Kapitel 18

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Wir hätten den Flug fast verpasst. Wir waren zu sehr mit uns selbst beschäftigt gewesen, dass wir die Zeit vergessen und das Häuschen viel zu spät verlassen hatten. Und vielleicht hatte es auch ein wenig daran gelegen, dass ich ihn nicht hatte gehen lassen.

Wir hatten uns geküsst, er hatte seine muskulösen, warmen Arme um mich gelegt und mir war gar nichts anderes übrig geblieben als meinen Rücken durchzubiegen und ihn stumm anzuflehen, zu nehmen...

Aber er hatte sich irgendwann von mir gelöst und mich auf die Uhrzeit aufmerksam gemacht.

Spielverderber.

Und jetzt traten wir endlich durch das Gate in Sendai, nachdem wir fast drei Stunden im Flugzeug gesessen hatten. Ich hätte am liebsten seine Hand genommen. Hätte am liebsten gespürt, dass er hier war – bei mir war.

Doch bevor ich mich auch nur irgendwie bewegen konnte, erklang ein vielstimmiges, viel zu lautes Gekreische, dann rannten die Mädchen auch schon auf uns zu. Nein, sie rannten auf mich zu.

Ich war zu überrascht und zu überfordert um zu bemerken, wie Iwaizumis Kiefer sich anspannte und er sofort auf Abstand ging. Und dann waren sie plötzlich hier. Sie kämpften mir ihren Schultern und den spitzten Ellenbogen um den Platz direkt vor mir und strahlten mich an, als ob ich ihr lang ersehntes Weihnachtsgeschenk wäre.

«Oikawa-San! Wir haben dich so vermisst!»

«Warum hast du so wenig gepostet, Oikawa-San? Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht!»

«Du bist mit Iwaizumi in die Ferien? Ich hätte diese zwei Wochen definitiv abenteuerlicher gemacht.»

Das letzte Mädchen riss mich endlich aus meiner Starre und ich sah sie mit einem finsterem Blick an. «Tut mir leid, Mädels», sagte ich mit einem Lächeln, da ich trotzdem nicht unhöflich sein wollte, «aber wie wäre es, wenn wir das Alles hier auf ein anderes Mal verschieben? Ich bin erst gerade gelandet.»

Hilfesuchend sah ich mich nach Iwaizumi um und erkannte, dass er bereits ohne mich zum Ausgang ging. Eine eiskalte Panik erfasste mich bei dem Gedanken, er würde mich alleine lassen – noch dazu mit all diesen Mädchen – und ich ging gar nicht erst auf ihre Proteste ein, sondern drängte mich an ihnen vorbei und lief Iwaizumi nach.

****

Er hatte sich kaum gemeldet, seit wir wieder zuhause waren. Nachdem wir gelandet waren, hatte ich es noch knapp in das gleiche Taxi wie er geschafft, doch er hatte kein Wort mit mir gesprochen. Und seit dem erfand er immer wieder eine neue Ausrede um sich nicht mit mir abgeben zu müssen.

Schnell verbannte ich diesen Gedanken und beobachtete konzentriert die Tür des Schulzimmers. Heute war der erste Tag des Sommerkurses und wir waren in der gleichen Gruppe, da wir unsere Auswahlen der Fächer, die wir in diesem einwöchigem Kurs repetieren wollten, aufeinander abgestimmt hatten. Am Morgen hatte er mir mitgeteilt, dass er wahrscheinlich knapp dran sein würde und ich schon alleine zur Schule gehen sollte.

Zweifellos eine weitere Ausrede.

Ich wusste nicht, was es war. Warum er sich so anders verhielt. War es wegen der Mädchen? Lag es daran, dass wir hier nicht mehr nur unter uns sein konnten? Oder hatte er mich vielleicht doch angelogen...? Bei dem letzten Gedanken verkrampfte sich mein Herz so schmerzhaft, dass ich nach Luft schnappen musste.

Doch bevor ich noch weiter über sein Verhalten grübeln konnte, trat er auch schon durch die Tür. Zwei Minuten vor Start der ersten Lektion. Er sah sich nach freien Plätzen im Zimmer um und setzte sich schliesslich in der dritten Reihe ans Fenster. Und ignorierte promt den Platz neben mir, den ich für ihn freigehalten hatte.

Ich musste die Qual dieser negativen Gedanken den ganzen Morgen aushalten, bis ich mich am Mittag endlich zu Iwaizumi gesellen konnte. «Ich habe dir einen Platz freigehalten», sagte ich und verfluchte meine Stimme, aus der man das unsichere Zittern trotz meiner Bemühungen heraushören konnte

«Oh, hab' ich nicht gesehen.» Seine Antwort klang so desinteressiert, dass es mich mitten ins Herz traf. Meine Finger zuckten und langsam wurde ich ungeduldig. «Iwa-Chan, was ist dein Problem? Warum... ignorierst du mich?» Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Brauen erwartend hoch.

Iwaizumi hob endlich seinen Kopf und musterte mich. Seine Augen wanderten von meinen Füssen bis zu meinen Haaren und liessen keinen Centimeter  dazwischen aus. Bei seinem intensiven Blick wurde ich sofort rot und ich fühlte mich noch entblösster als in unserer gemeinsamen Nacht vor ein paar Tagen.

Nach ein paar Sekunden stand er auf, packte seine Sachen zusammen und lief aus dem Raum. Wenn ich ihn noch nicht schon so lange kennen würde, hätte ich nicht gewusst, dass er mir bedeutete ihm zu folgen. Wir hatten nur am Morgen Unterricht, also war das Schulzimmer, in das er mich führte, schon von den Schülern geleert worden.

Vorfreude und Besorgnis kämpften um ihre Dominanz in meiner Brust als er hinter mir die Tür schloss und ich gespannt jeder seiner Bewegungen folgte. Doch als er sich von mir abwandte and unruhig aus dem Fenster sah, gewann die Besorgnis und breitete sich in meinem ganzen Körper aus.

Er sagte lange nichts. Und obwohl ich ihn am liebsten darüber ausgefragt hätte, was das hier zu bedeuten hatte, wusste ich, dass ich besser die Klappe hielt. Nach einer Weile hörte ich, wie er ein leises, ergebenes Seufzen von sich gab und ich konnte den Drang, seine Hand zu nehmen, kaum unterdrücken.

Er holte Luft.

Und schon bevor er es sagte, wusste ich, dass mir seine nächsten Worte den Boden unter den Füssen wegziehen würden.

«Mir wird ein Stipendium abgeboten. Für eine Schule in Tokio.»

so close but so far away || Iwaoi FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt