"Bones?", fragte Kirk in der leeren Krankenstation. Er klopfte an die Tür seines Büros und öffnete sie. Der Arzt war vollkommen vertieft in seine Arbeit am Computer und sah nicht einmal zu ihm auf. "Bones. Hast du was gegen Kopfschmerzen?"
"Sicher", bestätigte McCoy. Er stand von seinem Schreibtisch auf und öffnete seinen Wandschrank, um ein Schmerzmittel rauszuholen. Das aufgeladene Hypospray hielt er an seinen Hals, wo er es entlud. Ihm fielen die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen auf. "Schlafprobleme, Jim? Du musst dich echt mehr ausruhen. Du siehst furchtbar aus."
"Das hört man gerne. Keine Sorge, mir geht es gut", versicherte er und kratzte sich an der Schläfe.
"Du verbringst ziemlich viel Zeit mit unserem Sondergast. Redet sie?" Kirk konnte die Skepsis im Gesicht seines Freundes erkennen. Er sah gleichzeitig besorgt aus, auch wenn er es nie eigenständig zugeben würde. Wahrscheinlich würde ihm ein Zacken aus der Krone brechen, wenn er mal andere Gefühle als Jähzorn und chronische Genervtheit zeigen würde.
"Ja, sie redet", antwortete er knapp.
"Worüber redet ihr?", wollte der Arzt wissen.
"Ist das wichtig?"
"Reines Interesse, Jim", machte McCoy ihm klar. "Ich habe dir gesagt, dass das keine gute Idee ist."
"Ich muss los", blockte der Captain ab und verließ die Krankenstation.
"Gern geschehen, Jim", murmelte McCoy, als er ihm hinterhersah. "Als würde man gegen eine Wand reden."
Zero machte im Stillen Liegestütze. Ihre Schultern brannten wie Feuer, doch sie ignorierte den Schmerz und machte weiter. Einer der Roten beobachtete sie dabei. Der Schmierlappen. Seine hässliche Fratze glotzte sie an, während sie trainierte. Er stand an seiner Konsole, doch er würdigte seine Arbeit keines Blickes. Sie konnte ihn aus ihrem Augenwinkel sehen. Sein Blick klebte praktisch an ihrem Körper. Hatte er nichts Besseres zu tun? Die Tür öffnete sich. Sie sah jemanden reinkommen. Den Schritten nach zu urteilen war es der Captain.
"Wegtreten", befahl er. Der Schmierlappen verzog sich, doch sie trainierte weiter, als sei nichts geschehen. "Ziehst du eine Show für mich ab?" Sie fror in ihrer Bewegung ein, dann stoppte sie und stand auf. Ein neues Tablett stand auf dem Boden, das sie wieder unberührt stehen lassen hat. "Warum isst du nichts, Zero?"
"Der Fraß sieht widerlich aus", gab sie ihm zu verstehen.
"Willst du was anderes essen?"
"Bietest du mir vernünftiges Essen an, Fönfrisur?"
"Vielleicht, wenn du kooperierst." Sie sah wie er sie musterte, aber nicht so wie der Schmierlappen oder seine Kollegen. Er sah sie mit bloßem Interesse an. Nicht mit widerlichen Hintergedanken. Zumindest wirkte es auf den ersten Blick so. "Also, kann ich dich ein paar Sachen fragen?"
"Schieß los", erlaubte sie, wenn auch widerwillig.
"Du hast ziemlich seltsame Ansichten, vor allem was Autorität betrifft. Woher kommt das?"
"Vom Leben. Wir könnten auf dieser Ebene unterschiedlicher nicht sein. Du bist ein Lamettaträger. Ich bin eine Gefangene. Du hattest bestimmt ein perfektes Leben. Ich nicht. Deswegen haben wir unterschiedliche Ansichten. Was, wenn meine Ansichten richtig sind, und deine nicht? Was, wenn wir beide richtig liegen? Oder beide falsch? Ist das überhaupt wichtig?"
"Das beantwortet meine Frage nicht", bemerkte Kirk. "Was hat dich dazu bewegt, solche Ansichten zu haben? Wo und wie bist du aufgewachsen, dass du so denkst?"
"Hier und da. Erst in einem Kinderheim. Dann in einem Heim für Schwer Erziehbare, dann in einer Klapsmühle. Irgendwann bin ich ausgebrochen, und seitdem bin ich auf der Flucht." Die Klapsmühle war am schlimmsten, erinnerte sie sich. Alles war weiß, so wie hier. Fast alles. Ihr Zimmer war es nicht. Nicht komplett. Der Schreibtisch war dunkel. Dunkles Holz mit scharfen Kanten. Nicht scharf genug, um sich oder anderen daran wehzutun. Wie oft hatte sie sich unter diesem Tisch versteckt? Es war sinnlos. Sie konnte ja nicht weglaufen. Feige war es auch. Trotzdem saß sie ständig unter diesem Tisch. Meistens zum Weinen. Oder zum Tagträumen. Von einem besseren Leben. Oder wie sie die Wärter und die Ärzte abmurkste. Die Typen in Weiß. Die wahren Psychopathen.
Im Aufenthaltsraum war auch nicht alles weiß. Vor allem nicht die Wände. Ein Patient malte die Wand immer mit Formeln und Zeichen voll. Er war überzeugt, die Föderation hätte ihm aufgetragen, Vulkan zu retten. Vulkan existierte nicht mehr, aber das wusste er nicht. Es interessierte ihn wahrscheinlich sowieso nicht. Er lebte fernab von jeder Realität.
Er war Vulkanier. Mit spitzen Ohren und abrasierten Haaren. Sonst würde er sie sich ausreißen und auf den Haarbüscheln herumkauen.
Sie hatte sein grünes Blut gesehen. Überall auf der Wand und dem Boden seiner Zelle, als er sich die Pulsadern aufgeschlitzt hat. Mit einem Stück Papier. Er hat gesagt, er müsse seine sterbliche Hülle zurücklassen, um ein höheres Wesen zu werden. Nur so könne er Vulkan retten. In was für einer Welt war sie so kaputt im Kopf wie dieser Typ?"Hast du keine Eltern?", fragte er. Natürlich musste sie Eltern haben. Jeder hatte welche. Nur warum war sie in einem Heim gelandet?
"Keine Ahnung. Ich hab sie nie kennengelernt. Hab auch nicht vor, sie zu suchen. Ich interessiere sie nicht, und sie interessieren mich nicht. Nicht jeder hatte ein Bilderbuchleben, Captain." Sie spuckte ihm seinen Rang fast entgegen, mit gefletschten Zähnen und einem hasserfüllten Blick.
"Ich wollte dich nicht beleidigen."
"Das will nie irgendjemand", entgegnete sie. "Nicht mehr. Die, die es wollten, haben es bereut. Auch ohne Absicht beleidigen Leute andere Leute. Das ist keine Entschuldigung. Entschuldigungen sind sowieso sinnlos. Was du gesagt hast, hast du gesagt. Und was ich gehört habe, habe ich gehört. Das ist passiert. Wofür soll man sich entschuldigen? Was bringt es einem?"
"Vergebung, im besten Fall", erklärte Kirk. "Aber es ist auch moralisch das Richtige, und es ist die gesellschaftliche Norm."
Zero lachte spottend, als sie sich wieder auf die Bank setzte, ohne den Blickkontakt mit ihm abzubrechen.
"Die Gesellschaft verlangt vieles. Sie schreibt vor, wie man auszusehen hat. Wer schön und wer hässlich ist. Welche Klamotten man tragen soll und welche Frisuren akzeptabel sind. Sie schreibt vor, dass man brav in die Schule gehen soll, um Wissen eingetrichtert zu bekommen, das die Gesellschaft für wichtig erachtet. Wissen, dass einem nichts nützt. Dann wird man in die Welt rausgeschickt, um einem Job zu finden. Einen Job, den man möglichst für die nächsten 40, 50 oder sogar 60 Jahre behält. Dann arbeitet man, und man arbeitet. Man lebt nur, um für jemanden zu schuften. Dann geht man in den Ruhestand. Die beste Zeit des Lebens ist bereits vorbei. Man ist schon zu alt zum Reisen, um mal richtig einen draufzumachen. Also macht man gar nichts mehr, bis man schließlich irgendwann draufgeht und einfach weg vom Fenster ist. Ohne jemals wirklich gelebt zu haben. Wenn man das nicht will und in irgendeiner Weise aus der Reihe tanzt, wird man ausgegrenzt. Als Sonderfall abgeschrieben. Abschoben, um dann eingetrichtert zu bekommen, dass das laut der Gesellschaft perfekte Leben auch für einen selbst perfekt ist und einen glücklich machen wird. Mit Medikamenten. Typen in Kitteln, die einen zutexten. Zur Not auch mit Gewalt. Folter. Psychoterror."Kirk atmete tief durch. Mit einem Monolog dieses Außmaßes hatte er nicht gerechnet. Er sah sie perplex an, beinahe versteinert stand er vor dem Sicherheitsfeld. Sie saß dort einfach nur, bestimmend und dominant, wie ihre Stimme. Auffällig wie ihr gesamtes Erscheinungsbild. Ihre bloße Präsenz sagte so viel aus, und verriet doch so wenig über sie. Die war ein atmendes, denkendes Millennium-Puzzle. Sie sagte tiefgründige Dinge, aber sagte damit nur wenig aus, zumindest nicht mehr als ihre Meinung. Es ließ ihn nicht viel über sie als Person erfahren. Warum sie so wurde, wie sie jetzt ist. "Gut... das war nicht die Antwort, die ich erwartet habe. Ich sollte gehen."
"Ja."
![](https://img.wattpad.com/cover/270280044-288-k521946.jpg)
DU LIEST GERADE
ZERO | james t. kirk
Fanfiction"Du glaubst, ich habe Angst vor dir?" "Ihr Lamettaträger seid alle gleich. Ihr glaubt, ihr wärt freier als ich, weil ihr nicht in dieser Zelle sitzt. [...] Ihr habt Angst vor mir, weil ich euch daran erinnere, dass ihr genau wie ich seid. Gefangen...