Kapitel 21

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Ich konnte nichts tun.

Konnte keine Worte finden, mit welchen ich ihn überzeugen könnte zu bleiben.

Konnte meine Arme nicht heben und nach ihm ausstrecken, als er mit dunklem Blick an mir vorbeiging und das Zimmer verliess.

Konnte den stechenden Schmerz in meinem Herzen nicht fühlen, den er so rücksichtslos verursacht hatte. Ich konnte ihn nicht spüren, weil ich gar kein Herz mehr hatte. Denn es gehörte ihm – und als er gegangen war, hatte er es mit sich genommen.

Ich blieb lange einfach so stehen. An der Stelle, wo er mich zurückgelassen hatte. Allein. Und alles, was ich hatte, das einzige, was ich noch besass, waren die Tränen auf meinem Gesicht.

Vielleicht hatte er es nicht so gemeint. Vielleicht hatte er einfach nur einen schlechten Tag. Vielleicht bereute er seine Worte und wartete unten vor dem Haus. Wartete darauf, dass ich runterkommen und ihm vergeben würde.

Der Gedanke war wie Öl für den kleinen Funken Hoffnung in mir und liess ihn zu einem grossen, wilden Feuer entfachen. Es erfasste meinen ganzen Körper und ich verschwendete keine Sekunde, um aufzustehen und die Treppe herunterzurennen.

Die Tränen verschleierten meine Sicht und ich wäre fast gefallen, doch ich konnte mich noch fangen. Ich hörte, wie meine Schwester verwirrt nach mir rief, aber ich nahm sie kaum wahr. Schwer atmend eilte ich auf die Tür zu und riss sie kurz darauf mit erwartenden Augen auf.

Es war niemand hier.

Es stand niemand vor der Tür und zerbrach sich den Kopf darüber, wieder hineinzugehen und sich zu entschuldigen. Es ging niemand die Strasse hinauf, geplagt von einem schlechten Gewissen und dem Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu können. Niemand – ausser ich selbst.

Das war der Gnadenstoss.

Und endlich, endlich, liess ich meinen Gefühlen freien lauf. Sie überrollten mich wie ein Tsunami und meine Knie gaben wegen der gewaltigen Wucht nach. Beim Aufprall auf den harten Boden platzte meine Haut auf, aber es war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der sich in meiner Brust breitmachte. Der sich in meinem ganzen Körper breitmachte.

Und ich weinte. Ich weinte noch stärker, wie auf der Insel. Ich weinte so stark, wie ich es noch nie getan hatte.

Meine Schwester kam sofort angerannt und zog mich zurück ins Haus. Sie führte mich ins Wohnzimmer und wir liessen uns aufs Sofa fallen. Ohne ein Wort zu sagen oder nachzufragen, nahm sie mich in die Arme und zeichnete kleine Kreise auf meinem Rücken. Ich vergrub mein Gesicht in ihrem T-Shirt und klammerte mich regelrecht an sie.

«Mach, dass es aufhört», flüsterte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Krächzen. Meine Schwester drückte mich enger an sich. «Was ist passiert?» Ich verkrampfte mich. Meine Tränen durchnässten ihr Shirt und hinterliessen dunkle Flecken auf dem Stoff. «Es tut weh. Es tut so weh. Mach, dass es aufhört.»

Meine Schwester seufzte, gab aber immer noch nicht auf. «Erzähl mir, was passiert ist, dann kann ich dir helfen. Dann mache ich, dass es aufhört», entgegnete sie. Meine Kehle zog sich zusammen, doch ich versuchte es zu ignorieren. «Er geht. Hajime... Er geht. Ohne mich. Er lässt mich allein.»

Diese Worte auszusprechen war... Es war furchtbar. Die Finger meiner Schwester zuckten – das einzige, was mir verriet, dass sie wenigstens ein bisschen überrascht war. «Er wechselt die Schule», konterte sie. «Ihr könnt trotzdem Freunde bleiben.» Ein Schluchzen entkam meiner Kehle und es schüttelte meinen ganzen Körper durch.

«Nein, du verstehst nicht.» Jedes Wort brannte in meinem Hals wie blaues Feuer. «Er geht. Und ohne ihn... Ich kann nicht ohne ihn. Ich brauche ihn.» Ich brach erneut in Tränen aus. Die Kreise meiner Schwester auf meinem Rücken wurden grösser. «Oikawa, das ist doch nicht gesund. Diese Abhängigkeit. Ihr seid beste Freunde, ich weiss, aber du hast immer noch dich selbst.»

so close but so far away || Iwaoi FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt