Gestalten in der Nacht

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Draco:
Es war schon lange nach Mitternacht, doch Draco fand einfach keinen Schlaf. Immer wieder überkam ihn diese Unruhe, wenn man das nicht sogar schon Panik nennen konnte. Im Bett neben sich hörte er Blaise' ruhigen Atem und ein paar Betten weiter konnte er das Geschnarche und Gegrunze von Crabbe und Goyle hören.
Er konnte es sich nicht länger leugnen, dass er auf Männer stand. Wie sehr hatte er versucht, sich in ein Mädchen zu verlieben, dass sein Vater akzeptierte, doch das erfüllte ihn nicht. Er fühlte dabei einfach nicht dasselbe, wie wenn er Jungs ansah. Er unterdrückte ein Schluchzen. Doch dieses Mal nicht, weil er sich dann nicht genug männlich fühlte, sondern, schlicht und einfach, um seine Mitschüler nicht aufzuwecken. Schon seit langer Zeit hatte er überlegt, seinem Vater einfach ins Gesicht zu sagen, dass er nicht der Sohn war, den Lucius sich wünschte, aber dann hätte dieser ihn höchstwahrscheinlich von zuhause rausgeschmissen. Seine Mutter wäre vermutlich auf seiner, Dracos, Seite gewesen, doch sie hatte im Hause Malfoy nichts zu sagen. Sein Vater war der Mann im Haus. Das war altmodisch, doch die Malfoys waren ein altehrwürdiges Geschlecht und daran wollte Lucius natürlich auch nichts ändern. Mein Vater ist feige, nicht ich, versuchte Draco sich einzureden, er muss seine Unsicherheit mit Machtausübung überdecken. Trotzdem wurde er den Gedanken nicht los, dass er selbst das Problem war. Wenn er doch nur so sein könnte, wie sein Vater es von ihm erwartete, dann wäre das Leben viel einfacher. Aber er war nicht so und er wusste, das würde er auch nie sein. Draco war schwul. Sein Vater würde das nicht gutheißen, um gar nicht von der Tatsache zu sprechen, dass Draco nichts gegen Muggelstämmige hatte.
Draco schwor sich, am nächsten Tag nicht mehr seine Identität zu verleugnen. Das Problem war nur, dass er von den anderen Slytherins als Anführer betrachtet wurde, als Alphatier gleichermaßen. Alle würden enttäuscht von ihm sein. Aber wollte er sich denn lieber für immer und ewig verstellen, nur um im guten Licht bei den anderen zu stehen? Nein, das wollte er auf keinen Fall. Irgendwann musste er dem ein Ende setzen. Nur fühlte er sich noch nicht bereit dazu.
Erschöpft und niedergeschlagen drehte er sich auf die andere Seite und fiel nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf.
Er musste schon zwei Stunden geschlafen haben, als er jäh aufwachte, weil er keine Luft mehr bekam. Panisch schlug er um sich, doch es half nicht. Auf seinem Gesicht lag eine schleimige Schicht, die sich nicht entfernen ließ. Vor seinen Augen flimmerte es schon und schwarze Punkte tauchten auf. Da wurde ihm die Schicht vom Gesicht gerissen und er sah zwei Gestalten vor sich. Er holte tief Luft.
„Nimm es dir nicht zu persönlich, aber wir müssen unsere neuen Artikel immer an irgendjemandem testen", hörte er ein Stimme. War das einer der Weasley-Zwillinge? Wie waren die denn hier herein gekommen? Und warum wollten sie, dass er erstickte? Wenn er darüber nachdachte, war es schon sehr verständlich, denn er hatte sich früher oft über sie lustig gemacht. Schon lange bereute er das. Er war in seinen Gedanken so beeinflusst gewesen, als hätte er unter dem Imperius-Fluch gelitten.
„Und, wie war's? Hat es sich gut angefühlt?", fragte die andere Gestalt, wahrscheinlich der andere Weasley-Zwilling, schadenfroh.
„Nein", antwortete Draco verletzt und seine Stimme brach. Er war so enttäuscht von sich. Fred und George waren eigentlich immer nett und lustig und er hatte es sich mit ihnen verscherzt. Die Zwillinge spielten zwar unglaublich viele Streiche, doch nur selten welche, die wirklich fies waren oder gar gefährlich. Sie schienen ihn, Draco, zu hassen.
„Man könnte glatt meinen, dass es dem jungen Malfoy nicht gut geht", meinte die rechte Gestalt.
„Meinst du, George?", fragte die linke Gestalt zweifelnd, „du meinst, es geht ihm so richtig schlecht, im Grunde seines Herzens?"
„Ja, genau das meine ich", nickte George.
„Aber du weißt, dass wir es hier mit einem Malfoy zu tun haben. Sein Vater ist ein Todesser und er selbst ist muggelfeindlich", meinte Fred.
„Ja, aber er kann trotzdem traurig sein", sagte George.
„Du hast recht, George", stimmte die andere Gestalt zu.
„Wie geht's dir, Draco?", fragte George.
Hatte Draco sich etwa verhört? Fred und George Weasley sorgten sich um ihn? Er musste vorsichtig sein, vielleicht spielten sie ihm wieder einen Streich. Aber er musste es riskieren. Mit wem konnte er denn sonst darüber reden?
„Um ehrlich zu sein, nicht gut", sagte er deshalb.
„Hör mal, es tut uns echt leid, dass wir dir diesen Streich gespielt haben. Falls es dich tröstet: Wir haben ihn auch schon an Ron getestet. Es war nicht gefährlich. Aber sag mal, bist du wirklich wie dein Vater? Wenn ja, kannst du uns nämlich gestohlen bleiben. Sei ehrlich."
„Nein, ich bin nicht wie mein Vater." Draco schluckte.
„Aber du hast Hermine als Schlammblut bezeichnet", entgegnete Fred.
„Das war vor drei Jahren. Wisst ihr, das ist jetzt natürlich keine Entschuldigung, aber wenn man zuhause, von seinen Eltern, denen man vertraut, immer gesagt bekommt, dass Muggelstämmige die Zauberergesellschaft auseinanderbringen, dann glaubt man das irgendwann."
Es hatte Dracos ganze Überwindung gekostet, das zu sagen, denn er hatte vorher noch niemandem davon erzählt.
Jetzt sahen ihn die Zwillinge mitfühlend an. Das hatte er nicht erwartet.
„Wir schlagen vor, dass du das vergessen solltest."
„Du musst es natürlich wiedergutmachen", warf George ein und sah ihn streng an.
„Das versuch ich ja", brachte Draco hervor, „aber es ist nicht so einfach, wie ihr glaubt." Er suchte nach den richtigen Worten. „Es ist... also... mein Vater ist immer noch mein Vater und.... Ich glaube, ihr versteht das nicht. Er ist zwar böse und fies, aber ich will ihn nicht verlieren."
Draco war überrascht von sich selbst. Er hatte alles Mögliche erwartet, aber ganz bestimmt nicht, dass er hier, mitten in der Nacht dasaß und den Weasley-Zwillingen von seinen Sorgen und Problemen erzählte. Er war sonst eher der verschlossene Typ.
„Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet, du etwa, Fred?", schüttelte George den Kopf, offenbar genauso verwirrt wie Draco.
„Nein, ich auch nicht", stimmte Fred ihm zu und wandte sich zu Draco um.
„Du kannst uns gerne erzählen, was dich belastet, wie können schweigen wie ein Grab", meinte er.
Draco musste plötzlich grinsen.
„Das findet ihr jetzt wahrscheinlich sehr amüsant, aber es macht echt Spaß, sich mit euch zu unterhalten", meinte er und lachte. Schnell hielt er sich die Hand vor den Mund, denn er wollte die anderen nicht aufwecken.
„Wenn du mal wieder Hilfe brauchst, dann frag uns einfach", verabschiedete sich Fred.
„Aber fang erst gar nicht damit an, wieder Muggelstämmige zu verhöhnen", warnte George.
„Nichts käme mir weniger in den Sinn", beschwichtigte Draco ihn.
Da waren sie auch schon weg und mit einem Grinsen auf dem sonst so bleichen Gesicht schlief Draco ein.

Am nächsten Morgen wurde er unsanft aus dem Schlaf gerissen, weil jemand ihn rüttelte.
„Wach auf", hörte er Blaise' Stimme.
„Hab ich verschlafen?", fragte Draco verwirrt.
„Nee Mann, wir sind noch pünktlich", antwortete Blaise und schüttelte sein Bett auf.
„Warum weckst du mich so früh?", fragte Draco müde und gähnte.
„Es ist nicht früh", meinte Blaise.
Da fiel Draco ein, warum er so müde war. Er hatte sich ja nachts mit den Weasley-Zwillingen unterhalten. Er musste Blaise wirklich bald erzählen, dass er schwul war. Dann müsste er nicht mehr bei dieser Wette mitmachen. Denn diese zu verlieren würde eine Schande und Erniedrigung mit sich bringen, welche Draco nicht ertragen können würde. Schlimmer war jedoch, dass er sein größtes Geheimnis an die ganze Schule verkünden müsste.
Blaise hielt ihm die Hand hin und zog ihn hoch. Sie gingen zum Frühstück herunter und setzten sich an den Slytherintisch. Da fiel Blaise etwas ein.
„Ach übrigens, ich hab die Wette im Kasten, ich war schon gestern zusammen mit Hermine in der Bibliothek", erzählte er.
„Und, was hab ihr gemacht?", fragte Draco abwesend. Er wünschte sich, am Gryffindortisch sitzen zu können. Dort lachten alle, im Gegensatz zu den Slytherins, bei denen Lachen aus irgendeinem Grund als unseriös galt. Blaise war natürlich anders, aber trotzdem schien es ihm am Gryffindortisch unterhaltsamer zu sein. Seit dem Gespräch mit den Weasley-Zwillingen fühlte sich Draco sehr distanziert zu den anderen Slytherins.
„Naja, um ehrlich zu sein, nicht viel", riss Blaise' Stimme ihn aus den Gedanken.
„Und warum bist du dir dann so sicher, dass du gewinnst?", bemühte sich Draco, das Gespräch aufrecht zu halten.
„Nun, weil du mein Gegner bist." Blaise grinste schief.
„Was soll das denn jetzt heißen?", fragte Draco entrüstet. Er hatte immer noch seinen Stolz.
„Das soll heißen, dass du dich gar nicht erst bemühst, die Wette zu gewinnen", meinte Blaise, „das würde mich ja stören, weil ich gerne einen ebenbürtigen Gegner habe, aber da der Gewinn dieser Wette sehr verlockend ist, kannst du gerne in deiner Untätigkeit verweilen."
Dracos Magen schien sich umzudrehen. Er musste Hermine irgendwie dazu kriegen, ihn zu küssen, auch wenn es das Letzte war, was er unter normalen Umständen getan hätte.

Die Wette, die alles zerstörte? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt