Eissplitter

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Wir gingen zurück zu meiner Wohnung und ich überredete Icy-Hot hereinzukommen. Der Bastard hatte mir schon wieder das Leben gerettet, da musste ich mich doch wenigsten um seine Verletzungen kümmern. Nicht dass ihn am Ende noch die Läsionen hinderten, weiter Dämonen zu jagen. Er legte seine Waffen und seine Kampfmontur ab und ich holte Tücher, warmes Wasser und Verbandszeug. Ich reinigte die Wunden gründlich und wusch das Blut ab. Er hatte wirklich Glück gehabt. Die Protektoren haben das meiste abgefangen. Wahrscheinlich würde noch nicht mal eine Narbe übrig bleiben. Dennoch desinfizierte ich die Kratzer und kleinen Stichwunden und legte einen Verband an. Ich räumte die Sachen weg und reichte ihm eine Flasche Wasser und ein frisches Shirt.

„Viel mehr kann ich dir leider nicht anbieten." Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern und setzte mich neben ihn.

Es war spät geworden, doch ich würde mich hüten und ihm erneut mein Bett anbieten. Er sah traurig aus und wirkte fast schon einsam, so wie er da auf dem Sofa saß und seine Finger knetete. Einen Penny für seine Gedanken. Es zog in meiner Brust und das Gefühl, ihn in den Arm schließen zu müssen, keimte in mir auf. Doch das kämpfte ich einfach nieder. Tss! Ich war Katsuki Bakugo, ein Vampir und kein Schmusebär. Außerdem konnte das nur böse enden.

Wie aus dem nichts legte Todoroki seine Füße auf das Sofa und seinen Kopf in meinen Schoß. „Kann ich einfach so ein bisschen hier liegen?"

Ich nickte und er drückte sich fest an mich. Vielleicht konnte ich mich ausnahmsweise auf Schmuse-Vampir einigen. In Gedanken spielte ich sanft mit den rot-weißen Strähnen und schien die Welt zu vergessen. Gerade gab es nichts Schöneres, nichts Wichtigeres, als bei ihm hier so zu sitzen. Ich hauchte einen sanften Kuss auf seine Haare und merkte, dass er eingeschlafen war. Wie konnte er so ein Vertrauen in mich haben, nach allem, was ich ihm angetan hatte. Er schlief so friedlich wie in Abrahams Schoß. Aber vielleicht war es ja auch kein Vertrauen und viel mehr der Tatsache geschuldet, dass der Fluch nicht zuließ, dass ich ihm ernsthaft schadete. Zudem hatte er heute Abend gekonnt seine Macht demonstriert. Aber auch ohne diese Verbildlichung war mir längst klar, dass selbst wenn er mich vernichten wollte, ich ihm nichts entgegensetzten würde. Und ich wollte nicht darüber nachdenken, warum das letztendlich so war. Dem allem zum Trotz oder möglicherweise auch gerade deshalb, konnte ich das einfach nur genießen und nickte irgendwann ein.

Ich wachte erst wieder auf, als sich Shoto unruhig herumdrehte. Sein Gesicht war noch blasser, als sonnst und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Er fühlte sich heiß an und ich legte die Hand auf seine Stirn.

„Verdammt, du hast hohes Fieber", stellte ich erschrocken fest.

Müde schlug er die glasigen Augen auf. „Unsinn, ich hatte noch nie Fieber."

„Du hast auch noch nie gegen die fucking Schneekönigin gekämpft."

Er setzte sich langsam auf und hielt sich den Kopf. „Oh Mist, mir geht es wirklich nicht gut."

„Ich rufe Izuku an. Er weiß sicher, was zu tun ist."

Keine viertel Stunde später stand der Elf in meiner Wohnung und überreichte Icy-Hot eine Flasche mit blauem Inhalt, der verdächtig nach Frostschutzmittel aussah.

„Das Zeug ist bitter, aber gegen dämonisches Gift hilft es zuverlässig. Was du jetzt brauchst, ist viel Ruhe, damit du bis zur zweiten Zeremonie wieder auf den Beinen bist." Er wandte sich mir zu. „Bring ihn am besten nach Hause und kümmre dich um ihn. Hier kann er nicht bleiben. Blutkonserven sind nicht das Richtige für ihn. Du gibst ihm bitte alle Stunde einen Esslöffel von dem Mittel. Sollte es wider Erwarten schlimmer werden, ruf mich sofort an."

Das Taxi brachte uns bis vor seine Wohnung. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten und ich musste ihn stützen. Als ich die Wohnungstür hinter uns schloss, gaben seine Knie nach und ich trug ihn in sein Bett. Da er völlig verschwitzt war, zog ich ihn um. Anschließend gab ich ihm seine Medizin und machte ihm eine kalte Kompresse. Er ließ alles teilnahmslos über sich ergehen. Da die Sonne bereits aufging, schloss ich alle Jalousien. Dann setzte ich mich neben ihn. Ich hatte das Gefühl, die Hitze zu spüren, die von ihm ausging. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass es Shoto bald besser ginge, aber das Gegenteil war der Fall. Er schien nicht mehr richtig bei sich zu sein und war in kürzester Zeit wieder schweißgebadet. Verdammt, was war nur los mit ihm? Ich rief Izuku an, der sofort ran ging.

„Deine scheiß Medizin wirkt einen Dreck!", brüllte ich ihn an. „Er ist so heiß, dass er bald in Flammen aufgeht."

„Beruhige dich Kat! Ich bin in zehn Minuten bei euch."

„Beeil dich! Es geht ihm wirklich schlecht."

Ich wusch ihm den Schweiß ab und machte ihm eine neue Kompresse. Nervös tigerte ich vor seinem Bett auf und ab. Ich war ein Vampir und keine Krankenschwester. Ich hatte keine scheiß Ahnung, was ich eigentlich hier tat und dieser Mist-Elf hatte mich damit alleine gelassen. Es klingelte an der Tür und in Vampirgeschwindigkeit öffnete ich sie und ließ ihn herein. Shoto hatte das Bewusstsein verloren und rollte sich im Fieberwahn hin und her. Die Sorge, die auf Izukus Gesicht stand, sprach Bände.

„Das ist echt übel. Es muss ein verfluchter Eissplitter in ihn eingedrungen sein. Trag ihn in die Dusche und dreh das kalte Wasser auf. Wir müssen die Temperatur in den Griff bekommen. Ich muss telefonieren."

Shotos Körper war so heiß, dass ich glaubte von seiner Hitze zu verbrennen. Wie konnte er das nur aushalten. Offensichtlich spielten seine Kräfte verrückt. Ich setzte ihn mit Shorts und T-Shirt in die Kabine, kniete mich zu ihm, nahm den Duschkopf in die Hand und braust ihn ab. Langsam ging die Temperatur zurück und er kam zu sich, war aber so geschwächt, dass er sich nicht rühren konnte. Er sah mich mit großen Augen an und ich spürte, dass er mich nicht erkannte. Doch dann schloss er die Lider und lehnte sich an mich. Ich stellte das Wasser ab und nahm ihn in den Arm. Ich kam mir so hilflos vor. Und ein Gefühl, das ich nicht kannte, ergriff Besitz von mir. Panik. Wieso konnte ich ihn nicht beschützen. Ich bin derjenige, der 150 Jahre Erfahrungen mit Dämonen hatte. Ich hätte den Jungen beschützen müssen. Ich war schuld an dem hier. Es ging ihm so hundsmiserabel. Ihn so leiden zu sehen machte mich fertig.

Izuku kam zurück ins Bad. In seinen Augen standen Tränen. „Alleine können wir ihn nicht retten. Ich habe mit Dabi telefoniert und er ist auf dem Weg. Ich werde dich nicht anlügen. Es steht schlecht um Shoto und er könnte sterben. Wir brauchen hier ein kleines Wunder." Seine Stimme brach weg.

In meinem Kopf surrte jäh ein Bienenschwarm. Um meinen Hals schnürten sich Bänder. Mir wurde schwindlig und etwas riss mir den Boden unter den Füßen weg. Haltsuchend huschte mein Blick durch die Gegend und ich war dabei, in einen Abgrund zu stürzen. Ich spürte, wie jegliche Kraft aus meinem Körper wich und ich zur Seite kippte. Izukus Stimme ratterte in meinem Verstand wie eine Endlosschleife. Shoto könnte sterben. Auf einmal spürte ich die Hand des Elfen auf der Schulter.

„Scheiße Kat, mach mir hier nicht schlapp! Shoto braucht dich jetzt. Reiß dich am Riemen! Zusammen mit dem Hexer kriegen wir das hin. Okay, ich lasse Wasser in die Wanne und du legst ihn hinein! Wir geben jetzt nicht auf!" Seine aufmunternden Worte konnte er sich selbst nicht glauben.

Ich legte Shoto, der schon wieder das Bewusstsein verloren hatte, in die Wanne. Ich war wie betäubt und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen.

„Sollten wir ihn nicht in ein Krankenhaus bringen oder einen Arzt rufen?"

„Kein Arzt der Welt kann ihm helfen. Das ist eine magische Vergiftung. Was wir brauchen, ist Magie. Und zwar ziemlich mächtige. Hoffentlich ist Dabi stark genug."

Es klingelte an der Haustür und einen Moment später stand der Dunkel-Hexer im Bad. Ich fragte ihn nicht, wie er so schnell da sein konnte. Mit Sicherheit hatte es etwas mit Magie zu tun. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, trat er zu Shoto. Es störte mich nicht. In seinen Augen war ich nicht mehr als blutsaugender Abschaum und vielleicht hatte er ja Recht. Hauptsache er half ihm. Dabi legte die Hand an seine Stirn und schloss kurz die Lider. Dann drehte er sich zu Izuku. Sein Blick war versteinert. Du hast mich keine Minuten zu früh gerufen.

„Bitte ich flehe dich an, du musst ihm retten!" Meine Stimme war nur ein klägliches und verzweifeltes Wimmern und ich erkannte sie selbst nicht mehr.

Er sah mich an, als würde er mich das erste Mal sehen. Er nickte kurz. „Hier drin kann ich den Zauber nicht ausführen. Trag ihn bitte ins Wohnzimmer und zieh ihm das Shirt aus!"

Ich nickte und hob ihn aus der Wanne. Sein Kopf fiel kraftlos gegen meine Brust. Sein Atem ging unregelmäßig und seinen Puls konnte ich kaum noch hören.

Dabi verschaffte sich mit einer Handbewegung Platz und alle Möbel rückten an die Wände. Ich legte Shoto behutsam in die Mitte des Raums und befreite ihn von dem nassen Shirt. Er war leichenblass und reagierte auf nichts mehr. Der Hexer zog mit Kreide einen Kreis um ihn und zeichnete etliche Symbole darum. Er stellte vier Kerzen auf und zündete sie mit einer Flamme aus seinem Finger an.

„Ich brauche etwas Blut." Er sah mich an. „Am besten deins. Dein Blut ist stark. Es könnte ihm das Leben retten."

Er reichte mir ein Schälchen. Meine Zähne fuhren aus. Ohne nachzudenken, öffnete ich mir mit einem Biss die Schlagadern am Handgelenk und ließ den Lebenssaft hineinrinnen, bis sich die Wunden verschlossen.

„Das genügt", sagte er und nahm mir das Schälchen ab. Er tunkte den Pinsel in mein Blut und schrieb er etwas auf Shotos Brust. „Das wird eine Weile dauern. Du darfst mich nicht unterbrechen, egal was passiert." Er sah wohl Angst in meinen Augen und schenkte mir so etwas wie ein flüchtiges Lächeln. „Keine Sorge, ich lasse meinen kleinen Bruder nicht sterben. Und jetzt setzt dich in eine Ecke und sei still." Er kniete sich vor den Kreis. „Izuku, dich brauche ich als Anker ins Diesseits. Leg deine Hände auf meine Schultern! Er driftet ab, aber ich werd ihn zurückholen und seinen Körper entgiften."

Dabis Aura leuchtete in einem dunklen Blau. Hüllte sogar den kleinen Elfen ein. Er hob die Arme wie zum Gebet. Psalmodierte in einer mir unverständlichen Sprache. Die Flammen der Kerzen änderten ihre Farbe und brannten jetzt ebenfalls blau. Das Blut auf Shotos Brust wurde schwarz wie Tinte. Die Magie im Raum war fast greifbar und mir lief ein Schauder über den Rücken. Was wenn es sein Bruder nicht schaffte Shoto zu retten? Wenn er zu schwach war? Was sollte ich ohne Shoto machen? Er war doch alles, was ich hatte, was ich brauchte. Was sollte ich nur tun? Ich war völlig überfordert. Vor meinen Augen verschwamm alles. Die Tränen ließen sich nicht aufhalten. Ich versteckte das Gesicht in den zitternden Händen. Zeit und Raum verloren jegliche Bedeutung. Ich hatte in letzter Zeit schon einiges begreifen oder lernen müssen. Und Fluch hin oder her, er war es gewesen, der meine Existenz lebenswerter gemacht hat. Einen Sinn gegeben hatte. Ihn jetzt zu verlieren war etwas, das einfach nicht sein durfte. Benommen knetete ich meine Hände. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und mein Körper schmerzte. Ich hielt es kaum noch auf dem Sessel aus. Am liebsten hätte ich losgebrüllt und etwas zerschlagen. Aber ich durfte nicht die Nerven verlieren. Ich krallte mich in den Armlehnen fest, um mich selbst daran zu hindern aufzuspringen. Nervös biss ich mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Hinter meinen Schläfen pocht es. Alles drehte sich auf einmal vor meinen Augen. Ich war am Ende.

Es wurde Mittag und es wurde Abend. Plötzlich wurde Shotos Körper heftig durchgeschüttelt, als würde er krampfen. Ich sah erschrocken zu dem Hexer. Er und Izuku hielten die Augen geschlossen. Schweiß stand ihnen im Gesicht. Dabis Stimme wurde lauter und eindringlicher. Auf einmal löste sich Shoto vom Boden und schwebte in der Luft. Er schrie vor Schmerzen auf. Dort wo die Blut-Schrift aufgezeichnet war, riss die Haut auf und weiße Flüssigkeit sickerte heraus, rann über seinen Körper und tropfte zischend zu Boden, wo sie verdampfte. Ich spürte, wie ich vor Anspannung zitterte. Keine Sekunde länger hielt ich es auf meinen Sitz aus. Mit einem letzten Zischen war alles vorbei. Die Wunden schlossen sich augenblicklich. Er sank zu Boden. Die Kerzen gingen aus und Dabis Aura erlosch. Er sah mich erschöpft an und nickte mir zur. Ich kniete mich zu Shoto und zog ihn an mich. Wiegte ihn in meinen Armen. Er war bei Bewusstsein und schlug sogar die Augen auf. Er sah Dabi und Izuku dankbar an und versuchte ihnen ein Lächeln zu schenken. Er schlang die Arme um meinen Hals und ließ sich von mir ins Bett tragen. Ich deckte ihn zu und er schlief sofort ein.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo der Elf und der Hexer auf mich warteten. Ich verbeugte mich vor den beiden. „Danke, dass ihr Shoto gerettet habt. Ich stehe für ewig in eurer Schuld."

„Danke für dein Blut, Vampir. Es hat geholfen. Er wird Ruhe brauchen. Kümmere dich gut um meinen Bruder!"

„Ja, das mach ich!"

Die nächsten drei Tage war Shoto ans Bett gefesselt. Ich blieb die meiste Zeit bei ihm. Nur nachts, wenn ich für ein paar Stunden auf Dämonenjagd ging, sah der Elf nach ihm. Sogar Dabi hatte ihm einen Besuch abgestattet. Jetzt ging es ihm wieder gut. Genau rechtzeitig zum nächsten Vollmond.

Im Tode vereintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt