Es war eine gefühlte Ewigkeit her, dass Kirk sie besucht hatte. Zu schwer lag ihm der letzte Besuch im Magen. Ihre Worte hatten ihn wach gehalten. War er wirklich ein Mörder? Er war nicht so brutal wie sie. Nicht ansatzweise so rücksichtslos. Er hatte nie die direkte Absicht gehabt, ein Leben zu beenden. Ob sie jemals gezielt geplant hat, jemanden zu töten? Sie sagte, es sei ihre Überlebenstaktik gewesen. Töte oder werde getötet. Also war es beabsichtigt oder nicht? Versuchte er gerade, ihre Taten zu rechtfertigen?
Zero trainierte wieder einmal. Dieses Mal machte sie Sit-Ups. Vor einiger Zeit kam ein Mann in Blau herein. Ein Arzt. Milchgesicht hatte seine Drohung wahr gemacht. Sie hatten ihre Zelle mit Gas geflutet, das sie ausgeknockt hatte. Kaum hörte sie das Zischen, war ihr übel geworden. Das Gas brannte in ihren Augen. In ihrer Nase. Dann war sie auch schon weg. Sie hatte gar nicht mehr gespürt, dass sie auf dem Boden aufgeschlagen ist. Als sie wieder aufgewacht ist, tat ihr Hals weh. Sie kannte den Schmerz. Ihr wurde eine Magensonde gelegt, und zwar nicht gerade auf die sanfte Tour. Zumindest war ihr jetzt nicht mehr schwindlig vor Hunger. Die Betäubung hatte ihr nur bestätigt, was sie ohnehin schon wusste. Sie hatten Angst vor ihr. Die Tür ging auf, dann ging sie wieder zu.
"Hey", grüßte Kirk knapp. Zero fror in ihrer Bewegung ein und sah zu ihm rüber. Der andere Offizier war weg. Schmierlappen. Er kannte den Ablauf bereits. Wenn der Captain reinkam, hatte er abzuhauen. Das konnte er sich merken. Obwohl er so dumm war.
"Hey", grüßte sie zurück und setzte sich auf.
"Ich habe über deine Worte nachgedacht", berichtete er. "Kann ich dich noch ein paar Sachen fragen?"
"Offensichtliche Sachen wie meine Tattoos? Oder etwas Anderes, das genauso langweilig ist?" Sie machte ein abfälliges Geräusch. "Es interessiert dich nicht wirklich, außer es betrifft dich. Ich kenne das. Hab das schon oft durchgemacht."
"Ich könnte aufrichtig sein. Wieso bist du dir da so sicher?."
"Ich habe Augen und eine Vergangenheit" erzählte sie. "Du verschwindest, sobald du merkst, dass du nicht der Erste bist und dass ich immun gegen diese Art von Hilfe bin. Du kannst mich nicht bekehren."
"Okay..." Er seufzte. "Gut, also dann: Was steckt hinter deinen Tattoos?"
"Manche sind für meine Vergangenheit, manche sind für Straftaten, die ich begangen habe. Du weißt schon, gute Straftaten. Für Situationen in denen ich überlebt habe. Andere sind für Dinge, die ich verloren habe. Die gehen dich nichts an. Die gehen niemanden was an. Und der Rest... pure Launen. Ich meine, warum nicht?"
"Du arbeitest ziemlich hart daran, Leute von dir wegzustoßen." Interessiert zog er eine Augenbraue hoch.
"Ich war mit vielen Leuten zusammen", verriet sie. "Wenn du nach einem Freund oder einer Freundin fragst... nein. Zeitverschwendung. Es funktioniert nie." Mit einem Schniefen stand sie auf und stellte sich vor das Kraftfeld. Wenn man Leute so nah an sich ranlässt, bedeutet das nur, dass sie ein kürzeres Messer brauchen, um es einem in den Rücken zu rammen. Einsam und lebendig funktioniert für mich am besten."
"Du sagtest einsam", fiel ihm auf. "Also gibst du zu, dass du einsam bist."
"Leg ruhig jedes einzelne Wort auf die Goldwaage", spottete sie. "Das ändert nicht, wie die Welt funktioniert. Du kennst das. Du siehst aus, als wärst du rumgekommen."
Er ignorierte den letzten Satz bewusst. Sie musste nicht alles wissen, auch, wenn sie Recht damit hatte. Er ist rumgekommen. "Du bist abgehärtet, aber du kannst nicht so lange allein überlebt haben. Hattest du nie Freunde?"
"Doch. In meiner Gang-Zeit", antwortete sie. "Als ich angefangen habe. Diese Sloane und ihr Freund. Die waren schon länger dabei. Ich dachte, sie würden mir helfen." Sie schnaubte kopfschüttelnd. "Bullshit. Sie haben mir nur in ihr Bett geholfen. Ich wusste, wo das hinführt, also hab ich sie ausgeschaltet. Danach hatte ich nie wieder Freunde."
Die Bilder schossen wieder zurück in ihren Kopf. Wie sie auf ihren Freund eingestochen hat. Voller Wut. Seine Rippen haben durch die Wucht ihrer Stiche geknackt. Knack. Knack-Knack. Der kurze Widerstand der Haut, ehe sie nachgab und das Messer in ihr versank. Der Muskelkater, den sie danach im Arm hatte. Und die Kratzer an ihrem Schlüsselbein, als er sich gewehrt hat. Er hatte scharfe Fingernägel. Das Blut, dass sich in die Matratze gesogen hatte wie in einen Schwamm. Sloane hatte sich auch gewehrt. Am Anfang mehr, weil der Überraschungseffekt weg war. Dann immer weniger. Erst hat sie geschrien und versucht, Zero von ihrem Freund runterzuziehen. Ohne Erfolg. Dann hat sie geheult. Dann gegurgelt, als sie gewürgt wurde. Und dann war sie still. Die Lichter in ihr gingen aus. Die Lebenslichter. Sie war tot.
"Klingt, als seien sie keine guten Freunde gewesen. Das heißt aber nicht, dass sie dich umbringen wollten." Sie konnte den Schock in seinen Augen sehen. Und er sah, wie sich ihre Pupillen wieder weiteten. Vor Extase, nicht vor Schock... und erst recht nicht vor Reue.
"Ich hatte ein Bauchgefühl. Einen Instinkt. Ich brauchte keine Beweise. Ich habe das Richtige getan. Das mache ich immer, wenn Leute mich verarschen. Vielleicht ist das etwas, was du dir merken solltest."
"Drohst du mir?", fragte er angegriffen.
"Wenn du es als Drohung auffassen willst, ist das dein Ding. Ich übernehme keine Haftung dafür." Sie knirschte mit den Zähnen und machte noch einen Schritt auf das Kraftfeld zu. Das Feld war kurz vor ihrer Nasenspitze. Sie konnte es beinahe spüren. Die Energie, die das Feld aufrecht erhielt. Fast wie der Bildschirm eines altern Fernsehers, wenn man ihn ausgeschaltet hatte. Das Sicherheitsfeld würde ihr keinen Stromschlag verpassen. Es war nur dafür da, sie da drin zu behalten.
"Ich bin nicht der Feind, Zero", machte er der Insassin klar.
"Und doch habt ihr mich festgenommen. Und jetzt sitze ich hier. In dieser Zelle. Auf deinem Schiff. Einem Schiff der Sternenflotte. Der gleichen Sternenflotte, die seit Jahren versucht, mich zu fassen. Seit ich aus der Klapse entkommen bin. Du hast es geschafft. Du kannst stolz auf dich sein. Bist du stolz auf dich, Captain? Bist du es? Auf deine Leistung? Schläfst du seelenruhig in der Nacht? So, wie du aussiehst... nein. Augenringe. Unruhe. Gerötete Augen. Blasse Haut. Du schläfst nicht. Ich lebe mietfrei in deinem Kopf, nicht wahr?" Sie grinste mit einer teuflischen Freundlichkeit, die ihm den Magen umdrehte. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie irre war oder nicht. "Du hast Recht. Du bist nicht der Feind. Der Feind ist größer als du. Die Sternenflotte. Die Heime, in denen sie mich großgezogen... nein, verzogen haben. Die Heime, in denen sie mich eingesperrt haben. Fernab von allen anderen. Um mich zu foltern. Mich gegen die anderen Kinder kämpfen zu lassen. Zur allgemeinen Unterhaltung. Die Klapsmühle, in der ich unter Drogen gesetzt und misshandelt wurde. Bis ich eines Tages ausrastete. Du bist nicht der Feind. Aber du bist ein Teil davon. Solange du diese Uniform trägst. Solange du dich hinter diesem Delta versteckst. Solange ich hier drin bin und du da draußen."
Kirk atmete hörbar aus. Ihm war speiübel von ihren Geschichten. Vor allem denen über die Heime. Er konnte kaum fassen, was in diesen Einrichtungen passiert ist. Was sie wohl in all den Jahren durchmachen musste? Es war kein Wunder, dass sie irgendwann den Verstand verloren hatte. Trotzdem war sie gefährlich. Unberechenbar. "Ich sollte gehen."
"Warte", verlangte sie. "Ich bin an der Reihe mit Fragen. Die meisten Leute wären jetzt schon weggerannt. Warum fragst du mich wirklich all diese Sachen?"
"Ich möchte mehr über dich erfahren", antwortete er.
"Hast du ein Auge auf mich geworfen, Captain? Wenn du mich nur ins Bett bekommen willst, solltest du es einfach sagen. Das spart uns Zeit und Frust."
"Ich möchte dich kennenlernen, Zero. Ich hab es nicht eilig", ließ er sie wissen.
Sie schnaubte laut. "Du musst jemanden nicht kennen, um ihn ins Bett zu kriegen. Du musst nur wissen, wo du ihn reinstecken musst", rief sie ihm hinterher.

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ZERO | james t. kirk
Fanfiction"Du glaubst, ich habe Angst vor dir?" "Ihr Lamettaträger seid alle gleich. Ihr glaubt, ihr wärt freier als ich, weil ihr nicht in dieser Zelle sitzt. [...] Ihr habt Angst vor mir, weil ich euch daran erinnere, dass ihr genau wie ich seid. Gefangen...