Twittershitstorm

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Die Vorsprechen liefen insgesamt gut und wartete jetzt nur darauf, dass die Weihnachtstage anfangen und schnell vorbei gehen, in der Hoffnung, dass ich Nicole wieder sehen kann. Wir verabredeten uns jeden Tag für FaceTime und erzählten uns alles was geschah, sie spielte einen kurzen Abschnitt aus einem Lied ab, auf welches sie sehr stolz war. Es war das Feature mit diesem Rapper und es klang auch wirklich fantastisch. Sie erzählte auch, dass sie mit ihren Freunden in den nächsten Tagen viele Kinderhospize und Krankenhäuser besuchen werden - wäre bei denen anscheinend eine Tradition. Ich kann darauf wetten, wie sehr sich die armen Kinder darüber freuen werden.

An Heiligabend bekam ich auch eine Benachrichtigung auf mein Handy, dass es ein neues Video von ihnen gab. Natürlich schaute ich es mir sofort an.
Das Video zeigte, wie sie in verschiedenen Krankenhäusern spielten, mit den Kinder sangen und lachten. Die Kinder wurden auch nicht frontal gezeigt, was ich als superparanoider Mensch gut finde. Zum Schluss des Videos kam ein kurzer Text, dass die Geflüchteten, welche in sogenannten Flüchtlingslagern warten, ebenfalls Aufmunterung brauchten. Daraufhin folgten einige kurze Videos wie die vier diese Einrichtungen besuchten und ebenfalls Freude verteilten, sowie auch einige Geschenke.

Es war einfach ein schönes Video und ich freute mich sehr darüber, wenigstens auf dieser Art meine Freundin sehen zu können. Allerdings nur ein paar Stunden später, schrieb mir Anthony, ob ich den Shitstorm über Nicoles band mitbekommen habe. Ich verneinte, worauf hin er mir einige Screenshots von Twitter schickte. Leute schrieben, dass die Band das nur getan hat, um Aufmerksamkeit zu generieren. Andere regten sich ebenfalls über das Video auf, was ich nicht verstehen konnte. Immerhin haben sie etwas Gutes getan. Warum sind Menschen so anstrengend?
Anthony und ich waren einer Meinung, und zwar derer, dass Menschen dumm sind. Hätte ich Twitter, würde ich mich bestimmt über diese negativen Menschen aufregen und sie beleidigen - also doch eigentlich ganz gut, dass ich kein Twitter habe...

>' warum haben die noch nichts dazu gesagt?'< [Anthony]
>' in Deutschland ist es 23 Uhr, die schlafen schon.'< [Sebastian]
>'ich bin mal gespannt, wie sie darauf reagieren. Wenn ich an deren Stelle wäre, würde ich eine nett gemeinte Hassreden veröffentlichen.'<[Anthony]
>' Eine Hassrede ist nie nett gemeint, aber die werden schon wissen, wie sie damit umgehen, vertrau mir.'< [Sebastian]

Als ich vor dem Schlafen gehen noch einmal Instagram durchscrollte, sah ich auch die Antwort der Vieren. Es gab ein YouTube Video dazu, was ich gleich anschauen werde und ein kurzes Video auf Instagram. Auf dem Instagram Video sah man etliche Dankeskarten von Hospizen und Krankenhäusern, die bis zum Jahre 2002 zurück ging. In der Beschreibung hieß es nur „man kann jahrelang gute Taten vollbringen, aber wehe du filmst es nach 12 Jahren zum ersten Mal mit, um ein wenig Freude auf dieser Welt zu verteilen - dann bist du natürlich Aufmerksamkeitsbesessen. Verstanden liebes Internet."

Ich musste wirklich lachen, diese Reaktion war perfekt und zeigt wie schnell Menschen durch das Internet andere verurteilen. So, nun zum längeren Video.
Gott ich liege im Bett und freue mich so über ein Video, wie ein Fan. Gut, ich bin Fan. Von der Band und das meine Freundin zufällig in dieser ist, ist einfach nur ein großer Zufall. Das längere Video entpuppte sich als ein Song, die Melodie war ein einfaches Gitarrenspiel und der Text war über diese Situation.

Zu meiner Freude war es nur Nicole. Sie sang darüber, wie wenig sie es verstand, dass manche Hass gegen eine liebe Geste verbreiten; wie feige sie diese Leute fand; dass sie anonym im Internet Hasskommentare schreiben und sich so verstecken können; und zum Schluss zitierte sie Winnie Puh. „Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten.". Das visuelle vom Video war nur Nicole mit ihrer Gitarre auf ihrer kleinen Couch im oberen Studio. Lustig wie ich das so gut weiß, hihi. Am Ende blendete sie noch einen kurzen Text ein, dass es ihre Idee war und ihre andere Bandmitglieder keine Schuld an diesem spontanen Song treffen. Falls Menschen sie deswegen hassen wollen, sollen sie direkt Nicole hassen, aber nicht ihre Kollegen. Bevor ich die Kommentare durchlas, sah ich wie in der Beschreibung stand, dass sie bereit für den Shitstorm wäre.

Gott, ich liebe diese Frau für ihre lockere Art und dass sie nach sowas nicht einfach stillschweigend dasitzen kann.

>' Dein Schwarm hat es ziemlich gut gelöst, ich mag sie. Und das Lied hängt in meinem Kopf fest. '< [Anthony]
>' Ja, meine Freundin hat das sehr gut gelöst ;) '<

Es kam keine weitere Nachricht, sondern ein Anruf von Anthony. Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, schrie er mich an, warum ich es ihm noch nicht erzählt habe und dass er sich für uns freut. Nach einigen Minuten legten wir auf und ich schlief direkt ein.

Aufwachen tat ich zu meinem klingelnden Handy, nahm blind ab.

„Seb, du hast ein wunderschönes Ohr, muss ich dir schon lassen. Ich habe eigentlich FaceTime gemacht damit ich dein schönes Gesicht sehen kann, aber man, dein Ohr ist bezaubernd!", höre ich Nicole lachen. Sofort nehme ich mein Handy in die Hand und sehe meine wunderschöne Freundin, ebenfalls noch im Bett.

„Warum liegst du noch im Bett, ist es bei dir nicht mittags?", frage ich verschlafen.
„Ich konnte nach dem Shitstorm nicht schlafen und habe überlegt, ob ich es ignorieren sollte, Leute beleidige, mich entschuldige oder sie in ihre Schranken einweise. Wurde schnell letzteres und das Ergebnis hast du eventuell gesehen.", erklärt sie schnell.

Ich erzählte wie sehr Anthony und ich ihre Reaktion feierten und er einen neuen Ohrwurm hat. Sie erzählte auch noch wie sehr sie sich über solche Kommentare aufgeregt hat und wurde vielleicht ein bisschen beleidigend, aber ich kann das nachvollziehen. Außerdem musste sie etwas mit sich kämpfen, da schließlich um die Feiertage nie Songs veröffentlicht werden, in denen man Menschen indirekt zurecht weißt. Aber ihre Wut siegte und sie bereute es auch nicht. Auch bekam sie Zuspruch von ihren Kollegen und Manager.
„Was machst du heute sonst so?"
„Meine Mutter kommt mit ihrem Mann vorbei, wir essen und heute Abend gehen wir noch zusammen durch den Schnee spazieren. Fast wie jedes Jahr.", grinse ich. An Weihnachten, im Schnee durch New York zu spazieren ist jedes Jahr einfach schön und meine Mutter freut sich jedes Jahr darauf.
Nicoles Antwort war kurz und herzlich, dass sie uns viel Spaß und Erholung wünscht. Dann legte sie auch relativ hektisch auf, entschuldigte sich, weil sie eigentlich schon bei ihrem Vater sein sollte und versprach sich später noch einmal zu melden.

Also wenn ich sie in drei Worte beschreiben müsste: kreativ, chaotisch, bezaubernd. Und jetzt gerade passt chaotisch gut.

Ich verbrachte den Tag damit meine Wohnung zu putzen, Müll wegzubringen und geduldig auf meine Mutter zu warten.
Ich öffnete die Schublade meines Sideboards und nahm fünf leere Bilderrahmen in die Hand.

Glaubt es oder nicht, ich, Sebastian Stan hat es nach Jahren geschafft endlich Bilderrahmen zu kaufen.

Ich öffnete sie und legte Bilder von Nicole und mir hinein. In die ersten zwei Tag nahm ich gemeinsame Bilder von uns.
In den dritten tat ich ein Bild von Nicole welches ich in den letzten Wochen aufnahm. Es zeigte sie zusammen mit Marty, kuschelnd auf der Couch, beide halbschlafend. Ich weiß nicht warum, aber jedes Mal, wenn ich das Bild ansah, fühlte ich mich einfach geborgen und mir wird es warm um das Herz.
In den vierten legte ich ein Bild ein, welches ich heimlich machte, als sie lachte.
Im fünften ein Bild von ihr als sie eine Ehrung für ihre Arbeit erhielt. Proud Boyfriend here.

„bună iubirea mea.", begrüßt meine Mutter mich freudestrahlend. Ihr Mann lief schon durch zu meiner Küche, er trug schließlich unser Essen. Natürlich könnte ich auch für meine Mom kochen, aber sie möchte es nicht. Nicht an Weihnachten. Während Mama sich in meiner Küche ausbreitete, um das Essen zu vollenden, deckte ich mit ihrem Mann den Tisch.

„Essen ist im Backofen, jetzt haben wir eine Stunde Zeit.", lächelt sie uns zufrieden an. Also vertrieben wir uns die Zeit mit Geschichten, zumindest ihr Mann und ich. Sie flitzte durch meine Wohnung, hielt an meinem Sideboard an und begutachtet die Bilder.

„Das ist sie also?", fragt sie unschuldig so als hätte ich ihr noch nie ein Bild gezeigt.
„Ja Mom, ich habe dir dich schon ein Bild gezeigt..."
„Da habt ihr beide aber Sonnenbrillen getragen, da konnte ich sie gar nicht richtig anschauen!"
„Mom...", sage ich leise, genau wissend, dass Widerworte bei ihr abprallen.
„Wer hat denn das Bild von euch gemacht, als ihr geschlafen habt?"
„Das war ihr Bruder, wir sind aus Versehen eingeschlafen."
„Also kennst du ihre Familie schon?"
„Ja, tue ich. Ihre Familie ist echt klasse."
„Ihr Lachen ist ja umwerfend... oh, sie ist Polizistin?"
„Sie war... Nicole ist nun Musikerin und so wie sie spielt und singt, ist zauberhaft."
„Oh Dragâ, ich möchte sie wirklich kennen lernen."

Ich versprach ihr, dass sie Nicole hoffentlich bald kennen lernen kann, aber fügte auch traurig hinzu, dass wir gerade selbst nicht wissen, wann wir uns wieder sehen können.

at least 20 dates.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt