Mit Tränen in den Augen frage ich die Schwester an der Anmeldung: "Wo ist mein Verlobter? Chase Caporne? Er wurde schwer verletzt eingeliefert."
"Sie sind?", fragt sie misstrauisch.
"Seine Verlobte. Jessica Summer", sage ich zitternd.
"Fünfter Stock, Zimmer 500", sagt sie. Ich danke ihr nicht einmal, sondern laufe einfach los. Vor seinem Zimmer steht Officer Legend. Ich will an ihm vorbei, aber er hält mich an der Taille fest.
"Miss Summer, einen Moment. Der Arzt ist eben bei ihm. Sie sollten noch warten, bis er wieder kommt", sagt er und hält mich mit seinen Armen an seinem Körper, damit ich mich nicht losreißen kann.
"Lassen Sie mich zu ihm. Sie können mich nicht davon abhalten", schluchze ich und fange endlich an zu weinen. In meinem schwachen Moment falle ich auf die Knie. Er kniet sich neben mich und tröstet mich.

Die Tür öffnet sich und ein müder Arzt tritt heraus. Sofort bin ich auf den Beinen und schwanke, weil mir schwarz vor Augen wird.
"Miss Summer?", fragt er. Hastig nicke ich.
"Mister Caporne wurde mit mehreren Messerstichen fast getötet. Er lebt noch, doch es ist nicht sicher, dass er es schaffen wird. Die Stiche waren präzise gesetzt. Ein paar konnten wohl nicht ausgeführt werden, sonst wäre er sofort tot gewesen. Er hatte Glück im Unglück. Es ist jedoch möglich, dass er bleibende Schäden am Gehirn davon tragen wird. Er hatte mindestens eine Hirnblutung, die wir stoppen konnten. Außerdem ist es möglich, dass er querschnittsgelähmt sein wird. Wir können es nicht herausfinden, da er ohne Bewusstsein ist. Er liegt im künstlichen Koma, damit sich sein Körper wieder regenerieren kann", sagt er. Seine Worte erreichen mich, doch es scheint so, als könnte ich sie nicht verarbeiten.
"Wie lange?", frage ich heiser.
"Können wir nicht sagen", antwortet er sachlich.
"Wird er in einem halben Jahr wieder wach sein?", frage ich, obwohl ich die Antwort nicht hören will. Er wiegt den Kopf in einer unsicheren Geste. Dann lege ich schützend meine Hände auf meinen Bauch.
"Sie sind schwanger? Von Mister Caporne?", fragt er.
"Ja!", schreie ich ihm verzweifelt entgegen.
"Und es werden Zwillinge", heule ich.
"Möchten Sie zu ihm?", fragt er.
"Darf ich denn zu meinem Verlobten?", frage ich. Er nickt und öffnet mir die Tür. Ich gehe auf wackligen Beinen rein und sehe Chase an. Er liegt dort irgendwie schutzlos in diesem Bett. An die Maschinen angeschlossen. Der Arzt steht noch hinter mir.
"Werden irgendwann die Maschinen abgeschaltet?", frage ich zögernd.
"Wenn es die Person seiner Patientenverfügung so sagt, dann ja. Ich werde mich erkundigen, ob eine Patientenverfügung besteht", antwortet er und lässt uns alleine. Ich gehe noch näher heran. Dann strecke ich meine Hand nach seiner aus und berühre ihn zaghaft. Ich habe Angst ihm weh zu tun. Er sollte nicht so blass sein, aber das liegt wohl an dem hohen Blutverlust. Ich habe Angst um ihn. Immerhin liebe ich ihn. Ich knie mich neben sein Bett, falte die Hände und bete. Ich bete, dass er überlebt. Er muss einfach.

Ich nehme mein Handy und rufe Bea an.
„Ja?“
„Bea? Kannst du dich noch länger um mein Baby kümmern? Chase wurde schwer verletzt und liegt im Krankenhaus. Ich will ihn nicht alleine lassen“, weine ich.
„Was? Was ist passiert, Liebes?“, fragt sie beunruhigt.
„Chase! Er wurde fast erstochen. Im Gefängnis. Man hat ihn fast erstochen und jetzt liegt er im Krankenhaus. Er hat nur knapp überlebt und stirbt vielleicht“, wimmere ich ins Telefon.
„Keine Angst, Liebes. Chase ist ein starker Mann. Er wird das überstehen und an deiner Seite eure Kinder großziehen“, versucht sie mich zu beruhigen.
„Nein, wird er nicht“, sage ich deprimiert und verabschiede mich von ihr. Dann gehe ich wieder in sein Zimmer. Wie kann man einem werdenden Vater nur so etwas antun? Ich bin mir sicher, dass die anderen Insassen wussten, dass er Vater wird. Immerhin hat er immer die Ultraschallbilder von mir bekommen. Jedes einzelne. Wieder nehme ich seine Hand und platziere sie an meiner Wange. Er fühlt sich kalt an. Tränen strömen mir über die Wangen.

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670 Wörter!

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