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Geschäumte Zahnpasta läuft an meinen Mundwinkeln hinunter, während ich mir beim Zähneputzen im Badezimmerspiegel selbst in die Augen starre. Zurück schaut eine hagere 18jährige mit dunkelbraunen, lockigen Betthaaren. Verstimmt beobachte ich jeden Zug meines Gesichts. Meine Augenbrauen erinnern mich an buschige Bärentatzen, welche über die blauen Augen prangen, während meine Lippen viel von dieser Fülle vermissen. Die dunklen Schatten auf der Haut sind ein eindeutiges Indiz für die schlaflosen Nächste welche ich mit dem Lernen für die Abiturprüfungen verbringe. Ein Opfer, welches ich gern einging, sofern ich dann genügen Freizeit für meinen Herzbuben aufbringen konnte. Nein, mein Gesicht ist keines was man nie wieder vergisst und mein Leben nicht sonderlich spektakulär. Ich spucke die klebrige weiße Paste in das Spülbecken und wasche die Rückstände mit klarem Wasser aus. Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als die Mittelmäßigkeit meines Lebens mit genau dieser Leichtigkeit einfach abspülen zu können. Grob rubble ich mein nasses Gesicht mit einem Handtuch trocknen, atme tief ein und schiebe meinen Unterkiefer leicht nach vorn, während ich mir ein falsches Lächeln auf die Lippen zwinge. Ein schlechtes Gewissen ergreift mich, derart privilegiert und dennoch undankbar zu sein, also schiebe ich die negative Energie so gut es gerade geht beiseite.
Ich beeile mich mit den morgendlichen Aktivitäten und sprinte schließlich mit einer leichten Verspätung zu meinem Auto, lasse den Motor an und fahre etwas zu zügig los. Auf dem Weg zur Schule sammle ich Gina ein, welche bereits vor dem Haus ihrer Eltern wartet und dabei umwerfend aussieht. Mit dem Bestehen des Führerscheins haben sich für uns beide gleichermaßen neue Türen und unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, da wir nahezu jederzeit und überall aufeinander hängen.
"Emily Du bist ein Monster!", eröffnet sie das Gespräch theatralisch, während sich Gina auf den Beifahrersitz plumpsen lässt, sich anschnallt und mit einem Krachen die Tür schließt. "Wir sind mitten in der Prüfungsphase, und wir kommen zu spät zum Vorbereitungskurs!" Unfreiwillig fällt mein Blick auf ihr viel zu tief ausgeschnittenes Oberteil, als sie sich zu mir beugt um mich zur Begrüßung zu umarmen. Ich erwidere die Begrüßung, fahre an und antworte vielleicht ein wenig zu schnippisch: "Dir auch einen guten Morgen, Gina. Wusste gar nicht, dass Du heute plus zwei kommst!" Entsetzt starrt Gina erst zu mir, dann auf ihr prall gefülltes Dekolleté, bevor sie bockig ihre Arme verschränkt. Mein Blick ist starr auf die Straße und den vor mir liegenden Verkehr gerichtet, doch das böse Funkeln aus ihren Augen kann ich gar nicht übersehen. "Emily Blankenburg, Du prüdes Weib! Du weißt genau, wer heute mit uns im Kurs sitzt und ich habe nicht vor, diese Chance nicht zu nutzen." Ein genervtes Seufzen unterstreicht mein Schmollen. Natürlich ist mir bewusst, dass die 12. Klasse vor allem eins zu bieten hatte: Heiße Kerle. Die Pubertät haben wir überstanden, da wo einst Pickel sprießten haben wir jetzt die Aussicht auf volle Bärte und harte Bauchmuskeln. Und natürlich ist mir auch bewusst, dass sich Gina an dieser Fleischtheke bis zum letzten Bissen bedienen würde, doch mir schmeckten diese oberflächlichen Attitüden ihrerseits gar nicht. Das Abitur und unsere Noten sollten wichtiger sein, als kokette Flirts im Vorbereitungskurs - zumindest hatte ich mir das in der Vergangenheit so häufig eingeredet, dass ich fast den eigentlichen Grund für meinen Groll vergessen hatte. Meine Unfähigkeit, mit Kerlen zu kommunizieren.
Während der restlichen Fahrt hatte keiner von uns auch nur einen Ton gesagt und als der Wagen in die Parkplatzauffahrt rollt um schließlich zum Stehen zu kommen, drehe ich mich versöhnlich zu Gina, lege meine Hand auf ihren Unterarm und meine: "Du bist beinahe erwachsen und darfst machen, was Du möchtest. Ich vertraue Dir und liebe Dich, aber Du musst verstehen dass ich besorgt um meine beste Freundin bin!" Nach diesen überaus kitschigen aber absolut ernstgemeinten Worten schaue ich hinüber zu Gina, deren Augen sich mit Tränen füllen. "Du bist so ein dramatischer Idiot. Ich liebe Dich auch!" heult sie los und wir fallen uns in die Arme bis mein Blick auf die Uhrzeit im Cockpit des Autos fällt. "Scheiße, wir müssen los!", rufe ich und so hasten wir ins Schulgebäude. Trotz der Verspätung schaffen wir es gerade noch rechtzeitig in den Klassenraum.
Der angestaute Adrenalinpegel sinkt mit jeder Minute, die vergeht. Lustlos lausche ich den ewig andauernden Tiraden des Lehrers, kritzele einige Notizen in meine Unterlagen und versuche inständig, dem Unterricht zu folgen. Erfolglos. Ein Kichern zu meiner Rechten erweckt meine Aufmerksamkeit und unauffällig lurke ich zu Gina, welche ein kleines Zettelchen in ihren Händen hält und ein strahlendes Blendamed-Werbelächeln quer durch den Raum schickt. Ich folge ihrem Blick und schaue direkt in die schmierige Visage von Jonathan, dem Grund für Ginas aufreizendes Outfit. Blitzartig wende ich den Blick wieder nach vorn, als würde mir irgendjemand in diesem viel zu kleinen Raum abnehmen dass ich dem Lehrer folgte. Den Rest der Stunde konzentriere ich mich akribisch darauf, mich zu konzentrieren - mit mäßigem Erfolg. Ginas vorschulischen Zettelflirt versuche ich dabei auszublenden und am Ende der Stunde fühle ich mich sogar beinahe ein wenig intelligenter. Zufrieden packe ich meine Siebensachen ein, nur um beim Aufstehen festzustellen, dass Gina unversehens zu Jonathan geflitzt ist. Ich warte gar nicht auf sie, sondern verlasse den Raum in die Pause. Wie eine zähe Teermasse strömt eine Schar aus Schülern durch den Gang. Kurz bleibe ich in der Tür stehen um die unmotivierten Gesichter genauer zu betrachten, bevor ich mich aufmache und treiben lasse, eins mit der Masse zu werden.

Um zumindest etwas beschäftigt zu wirken, stehe ich lässig an mein Auto gelehnt und scrolle an meinem Handy durch den neusten Instagramfeed. Eine Schulklingel läutet die nächste Stunde für die Unterstufen ein und ein wenig nostalgisch blicke ich über den sich leerenden Parkplatz. Die neu gewonnene Freiheit als Oberstufler wollte ich bei meinem Pferd verbringen um mich auf die kommende Turniersaison vorzubereiten, stattdessen hocke ich nun hier auf dem versifften Parkplatz. Flehend fällt mein Blick an den Schuleingang, in dem Jonathan und Gina stehen und schnacken. Den ganzen Tag hatte ich wie ein klebriger Kaugummi an deren Schuhsole geklebt und mich mindestens genauso dreckig dabei gefühlt. Gerade als ich richtig schön am Starren bin, dreht sich Gina zu mir um und winkt mir freudestrahlend zu. Ich erwidere den Gruß, fühle mich jedoch auf frischer Tat ertappt und flüchte mich ins Auto.

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