Es kracht. Als würden Bomben explodieren. Jemand schüttelt mich und schreit: „Ash! Steh auf! Du wurdest gefunden! Wir müssen weg hier!“
„Jake?“, frage ich benommen.
„Ja, ich bin es! Steh auf! Wir wurden entdeckt!“, ruft er. Ich setze mich ruckartig auf und zische kurz, da die Bewegung dem Baby wohl nicht so gut gefallen hat. Er drückt mir etwas in die Hand, das ich schnell abtaste. Mein Morgenmantel! Dann hilft er mir auf und aus dem Fenster.
„Wir können das Auto nicht nehmen. Ich habe den Schlüssel nicht. Wir müssen rennen! Geht das?“, fragt er. Ich nicke. Jake nimmt meine Hand und läuft los. Ich versuche mit ihm Schritt zu halten, aber irgendwann spüre ich stechende, krampfartige Schmerzen im Unterleib. Wehen! Ausgerechnet jetzt!
„Jake!“, keuche ich.
„Das Baby kommt!“ Wir bleiben stehen und schon spüre ich eine Flüssigkeit zwischen den Beinen. Die Blase ist gesprungen. Ganz toll!
„Komm, ich helfe dir in diese Gasse dort“, sagt er und drückt mich leicht nach links. Ich strecke die Hand aus und berühre eine Mauer. Wir gehen mehrere Meter hinein und dann lasse mich mich auf den Boden sinken.
„Bleib hier, Süße. Versuche deine Schreie zu unterdrücken oder zumindest zu ersticken, okay? Ich werde versuchen irgendwo Tücher und eine Schere und Verbandszeug zu bekommen“, sagt er.
„Lass mich nicht alleine“, wimmere ich.
„Ich bin gleich wieder da“, verspricht er. Jake gibt mir einen kleinen Kuss auf die Stirn und läuft dann davon. Ich schließe die Augen und presse meine Hand auf meinen Mund, als mich die Schmerzen überrollen. Kein Ton verlässt meine Kehle. Ich presse die Augen fest aufeinander.

Schritte ertönen. Sofort reiße ich die Augen auf und entdecke im Mondlicht eine männliche Person, die auf mich zu kommt.
„Ash, ich bin wieder da“, keucht Jake und lässt die Sachen neben meinen Beinen auf den Boden fallen.
„Ich kann wieder sehen“, wispere ich. Sein Kopf schießt hoch und er mustert mich.
„Tatsächlich! Deine Augen sind wieder klar“, sagt er. Dann krümme ich mich unter einer weiteren Wehe zusammen. Schnell und routinemäßig breitet er eine dicke Decke unter meinem Hintern aus, auf welcher die Kleine dann landen soll. Eine andere legt er griffbereit neben mich, um das Baby dann darin einzuwickeln, wie ich vermute. Andere Utensilien legt er daneben.
„Ich hoffe, keiner von euch wird krank“, murmelt er leise. Auf einer Uhr prüft er die Abstände zwischen den Wehen.

Langsam tritt die Sonne über den Horizont und erhellt die Straße. Ein Schrei bricht aus meiner Kehle, den ich nicht aufhalten konnte, als sich Valentine durch meinen Körper presst. Jake ermutigt mich, nicht aufzugeben.

Schon kurz darauf erklingt ihr Weinen in der Stille. Jake durchtrennt die Nabelschnur und wickelt sie tatsächlich in die Decke. Er legt sie mir kurz in die Arme. Das Baby hat, wenn ich es richtig erkennen kann, schwarze Haare.
Wie die Mutter.
Sie öffnet einen kurzen Moment ihre Augen. Blaue, strahlende Augen. Stimmen brüllen Befehle. Ich drücke Jake das Kind in die Arme.
„Verschwinde mit ihr! Niemand darf sie bekommen! Hau mit ihr ab!“, flehe ich. Dann fasse ich an meinen Hals und nehme meine Kette ab.
„Schenk sie meinem Baby! Niemand darf sie oder die Kette bekommen! Versprich mir, dass du dich gut um sie kümmerst!“, flehe ich.
„Ich schwöre dir, dass ich mich um sie kümmere und nur Valentine diese Kette bekommt“, verspricht Jake mit Tränen in den Augen. Ich hebe meine Hände an sein Gesicht, um ihn ein letztes Mal an mich zu drücken und zu küssen. Er drückt einen Kuss auf meinen Kopf, während ich das Gleiche bei dem Neugeborenen mache.
„Lauf!“, wispere ich. Jake erhebt sich in einer fließenden Bewegung und läuft mit dem Kind davon. Ich bleibe in dieser Gasse blutüberströmt zurück. Auch mir laufen inzwischen Tränen über das Gesicht. Schwach stehe ich auf und wanke zur Hauptstraße. In ein paar hundert Metern Entfernung kann ich noch Jake´s Silhouette erkennen. Auf der anderen Seite kommen die Männer mit Waffen in den Händen.
„Ihr wollt doch mich“, rufe ich ihnen entgegen. Sofort ändern sie ihre Richtung und kommen auf mich zu.
„Du hast einen unserer Kumpels verraten, Kleine. Dafür müssen wir dich bestrafen“, sagt einer mit tiefer Stimme. Ich neige ergeben den Kopf. Solange mein Kind in Sicherheit ist, ist alles gut. Wegen dem Blutverlust falle ich schwach auf die Knie. Einer kommt näher. Zieht den Morgenmantel weg.
„Sie hat tatsächlich das Kind bekommen, dass Emmy erwähnt hat“, sagt er.
„Wo ist das Baby?“, fragt er kalt.
„Tot. Jemand hat mich in der Gasse dort gefunden, als ich sie auf die Welt gebracht habe. Er hat das Kind vor meinen Augen erwürgt und ist mit ihr abgehauen“, flüstere ich weinend.
„Gut so. Dann haben wir ein Balg weniger auf dieser Welt“, sagt ein anderer.
„Wir nehmen sie mit“, sagt der Anführer. Dann verliere ich das Bewusstsein.

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801 Wörter!

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