Kapitel 3 - Ein Kinderspiel

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Emery

„Also, Mädels. Noch mal zur Wiederholung: Alle Bücher müssen immer im System erfasst werden, sowohl wenn ihr sie rausgebt, als auch wenn sie zurückkommen. Danach überprüft ihr sie, verfrachtet  sie alle hier auf den Wagen und bringt sie in den richtig Stock, ordnet sie wieder da hin, wo sie herkommen. Dann müsst ihr die Studentenkarteien pflegen. Neue Bücher müssen gelabelt und ebenfalls im System eingefügt werden. Ihr erhebt Gebühren, wenn die Studenten die Bücher zu spät abgeben und ihr achtet darauf, dass alle Bücher rechtzeitig zurückkommen. Außerdem sorgt ihr dafür, dass die Ruhe in den Lernräumen eingehalten wird. Wir sind immerhin eine Bibliothek und ein Ort des Wissens und Lernens. Alles verstanden?"

Poppy nickt eifrig, während ich noch versuche zu zählen, wie oft ich in den letzten 45 Minuten das Wort Bücher gehört habe. Unsere Einweiserin ist die circa 60-jährige Dorothea, die die steoreotypische Bibliothekarin verkörpert: weißes, gelocktes und kurzes Haar,  dicke Brille mit brauner Fassung und ein Kordrock, der ihr bis zu den Knöcheln geht. Aber man darf nicht den Fehler machen, sich von ihrer lieben Großmuttererscheinung täuschen zu lassen. Sie hat es faustdick hinter den Ohren und geht mit schnellen und bestimmten Schritten durch die Unibibliothek, ständig erklärend, was wir zu tun haben, wenn wir den Job kriegen. Ich habe Schwierigkeiten Schritt zu halten und auch Poppy sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ihr könnt Montag um drei anfangen." Poppy nickt weiterhin und ich mache es ihr nach. Ich hoffe, ich habe da keine Vorlesung, aber wenn meine Mitbewohnerin keine hat, habe ich hoffentlich auch keine. Mit schwirrendem Kopf verlasse ich neben Poppy die Bibliothek und sie grinst über beide Ohren.

„War das nicht toll? Ich denke, das wird ein Kinderspiel."

Ich sehe sie ungläubig an. „Ein Kinderspiel?"

Poppy legt den Kopf schief und schaut zu mir herüber. Ich muss schon beinahe lachen, weil es irgendwie so niedlich aussieht.

„Ja klar. Ein paar Bücher überwachen und verfrachten, Karteien ausfüllen... das ist doch voll machbar."

„Dein Wort in Gottes Ohr," lache ich.

Gemeinsam laufen wir über den riesigen Campus, an großen alten Bäumen vorbei, von denen ich niemals sagen könnte, zu welcher Art sie gehören. Der Kies unter unseren Schuhen knirscht befriedigend und überall sitzen Studenten auf Decken auf den Wiesen und genießen das für den Herbst ungewöhnlich sonnige und warme Wetter. Manche von ihnen hören Musik, andere lesen und wieder andere unterhalten sich angeregt. Bisher habe ich nur Poppy näher kennengelernt, aber ich kann mir jetzt schon gut vorstellen, mit ihr so hier zu sitzen und über alles mögliche zu quatschen.

„Ach übrigens", reißt mich Poppy aus meinen Gedanken, „mein Bruder und seine Bruderschaft geben am Samstag eine Party. Wie sollten da hin gehen."

Ich ziehe überrascht die Augenbrauen nach oben. Poppy wirkt auf mich nicht wie jemand, der gerne auf Parties geht.

„Ich weiß, was du denkst. Und du hast recht. Ich gehe schon gerne mal feiern, aber ich bin kein wirkliches Partygirl. Es ist aber meine erste Woche auf der Uni und es heißt, man soll hier sämtliche Erfahrungen machen, oder? Außerdem ist mein Bruder dort. Ich habe die Hoffnung, dass er ein Auge auf mich hat."

Auf ihren Bruder bin ich schon gespannt. Ob er genauso nett ist wie seine Schwester? Stehen die zwei sich sehr nahe? Studiert er auch hier?

„Erzähl mir von deinem Bruder!"

Poppy lacht kurz.

„Jackson ist ein Dickkopf, aber eigentlich ganz in Ordnung. Normalerweise passt er immer auf mich auf, zieht mich aber auch immer auf. Aber das darf nur er, sonst niemand. Er hat immer einen dummen Spruch auf den Lippen und spielt Football hier auf der Uni. Viel mehr gibt es da glaube ich gar nicht."

Er klingt ja ganz sympathisch.

„Was studiert er?"

„Du wirst lachen. Er studiert auch Psychologie. Genau wie ich, genau wie unsere Eltern vor uns. Wir sind eine Psychofamilie – kleiner Insiderwitz." Sie kichert und die Familie würde ich gerne kennenlernen. Ich hatte nie ein wirkliches Gefühl von Familie, außer bei Aaron und Ally, aber auch da weiß ich, dass es nicht wirklich meine Familie ist, auch, wenn die beiden mir für meine Gedanken vermutlich die Ohren lang ziehen würden.

Irgendwann, ja irgendwann werde ich mal meine eigene Familie haben und niemand wird sich jemals ausgeschlossen fühlen. Niemals. Dafür werde ich sorgen.

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