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Keiner antwortete ihm, nur der Dorfälteste, den ich von Javas Beschreibungen her kannte und der Einauge-Lars hieß, trat schließlich verlegen vor.

„Sie  gehört nicht zu diesem Ort, Herr, wie der Vorsteher schon sagte ...  Vielleicht wurde sie wirklich wegen ihrer Dummheit oder einer Krankheit  in einem anderen Ort, Freinheim oder Grabenhügel, selektiert und ist bis  hierher gelaufen. Schließlich habt ihr sie noch draußen vor dem Wall  gefunden, oder?", fragte er eingeschüchtert durch den harten Blick des  Archners.

„Ja, ... das habe ich", meinte der nur gedehnt und ergriff mich dann gleich wieder am Arm.

„Doch  ist es seltsam, dass ein selektiertes Mädchen dort draußen und gerade  in dieser Zeit nicht auch von den Fremden gefunden und verschleppt  wurde", murmelte er irritiert und schob eine Hand unter mein Kinn, hob  mein Gesicht erneut an und dann nach rechts und wieder nach links.

Ja, er blickte mir sogar in die Ohren rein ... was zum ...?!

Dann schnipste er auch noch, doch ich bewegte mich nicht.
  „Vielleicht ist sie tatsächlich taubstumm, Laar. Oder auch geistig  krank und die Fremden wollen sie deshalb nicht haben. Vielleicht war das  auch der Grund dafür, dass sie am Bach ..."

„Genug!", zischte der, der mich festhielt, aufbrausend und sah den Sprecher böse an.

„Wenn  die Fremden das Kind nicht haben oder einfach so töten wollten, nützt  eine weitere Selektion hier vor Ort wohl auch nichts", meinte einer der  älteren Archner mit grauen Haaren leise zu ihm.

Dieser Laar nickte nur finster, schon wieder fühlte ich, wie sich sein Griff um meinen Arm verstärkte.

„Wenn  sie selbst nicht wählt, nicht selektiert werden kann und von den  Fremden nicht gewollt ist ...", begann er nachdenklich und beäugte mich  wieder von oben bis unten „... dann nehme ich sie."

Archner!", zischte eine Männerstimme aus den Reihen der Dörfler bissig.

„Das  ist nicht fair. Ihr nehmt Euch die noch zu junge Stumme, nur weil sie  nicht wählen kann, und uns bleibt nichts, schon wieder nicht. Wie soll  unser Ort überleben, wenn wir keine Frauen mehr haben? Dieses Jahr  wurden alle selektiert, einfach alle!", kreischte einer der jüngeren  Wächter erbost.

Der Archner hob nur überrascht die Brauen.

„So  denkst du, dieses Mädchen hier, das die Fremden ganz offensichtlich  nicht haben wollten, ist gesund genug, schon gebärfähig und von Nutzen  für den Ort?", fragte er und ließ mich so plötzlich los, dass ich  stolperte und beinahe hinfiel.
„So will ich sehen, für was sich das  Kind entscheidet. – So sie denn noch eines ist. Doch wenn Ihr sie für  begehrenswert haltet und uns Archner für unfair ... So stellt Euch um  sie herum auf, wer immer sie haben will. Auf wen sie zugeht oder an wem  sie zunächst stehend vorbeigehen will, der soll es sein", gebot der  finstere Anführer der Archner den Dorfleuten entschieden.

„Ja,  das ist fair ...", stürmten gleich drei von den Dorf-Wächtern vor und  stellten sich in einigem Abstand zueinander auf. Alle so, dass ich sie  sehen konnte, und der Archner, Laar, stellte sich irgendwo hinter mich.

Mein Herz klopfte inzwischen bis fast zum Zerspringen.

Was  immer ich nun auch tun würde, es war falsch. Ging ich zu den Archnern,  würden die mich benutzen und dann im Wald entsorgen. Genauso wie die  Dorf-Wächter, ... die ihre Frauen auch untereinander weiterreichten. Und  waren diese krank, wurden sie bei der Ernte angebunden und tief in die  Haut geschnitten, um zu bluten, als Ablenkung für die Fremden.

Beides nichts, was ich wollte. Beides nicht.

Große Erdenmutter ...

„Komm  her, ... na komm schon, kommschonkommschon!", versuchte mich ein  grinsender Graubart zu locken und hielt mir dabei ein Stück  Trockenfleisch entgegen.

Die FremdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt