Kapitel 12

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Angespannt sah ich von der Galerie hinab in den OP-Saal. Die junge Frau wurde schon seit einigen Stunden operiert, gerade war sie stabil, allerdings noch nicht außer Lebensgefahr.

Dr. Jackson, Facharzt der Neurochirurgie, größtes Arschloch unter der Sonne, leider aber sehr talentiert, stand am OP-Tisch und hantierte schon seit einiger Zeit mit den unterschiedlichsten Gerätschaften herum und versuchte, den Druck am Hirn der Patientin zu regulieren.

Da ich mich noch nie sonderlich für die Neurochirurgie interessiert hatte, wusste ich ehrlich gesagt auch nicht wirklich, was er da unten gerade machte, aber ich hoffte so sehr, dass er ihr helfen konnte.

Als endlich Hilfe beim Unfallort eingetroffen war, hatte ich es zwar geschafft, dass sie wieder atmete, allerdings verhieß das noch lange nichts Gutes. Ich stütze mein Kinn auf meine Hand und starrte weiterhin nach unten.

Mason, der ebenfalls im Op-Saal war und neben Dr. Jackson stand, blickte kurz nach oben und fing meinen Blick auf. Er zwinkerte mir kurz beruhigend zu, sah dann aber wieder zu Dr. Jackson.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, bis zum Ende der OP zuzusehen, da meistens nachts eh niemand etwas von mir wollte, aber gerade heute machte mir jemand einen Strich durch die Rechnung. Vielleicht war es auch ganz gut, dass ich nicht mehr zusah, denn sonst würde ich vor Angespanntheit noch verrückt werden.

So ertönte jetzt aber mein Pieper und ich erhob mich von meinem Platz, warf noch einen Blick auf den OP-Tisch und verließ dann die Galerie.

~

Eine Stunde später, nachdem erst ein Patient, dann ein Pfleger mich aufgehalten hatten, verließ ich gerade die Cafeteria, in der ich mir einen starken Kaffee geholt hatte, um nicht einzupennen, als mir der blauäugige Typ vom Unfall entgegen kam.

Er hatte ein Pflaster auf seiner Stirn kleben, unter seinem hellen Tshirt zeichnete sich eine Bandage, die seinen Torso umspannte, ab.
Er grinste, als er mich sah und ließ eine Reihe weißer Zähne aufblitzen.

"Dr. Lewis, mein Schutzengel, schön Sie zu treffen", sagte er dramatisch, legte salbungsvoll eine Hand auf seine einbandagierte Brust und blieb vor mir stehen.
Er war gut zehn Zentimeter größer als ich und stand jetzt direkt vor mit, weshalb ich meinen Kopf etwas in den Nacken legen musste, um ihm in diese faszinierenden, elektrisch blauen Augen zu schauen.

Erst jetzt betrachtete ich ihn etwas genauer. Er hatte eine ausgeprägte Kieferstruktur - halleluja, wieso zur Hölle fiel mir denn sowas auf - samtige Lippen, die er zu einem leicht arroganten Grinsen verzogen hatte und lange, dunkle Wimpern, die seine mandelförnigen Augen umrahmten.

Die dunklen Haare hingen ihm immer noch wirr in die Stirn und verdeckten so die leichte Beule und das weiße Pflaster, das sich hell von seiner gebräunten Haut abhob.

Ich räusperte mich.
"Ähm, ja, schön, dass Sie wohlauf sind, Mr...."
"Sie können mich gerne Alex nennen," sagte er und zwinkerte mir zu.

Oh, oh... . Er flirtete ja grade so offensichtlich mit mir, dass Ally, wäre sie hier gewesen, mir schon mindestens zweimal auf den Fuß getreten hätte, um mich darauf aufmerksam zu machen.
Offensichtlich war ich bei sowas überhaupt kein Blitzmerker.

"Okay, ähm, Alex. Ich bin Cara", stotterte ich blöd herum und strich mir dann eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Alex grinste nur weiter und musterte mich dann eingehend.

"Lange Nacht gehabt?", erkundigte er sich und strich sich über sein von einem Dreitagebart bedecktes Kinn.
"Sehe ich so schlimm aus?", fragte ich lachend und rieb mir über die Augen.

Seit elf Uhr abends, seit dem Unfall also stand ich wie unter Strom. Ich hatte bestimmt 3 Stunden bei der OP von der jungen Frau zugeschaut, musste mich dann um zwei Patienen kümmern und wollte mich danach ein wenig hinlegen, konnte allerdings nicht einschlafen, da mich die Gedanken an den Unfall wach gehalten hatten.

Ich hätte es besser machen können. Besser machen müssen. Ich hätte nicht nur darauf achten sollen, ob sie noch atmete. Ich hätte sie deutlicher untersuchen müssen, dann wäre mir aufgefallen, dass sie nicht nur ohnmächtig gewesen war.

Erst jetzt viel mir auf, dass mich Alex immer noch eingehend mit einer besorgten Miene betrachtete.
"Nein, du siehst trotz allem bezaubern aus.", sagte er dann.

"Obwohl es mitten in der Nacht ist, ich seit 24 Stunden nicht mehr geschlafen habe und ich vermutlich Schuld am Tod einer jungen Frau bin", fügte ich müde hinzu und trank einen Schluck von meinem Kaffee.

"Darum geht es also. Verstehe", er runzelte die Stirn und legte mir dann sanft seine Hand an die Wange. Ich spürte die Wärme, die sie ausstrahlte und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es fühlte sich gut an.

"Es ist nicht deine Schuld. Du hast so gehandelt, wie du es für richtig gehalten hast. Du konntest doch nicht wissen, dass sie eine Hirnschwellung hatte, oder wie auch immer man das in der Fachsprache nennt."

Ich öffnete die Augen und nickte nur. Er hatte recht. Aber meinen Gedanken war das ziemlich egal. Sie machten mir weiterhin Vorwürfe.
Auch, als ich mich von Alex verabschiedete, auch, als ich bei einer weiteren Patientin vorbeisah und auch, als ich eine halbe Stunde später wieder auf der Gallerie des Op-Saals 2 saß und darauf hinunter sah.

"Wie sieht es aus?", fragte ich Carina, die mit einem Muffin aus der Cafeteria bewaffnet auf einem der Sessel saß.
"Unverändert wie vor 2 Stunden. Es sieht nicht wirklich gut aus, Cara", sagte die Latina und sah mich aus dunklen Augen mitleidig an.
Ich seufzte tief und fuhr mir kurz über die Augen. Scheiße.

"Das muss aber nichts heißen, Süße. Dr.Jackson ist gut, auch wenn er ein Arsch ist. Und Mase hat er nicht ohne Grund zum assistieren ausgesucht", versuchte sie mich aufzuheitern, was ihr nur wenig gelang.

Als plötzlich wenige Minuten später ihr Pieper ertönte, drückte sie kurz meine Hand, sprang von ihrem Stuhl auf und machte sich dann auf den Weg nach draußen.
Da ich es nicht länger aushielt, hier herum zusitzen verließ ich ebenfalls die Galerie.

Okay, ihr könnt mich jetzt gerne als verrückt oder gestört abstempeln, aber ich liebte es, in der Nacht durch die Gänge des Krankenhauses zu schlendern.
Keine Ahnung wieso, aber es beruhigte mich immer ungemein. So wie auch jetzt.

Ich stieg einige Treppen hinauf und gelangte dann an eine Feuertür, die aufs Dach des Gebäudes führte.
Ich stieß sie auf und inhalierte dann tief die kühle Nachtluft.
Es war einfach wunderschön hier oben.

Ich trat bis an den Rand des Dachs und hielt mich an der eisernen Brüstung fest. Von hier oben konnte ich an klaren Tagen, die hier in San Francisco nicht oft vorkamen, bis auf die Bay sehen. So wie heute.

Hier oben konnte ich abschalten, musste nicht an die arme Frau denken, nicht an Alex und auch nicht an... Will.
Immer wieder Will.
Ich seufzte.
Als hätte er gewusst, dass ich -mal wieder- an ihn dachte, vibrierte kurz darauf mein Handy.

Ich zog es aus meiner Hosentasche hervor und ging auf unseren Chat.

Will: hey, Cara, Mila muss morgen wieder für eine Woche weg, deswegen würden wir das mit dem Abendessen verschieben...

Ich las nicht weiter, denn plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum.
"Hier bist du", sagte Carina und lächelte kurz, was aber nicht ganz ihre Augen erreichte.
Mir wurde eiskalt und meine Hände begannen zu zittern.

"Was ist los?", fragte ich mit bebender Stimme und klammerte meine Hände an die Brüstung.
Carina kam näher und legte mir eine Hand auf die Schulter.
Ihre dunklen Augen blickten mitfühlend. Und da wusste ich es.

"Sie ist tot, oder?", flüsterte ich und schluckte schwer.
Carina nickte nur und nahm mich ohne etwas zu sagen in den Arm.
Ich konnte meine Hände nicht von der Brüstung losbekommen, konnte mich nicht rühren, sah nur mit starrem Blick über Carinas Schulter auf die blinkenden Lichter San Fransiscos.

Sie war tot.
Und es war meine Schuld.

Sucker For Him | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt