es macht mich ein klein wenig wahnsinnig, wie diese Person so unglaublich albern und zugleich so gutaussehend sein kann. Während Gina sich vor lachen krümmt, wippen die leicht gelockten, schulterlangen Haare wie flüssiges Gold im Takt, ihre zierliche Nase kräuselt sich und während aus ihren vollen Lippen animalische Lachgeräusche erklingen, füllen sich ihre riesigen braunen Bambiaugen mit Tränen. Ich falle in ihre lockere Kicherlaune ein und wir albern noch weiter herum, während sie Björn neben Herzi anbindet. Eine Freundin wie Gina zu haben, dessen mache ich mir immer wieder bewusst, ist etwas ganz Besonderes. Freunde die sich so gut kennen, wie Gina und ich es tun, eine jahrelange Freundschaft voller Vertrauen und gemeinsamer Geschichten, ja so etwas ist selten.

Es dämmert bereits, als Gina und ich zum Parkplatz laufen. Nachdem die Pferde versorgt und das Chaos, welches wir hinterlassen hatten, beseitigt war, waren wir beide mehr als erschöpft. Mit einem kurzen Druck auf die Fernbedienung öffnet sich mein kleiner roter Seat, wir öffnen unsere Türen und lassen uns auf die Sitze fallen. Die Dunkelheit wickelt sich wie ein dichter, schwarzer Nebel und wird nur von den Scheinwerfern des Autos durchbrochen. Das Radio summt im Hintergrund während wir schweigsam über die Straßen der Vorstadt rollen.

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