Niemand liebt einen Vampir

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Als ich am Nutter's Battery ankam, waren alle bereits versammelt. Der volle Mond stand hoch am Himmel und Shoto unterhielt sich mit seinem Bruder über den Fluch. Dabi versprach ihm, mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Tsuyu und Izuku bereiteten das Ritual vor. Es lief genauso ab wie das Erste. Diesmal trank ich genügend Meerwasser, wurde nicht ohnmächtig und spürte, wie ein Band in meinem Innern zu reisen schien, als das zweite Siegel brach. Heute trat der Effekt deutlicher und schneller ein als erwartet. Die übermenschliche körperliche Anziehung war gebrochen. Das hatte auf jeden Fall auch was Gutes. Ich bekam nicht sofort einen Ständer, wenn sich Icy-Hot mir auf weniger als zwei Schritte näherte, und ich wollte ihm nicht ständig die Klamotten vom Leib reißen. Moment mal, was hieß hier eigentlich - auch etwas Gutes? War nicht alles daran gut? Es war doch das, was wir wollten. Und zudem das unwiderlegbare Zeichen, dass diese Gefühlsduseleien alle nicht real waren, oder? War ich endlich wieder auf dem Weg zu meinem alten sorglosen Ich? Es lag eine seltsam benommene Stimmung in der Luft und mehr unausgesprochene Worte, als gut für mich war. Dennoch verließ ich den Ritualplatz schweigend. Ich würde schon damit klarkommen. Und Shoto hatte den Elfen und seinen Bruder.

Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen. Das war jetzt vierzehn Tage her. Izukus Trank tat seine Arbeit besser denn je und ich brauchte ihn zunehmend seltener. Jeder focht in den Nächten, wie zu Beginn, seine eigenen Kämpfe gegen die immer noch zahlreichen Dämonen. Und sobald die Sonne aufging und sich die Monster verkrochen, kehrte jeder in seine eigene Wohnung zurück.

Ich drehte den Schlüssel um und betrat mein Loft. Ich atmete tief ein, als würde ich hoffen, noch eine letzte Spur seines Geruches wahrzunehmen. Doch alles, was mich empfing, war frostiges Schweigen. Ich seufzte, schaltete das Licht an und schloss die Tür. Die einsame Leere der Wohnung schien auf mich überzugreifen und nagte an mir wie Monsterholzwürmer aus der Hölle. Ein niederdrückendes Gefühl legte sich zähflüssig auf meine Schultern und schlang sich um meine Brust. Machte jeden Atemzug schwer und qualvoll. Diese Art von Schmerz würde sicher auch vergehen, sobald das letzte Ritual durchgeführt wurde. Dann würde alles endlich wie früher sein. Aber wollte ich das denn? Vielleicht konnten wir ja Freunde bleiben. Wohl eher nicht. Denn hätte uns der Fluch nicht aneinander gekettet, wären wir sicher auch nie welche geworden. Ein Hexer und ein Vampir Freunde? Das war ja lächerlich, geradezu absurd. Mein Handy piepte. Eine Nachricht von Todoroki: Ich komme vorbei.

Fünf Sekunden später klopfte es an der Tür. Wollte der mich verarschen? Ich riss sie auf und starrte direkt in seine Augen, die mich auch ohne Magie mit einem Schlag völlig verhexten. Wir standen da, minutenlang. Unfähig einen Schritt zu tun oder ein Wort zu sagen. Suchten nach Antworten in den Augen des anderen. Ich schluckte schwer. Konnte mich aber nicht losreißen. Und da war es wieder, das Bedürfnis meine Lippen mit seinen zu vereinigen. Unsere Körper zu vereinigen.

„Darf ich reinkommen?", fragte er leise. Seine Stimme klang so zerbrechlich, wie ich mich gerade fühlte.

Ich nickte und ließ ihn herein. Hölle! Wie gut er roch. „Gibt es was Neues?" Ich ließ meine Stimme neutral klingen. Irgendwie hoffte ich, für den Anflug einer Sekunde, dass er meinetwegen kommen war. Etwas, was jeder Logik entbehrte und ich niemals zugeben würde.

„Ja, Toshinoris Hexenzirkel hat es geschafft, das Tor zur Hölle zu versiegeln."

„Na das sind doch mal gute Nachrichten."

„Wären es, wenn ein Siegel nicht heute Nacht schon wieder gebrochen wären. Und das heißt, früher oder später wird der Feuerclan hier auftauchen."

„Verstehe, danke für die Warnung." Ich musste wirklich vorsichtig sein. Die waren schlimmer als die Pest.

Er legte seine Hand an meine Wange und ich spürte Wärme in selbige steigen. „Ich habe dich vermisst. Sehr sogar."

Ich schluckte. „Was soll das heißen, hast du nicht den Elfen-Trunk genommen? Willst du dich selbst quälen?"

Er sah mich traurig an. „Es gibt keinen Zauber, der gegen Vermissen hilft. Hast du mich denn nicht vermisst?"

Hatte ich? Ich horchte vorsichtig in mich hinein. Etwas, das ich stets vermieden hatte. Und wie aus dem Nichts rannen Tränen über mein Gesicht. Scheiße, ich hatte Shoto wie Hölle vermisst, musste ich mir eingestehen. Die Sehnsucht in mir hatte bereits alle Schutzmauern niedergebrannt und mich wehrlos zurückgelassen. Mir wurde mal wieder etwas klar. Es gab sie, die eine Person, die mein wahres Ich kannte. Gleichwohl musste ich mich nicht verstellen, konnte sein, wer und wie ich war. Shoto Todoroki gab mir das Gefühl, etwas wert zu sein. Er wollte mich, so wie ich war. Und ich wollte ihn um keinen Preis verlieren. Ich würde meinen letzten Atemzug geben, nur um ihn glücklich zu sehen. Ich wollte ihn beschützen. Aber war ich nicht selber das schlimmste Gift für ihn? Ich war ein blutsaugendes Monster.

Ich wischte schnell die Tränen weg. „Nein, hab ich nicht."

„Lügner."

„Tss, glaub doch was du willst!" Ich drehte mich weg.

„Sag mal, wie viele Herzen hast du schon gebrochen?"

„Was soll das den heißen? Sicher habe ich an der einen oder anderen Stelle verbrannte Erde hinterlassen. Aber mehr als ein Versprechen einer unvergesslichen Nacht hatte ich nie gegeben und werde ich auch nie geben. Also sicher nicht viele. Wieso fragst du so etwas?"

„Weil du dabei bist meines zu brechen. Ich liebe dich, Katsuki Bakugo. Und das wird sich auch nicht ändern, wenn das letzte Siegel entfernt wird."

Der Stromschlag, der durch meinen Körper zuckte, traf mich genau ins Herz. Noch nie hatte jemand das zu mir gesagt. Es hörte sich unwirklich an. Ein Vampir war kein liebenswertes Wesen. Ein Vampir war ein egozentrisches Monster, das allenfalls sich selbst liebte.

Ich legte die Finger an meine Nasenwurzel und schloss die Augen. „Shoto, bitte. Du darfst so etwas nicht sagen! Niemand liebt einen Vampir aus freien Stücken. Das ist nur der Fluch."

„Es ist mir nicht entgangen, dass du ein Vampir bist. Und auch wenn dein Herz nicht mehr schlägt, ist es in der Lage mehr Liebe zu empfinden und zu schenken, als das jedes Menschen. Mag sein, dass du das nicht sehen willst oder kannst. Aber ich kann es und ich weiß, dass auch du mich liebst." Er drehte mich um und legte die Hand wieder an meine Wange. Ich konnte nicht anders, als mich anzuschmiegen. „Ich weiß, dass du nicht mit mir schlafen willst, weil du immer noch glaubst, das sei alles nicht echt. Aber ich kann dir auch auf eine andere Art meine Liebe zeigen. Schick mich nicht weg."

Hatte ich eine Wahl? Auch wenn es einfacher für mich wäre nein zu sagen, ich wusste, dass man immer eine Wahl hat. Selbst wenn man zwischen Pest und Cholera wählen musste. Selbst das Schicksal ließ einem die Wahl, sich ihm zu ergeben oder dagegen anzukämpfen, so wie er es machte. Und wenn ich nicht so selbstsüchtig wäre, würde ich mich von ihm fernhalten. Denn ich war die Nacht und das Verderben folgte mir auf dem Fuße. In diesem Moment hasste ich mich, dass ich ein verfluchter Vampir war und zu schwach, um mich gegen mein Schicksal zu stellen. Hasste ihn, dass er in mein Leben getreten war und mir das alles angetan hatte. Wieso konnte er mich nicht hassen? Alles wäre so viel leichter.

Das war alles so verrückt. Shoto stand da und gestand mir seine Liebe. Ich zog ihn an mich und nahm ihn einfach nur in den Arm. „Ich mag dich vielleicht auch ein bisschen mehr, als ursprünglich geplant, Icy-Hot."

Er lächelte mit strahlenden Augen und dann lagen seine Lippen auf meinen.

Ich wusste nicht, wie lange wir uns so fest umschlungen geküsst hatten, aber als wir uns langsam lösten, schmerzten meine Lippen. So fühlte es sich also an, den Menschen im Arm zu halten, den man mehr als alles auf der Welt bei sich haben wollte? Den man aufrichtig und für alle Zeiten lieben wollte. Aber letztendlich konnte keiner von uns sicher sein, ob es echt war. Und Liebesschwüre, ob ausgesprochen oder nicht, bedeuteten nichts.

Ich ließ ihn los und wich einen Schritt zurück. „Hör zu Todoroki, i.. ich kann das nicht."

„Ich weiß. Aber ich hab eine Frage an dich. Wenn du nie mehr versprichst als eine unvergessliche Nacht, warum kannst du mir nicht das gleiche versprechen? Warum Kat-chan? Warum nicht mir?"

Ich antwortete nicht.

„Wenn du keine Antwort darauf hast, solltest du vielleicht einmal darüber nachdenken. Du weißt, wo du mich findest." Er schenkte mir ein seltsames Lächeln, dann drehte er sich um und ließ mich allein zurück.

Ich setzte mich aufs Sofa. Warum hatte mich diese Frage so aus der Fassung gebracht? Und wieso hatte ich keine Antwort parat? Meine Gedanken schienen wie um einen dunklen Fleck zu kreisen, in den ich mich nicht traute hineinzublicken, aus Angst dort etwas zu entdecken, was ich nicht sehen wollte. Meine Atmung beschleunigte sich. Was war nur los? Erneut suchten sich Tränen einen Weg aus den Augen. Was war es, das ich nicht sehen konnte. Das ich nicht sehen wollte. Warum konnte ich ihm nicht einfach wie allen eine unvergessliche Nacht versprechen? Warum? Weil mir niemand, dem ich das Versprechen je gegeben hatte, etwas bedeutete. Und Shoto? Er bedeutete mir einfach alles. Er war zu meinem Universum geworden. Ich war bereit ihn sogar vor mir selbst zu schützen. Ihn aufzugeben, weil ich nicht gut für ihn war. Verdammt! Ich liebte ihn so sehr, dass selbst der Tod es nicht beenden konnte und auch kein gebrochener Fluch. Darauf richte sich all mein Hoffen und Sehnen. Ich wollte das. Ich konnte es nicht länger leugnen. Ich war mir sicher. – Fast.

Ich sah auf die Uhr. Das „Plus Ultra" hat noch geöffnet. Das hier schrie nach einem Whisky bei meinem Lieblings-Barkeeper.


Kirishima stellte mir einen Whisky auf die Theke. Wir kannten uns schon lange. Seine Eltern kamen ursprünglich auch aus Japan. Vielleicht waren wir deshalb so was wie Freunde geworden. In der Kiste war ich nie mit ihm gelandet und sein Blut hatte ich auch nie getrunken. Dabei war Kiri echt niedlich, oder besser gesagt wäre es, wenn er nicht so eine Kack-Frisur hätte.

„Heute ohne deinen Prinzen? Hängt der Haussegen etwa schon schief?"

„Klappe!" Ich musste grinsen. „Nein, um ehrlich zu sein, hat mir der Kleine heute seine Liebe gestanden."

„Und warum siehst du dann so aus, als hätte man dir in die Eier getreten? War das so schlimm?"

„Nein, schlimm ist nur, dass mir klar wurde, wie sehr ich ihn liebe. Das glaube ich zumindest."

Kirishima lachte laut. „Das wurde dir erst jetzt klar, du Spinner?"

Ich nickte. „Lange Geschichte..."

„Ach ist das so? Aber kannst du mir mal verklickern, warum zum Henker du dann hier an der Bar herumsitzt und nicht bei deinem Lover-Boy bist?"

Fuck, er hatte so was von Recht. „Aber wie kann ich mir sicher sein?"

„Sicher? Dein Ernst? Willst du eine Lebensversicherung oder willst du Liebe und Leidenschaft. Das Einzige, was im Leben sicher ist, ist das es irgendwann endet. Und wenn du niemals zugelassen hast zu lieben oder geliebt zu werden, wird es verdammt einsam enden."

„Aber ..."

„Nichts aber! Wenn es sich richtig anfühlt, dann ist es richtig. So einfach tickt die Welt."

Verdammt, er hatte recht. Am Anfang hatte sich alles daran verkehrt angefühlt. Aber jetzt ... und dennoch ...

Im Tode vereintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt