Verdauungsschläfchen.

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Wach wurde ich dieses Mal nicht durch Nicole die auf den Balkon ging, sondern von einem Kuss auf die Wange. Verschlafen öffnete ich meine Augen und wurde bereits von ihr angegrinst.


„Siehste? Bereue es nicht. Guten Morgen, ich habe schon Frühstück bestellt, sollte gleich da sein.", strahlt sie und sitzt auf ihren Beinen.
„So geweckt zu werden ist herrlich.", brumme ich noch verschlafen und ziehe sie wieder in meine Arme. Sie kicherte, lag auf ihrem Rücken, während ich auf meiner Seite lag und sie zufrieden anlächelte. Mein Arm ruhte auf ihrem Bauch, sanft strich sie immer wieder meinen Arm auf und ab. Ich fragte sie, wie lange sie schon wach sei, worauf sie nur mit „2 Stunden" antwortete.
„Warum hast du mich nicht geweckt?", frage ich etwas schockiert nach.
„Du hast so süß geschlafen und ich habe einfach die Zeit genutzt und hab mit meinem Vater und Levin telefoniert. Die Zeit ging schnell vorbei.", lächelt sie nur. Nachdem der Zimmerservice kam und wir mit vollen Bäuchen wieder im Bett lagen, wollte ich darüber reden, wie wir nun die zusätzliche Zeit nutzen könnten. Sie wollte allerdings ein „Verdauungsschläfchen" machen – lies ich aber nicht zu.

„Man Sebastian, lass mich ein Nickerchen machen... Ich bin zu vollgefressen, um zu denken.", sagt sie genervt und schließt ihre Augen. Sofort drehe ich mich auf meine Seite, ziehe sie näher zu mir, meine Hand ruht auf ihrer Hüfte.

„Am liebsten würde ich mit dir irgendwo hin reisen, wo es niemanden interessiert wer wir sind. Aber um realistisch zu bleiben, sollte ich meine Mutter besuchen und mit meiner Agentin reden. Beides könnte ich innerhalb eines Tages machen und dann verschwinden wir?", schlage ich sofort vor.

Nicole rückte etwas von mir weg, schaut mich kritisch an.

„Nein? Also eigentlich ja, aber ich habe eine etwas andere Idee.", fängt sie leise an, richtet sich auf ihre Ellbogen.

„Wir gehen heute noch von hier weg, genießen 5 Tage noch die Zeit und Ruhe. Dann gehst du deine wundervolle Mutter besuchen und deine Agentin treffen. Bei deiner Mutter lässt du dir bitte genug Zeit... Ich fliege wieder nach Deutschland, gehe meinen Vater auf die Nerven und feiere den Geburtstag von meinem Onkel – und treffe mich mit meinen lieben Kollegen. Und dann verstecken wir uns irgendwo."

Ich muss zugeben, ihr Plan klang besser. Nur wundere ich mich gerade über den Geburtstag ihres Onkels. Hat sie einen Onkel schon einmal erwähnt? Ich erinnere mich nur an eine Tante...

„Onkel?", frage ich vorsichtig nach.

„Fuck... Ich habe dir nicht alles erzählt... Also die Kurzfassung lautet, es ist nicht mein wirklicher Onkel, es ist der beste Freund von meinem Vater der Geburtstag hat. Er hat meinem Vater damals geholfen als meine Mutter starb, er war damals wie ein zweiter Vater für uns. Deshalb sagen wir Onkel Rami zu ihm, weil er so sehr für uns da war, als wir ihn brauchten."

„Uns?! Wir?!", frage ich noch verwirrter als zuvor. Nicole schaut mich traurig und etwas panisch an. Scheiße, ist das gerade ein wunder Punkt? Sie holt tief Luft und warnt mich vor, dass sie jetzt ganz weit ausholt und mir alles erzählt. Wenn ich es hören wollen würde. Sanft nicke ich und spüre, wie sie stärker meine Hand hält. Uff, scheint als wäre das nicht leicht für sie.

„Ich habe einen jüngeren Bruder, Benjamin. Er ist sechs Jahre jünger als ich und ist professioneller Footballspieler. Wir haben ein gutes Verhältnis, aber sehen uns selten und ich rede auch nicht über ihn in der Öffentlichkeit, weil er seine Karriere selbst aufgebaut hat und ich nicht möchte, dass er dann nur als mein kleiner Bruder bekannt ist."

Okay, verständlich und sehr respektvoll, dass sie Benjamin seinen eigene Anerkennung lassen will.

„Als unsere Mutter starb, konnte Papa sich nicht mehr die Miete für das Haus leisten. Ihr Einkommen hat gefehlt und Beerdigungen sind leider recht teuer, also zogen wir in eine kleine 3 Zimmer Wohnung, in einer nicht so schönen Gegend... es war eng, die Nachbarn waren laut, benutzte Spritzen lagen immer rum und fast täglich stand die Polizei vor der Tür. Papa war überfordert mit Benjamin, mir, den Kosten, dem Haushalt und dem Verlust - Rami zögerte nicht lange und half, wo es nur ging. Er kam vor seiner Arbeit zu uns, machte uns Frühstück und brachte uns in die Schule und Kindergarten. Dann ging er arbeiten für ein paar Stunden, holte erst Benjamin und dann mich wieder ab, brachte uns nach Hause, kochte uns etwas, machte den Haushalt und half uns bei den Hausaufgaben. Meistens blieb er bis unser Vater am Abend wieder kam und ging dann erst wieder nach Hause. Was Papa erst Jahre später erfahren hat war, dass Rami für uns radikal seine Arbeitsstunden und somit auch seinen Lohn gekürzt hat. Und Rami wollte nie etwas als Gegenleistung haben für all diese Jahre. Sein einziger Wunsch war es nur, dass wir immer zu seinem Geburtstag zusammen kommen und ihm unsere Zeit schenken. Das halten wir seit über 20 Jahre ein, egal wo auf der Welt wir verstreut sind... tut mir Leid, dass ich dir das nicht erzählt habe."

Sehr vorsichtig wischt sie über ihre tränengefüllten Augen.

Ich wusste wirklich nicht, ob ich jetzt weinen soll vor Mitleid, Rührung oder Dankbarkeit, weil sie sich mir anvertraut hat. Oder einfach wegen allem? Etwas perplex ziehe ich sie näher an mich und halte Nicole einfach nur.

„Danke dass du mir das anvertraut hast, das war bestimmt nicht leicht.", flüstere ich sanft in ihr Ohr, streiche über ihre Wange.

Um die Stimmung etwas aufzulockern, fragte ich wie ihr Vater und Rami sich kennen lernten. Wieder atmete sie tief ein.

Kopfsprung ins Fettnäpfchen?

„Sagen wir es mal so, Papa und Rami sind beide vor etwas geflohen und landeten in der gleichen Stadt. Manchmal bringt das Schicksal die richtigen Menschen zueinander."

Na super, noch ein schwieriges Thema? Sogar zwei? Wie viel Schlechtes hat ihre Familie schon erlebt?

„Je mehr ich dir erzähle, desto trauriger wird es meistens. Können wir über schönere Sachen reden?", lacht sie leicht und wischt sich endgültig die Tränen aus ihren Augen.

„Wie wäre es, wenn wir für die Tage einfach zurück nach New York gehen, ich kann dir die Stadt weiter zeigen und von dort hast du den einfachsten Rückflug?", schlage ich schnell vor und Nicole nickt zustimmend.

„Das bedeutet aber auch, dass wir aufstehen und packen sollten...", murmelt sie in das Kissen.

„5 Minuten noch.", flüstere ich, ziehe sie ganz nah an mich, vergrabe mein Gesicht in ihren Nacken.

Vielleicht wurden aus 5 Minuten auch eine Stunde später.

Wir packten beide sehr schnell, Nicole stopfte einfach alles in ihren Rucksack und ich alles in meinen Koffer.

„Hast du überhaupt schon einen Flug gebucht oder warum haben wir uns gerade so beeilt?", fragt Nicole verwirrt. Shit, wusste doch, dass ich was vergessen habe.

„Fuck, nein.", gebe ich zu, setze mich aufs Bett und buche den nächsten Flug. Der ging bald, also war es doch nützlich, dass wir schon panisch zusammen gepackt haben. Die kurze Reise lief zum Glück ohne Probleme ab.

at least 20 dates.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt