Den Sonntag verbrachte ich mit Haru zu Hause, wir schauten ein bisschen fern und spielten mit unseren Eltern zusammen Spiele. Zwischendurch schrieb ich mit Satori, keiner von uns erwähnte die vergangene Nacht, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es merkwürdig zwischen uns geworden war. Im Gegenteil, es fühlte sich eher etwas leichter an. Ich schrieb ihm einfach, was mir in den Sinn kam, ohne darüber nachzudenken. Vorher hatte ich das nicht getan, ich hatte immer jede Nachricht genau abgewogen. Aber die vergangene Nacht gab mir das Gefühl dem Rothaarigen alles anvertrauen zu können, egal was es war.
Abends aß ich mit meiner Familie zusammen, meine Mutter hatte darauf bestanden, nachdem mein Vater am Vortag schon nicht anwesend gewesen war. Umso mehr verwunderte es mich, dass meine Mutter nur in ihrem Essen herumstocherte und mein Vater ihr immer wieder einen besorgten Blick zuwarf. Schließlich seufzte sie und rückte endlich damit heraus, was sie bedrückte: „Eure Großeltern möchten, dass ihr in der vorletzten Ferienwoche zu ihnen nach Tokio kommt."
Ich sah meine Mutter ungläubig an. „Das ist ein Scherz!?"
Meine Mutter seufzte erneut. „Nein, ich meine das ernst. Sie möchten Haru besser kennenlernen und dich auch, nachdem..." sie ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen.
„Sie haben also ganz plötzlich ihre Meinung geändert, ja?" Ich sah meine Mutter mit einem spöttischen Lächeln an.
„Bitte, wir können da doch ganz in Ruhe drüber sprechen," mischte mein Vater sich ein. Haru sah uns fragend an. „Wir haben Großeltern in Tokio?"
Ich zeigte mit meiner Hand in Harus Richtung und zog die Augenbrauen hoch. „Müssen wir da wirklich weiter drüber reden? Haru kennt sie nicht mal, so lange haben sie sich nicht blicken lassen."
Meine Mutter legte ihr Besteck unsanft auf dem Tisch ab und sah wütend zu mir herüber. „Stimmt." Sagte sie dann trocken. „Ihr werdet am Sonntag zu ihnen fahren, Punkt."
Mir klappte der Mund auf. „Mama!"
„Es sind eure Großeltern... Meine Eltern. Und sie haben eine Chance verdient ihre Abwesenheit in der Vergangenheit wieder gutzumachen. Also werdet ihr hinfahren. Ende der Diskussion."
Ich sah entgeistert zu meinem Vater, doch dieser schüttelte nur stumm mit dem Kopf. Ich knallte mein Besteck auf den Tisch. „Schön!" Dann stand ich auf, lief aus dem Wohnzimmer und stampfte wütend die Treppe nach oben. Ich achtete darauf die Zimmertür mit voller Wucht zuzuschlagen, ehe ich mich wütend auf mein Bett fallen ließ. Meine Großeltern hatten meine Mutter damals im Stich gelassen, als sie direkt nach der Oberschule schwanger wurde. Sie waren zutiefst enttäuscht, dass ihre Tochter, ihrer Meinung nach, ihr Leben einfach wegwarf. Ihre Enttäuschung ging sogar so weit, dass sie nach Tokio zogen und mit meiner Mutter nichts mehr zu tun haben wollten. Von ihrem ersten Enkel, Seki, wollten sie auch nichts wissen.
Erst nach und nach in den letzten Jahren hatte meine Mutter wieder Kontakt zu ihnen aufgenommen und wir hatten sie ein paar Mal besucht. Sehr unregelmäßig und immer lag viel Zeit dazwischen. Und immer mussten wir zu ihnen fahren, nicht einmal nahmen sie den Weg zu uns auf sich.Es klopfte an meiner Tür und mein Vater streckte seinen Kopf hindurch. „Darf ich reinkommen?" ich zog die Beine seufzend an und schlang meine Arme drumherum. „Wenn's sein muss..."
Mein Vater kam herein, schloss die Tür hinter sich und ließ sich neben mir auf das Bett fallen. „Sei nicht sauer auf deine Mutter."
„Muss ich wirklich dahin?" fragte ich murrend.
„Wenn es nach mir ginge, nein. Aber Haru kann nicht allein fahren und außerdem möchten die beiden auch dich gerne sehen."
Ich richtete mich auf, lehnte mich gegen die Zimmerwand und drehte meinen Kopf zu meinem Vater. „Können wir stattdessen nicht zu deiner Mutter?"
Mein Vater setze ein mitleidiges Lächeln auf. „Ich verstehe, dass du nicht fahren möchtest, aber es ist deiner Mutter sehr wichtig. Sie würde es niemals offen zugeben, aber eigentlich wünscht sie sich die beiden immer noch in ihr Leben zurück und das alles wieder so ist wie früher. Es sind immerhin ihre Eltern. Vielleicht könntest du ihr zuliebe einfach deinen Widerstand aufgeben?"
Ich zog die Nase kraus und gab ein jammerndes Geräusch von mir.
„Ich geh auch vorher mit dir Bücher kaufen, dann hast du zu jeder Zeit ausreichend Flucht-Möglichkeiten."
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Das ist Bestechung."
Mein Vater zwinkerte mir zu. „Manche Situationen erfordern das."
Ich holte tief Luft und atmete sie laut wieder aus. „Na schön..."
Mein Vater lächelte, legte seinen linken Arm um mich und zog mich an sich. „Das ist mein Mädchen." Ich lehnte mich seufzend gegen meinen Vater. Er war schon immer der diplomatische in der Familie gewesen. Während es zwischen meiner Mutter und mir öfter krachte, hatte er das Talent die Konflikte durch seine ruhige Art wieder aufzulösen.
„Und wenn es gar nicht anders geht, gehst du eben zu deinem Onkel, der freut sich bestimmt dich zu sehen. Und mit Akinori hast du dich doch auch immer gut verstanden."
Akinori war mein Cousin und wir hatten uns früher tatsächlich gut verstanden, allerdings lebte mein Onkel da mit seiner Familie noch in unserer unmittelbaren Nähe. Im Gegensatz zu meinen Großeltern, hatte er den Kontakt zu seiner Schwester, meiner Mutter, nicht einfach abgebrochen, sondern sie unterstützt. Doch vor einigen Jahren hatte er ein sehr lukratives Jobangebot in Tokio bekommen und so war auch er mit seiner Familie umgezogen. Zwar verstanden meine Mutter und mein Onkel sich nach wie vor sehr gut, doch auch ihn sahen wir nicht sehr oft. Darunter hatte natürlich auch das Verhältnis zu meinem Cousin gelitten und wir standen kaum noch in Kontakt. Die Aussicht Akinori mal wiederzusehen, milderte meinen Frust allerdings etwas ab.
„Ja...ich werde die Woche schon irgendwie überleben..."
Später am Abend rief ich Satori an und erzählte ihm von Tokio und meinen Großeltern. „Du musst also fahren, obwohl du nicht willst?" fragte er am Ende des Telefonates. Ich seufzte. „Jaa...aber naja, irgendwie werde ich die Woche schon überstehen. Immerhin kann ich meinen Cousin mal wieder sehen, also vielleicht...er weiß ja noch gar nichts davon."
„Und wenn es gar nicht anders geht, komm ich und hol dich ab."
Ich stutzte, dachte zwei, drei Sekunden über seine Worte nach. „Das meinst du ernst, oder?"
„Absolut."
„Danke."
„Klar."
Schweigen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Ich räusperte mich. „Ich sollte wohl mal schlafen."
„Okay."
„Gute Nacht?"
„Gute Nacht und... ich meine das wirklich ernst."
„Ich weiß..." Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
„Okay."
„Gute Nacht, Satori."
„Gute Nacht, Nana."
Ich wartete kurz, drückte dann aber doch auf den roten Hörer und beendete das Telefonat. Ich starrte noch immer lächelnd auf das schwarze Display meines Handys, schüttelte dann den Kopf und legte es auf meinen Nachttisch ab. Ich dachte noch lange über Satoris Worte nach. Bei jedem anderen wäre ich mir sicher gewesen, dass es einfach nur so daher gesagt war. Machte man das nicht so? Leere Versprechen geben, um dem anderen zu signalisieren, dass man füreinander da war? Aber der Rothaarige klang so ernst und überzeugt, dass ich ihm glaubte, dass er mich tatsächlich aus Tokio abholen würde, wenn ich ihn darum bat.
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Tendou x Reader
FanficSeine roten Haare leuchteten in der Sonne, die durchs Fenster schien. Ein sanftes Lächeln zierte sein Gesicht, er sah so friedlich aus, irgendwie glücklich. Reader x Tendou