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Naomi

Ich lasse mich nach hinten auf mein Bett fallen und seufze tief. Dieses Treffen mit Hayden hat sich als persönlicher entpuppt als ich dachte. Sie ist sehr persönlich.

Mir fällt es oft nicht schwer, über meine Probleme mit Freunden oder so zu sprechen, auch mit Menschen, die ich nicht wirklich kenne. Aber alle Mädchen, die ich bisher kennengelernt habe, mochten diese Eigenschaft nicht. Sie ist die erste, die bereit dazu ist, in das persönliche Gespräch einzusteigen.

So haben wir uns ein Stück weit kennengelernt und ich denke, ich fühle mich wirklich wohl bei ihr.

Sie ist sympathisch, und ich mag ihre Art. Und ihr Zimmer hat mich fasziniert. Auf einmal schwebe ich wieder in Gedanken an letzten Nachmittag.

Ein kleiner Raum, aus dem das allerbeste rausgeholt wurde. Parkettboden, große Fenster und weiße Wände. Von der Vorstellung eines derartig einfachen Zimmers ist bei ihr kaum noch etwas vorhanden.

Sie hat alle Wände mit Postern von Bands, selbstgemalten Bildern, Quotes oder gedruckten Bildern von ihr und ihrer besten Freundin beklebt. Das Bett sieht gemütlich aus, mit einer Bettwäsche in dunklen Batikfarben. Der Schreibtisch ist klein, trotzdem passen zwei Stühle dran.

Auf allen Oberflächen stehen Getränkedosen aus anderen Ländern und Städten, in anderen Schriften oder Schriftzeichen, wie als würde sie die sammeln.

Ihr Kleiderschrank ist groß und mit lauter Stickern bedeckt. Das Zimmer passt so gut zu ihrem dunklen Kleidungsstil und außerdem perfekt zu ihr. Aber ich denke, ihre Seele ist nicht so düster, wie alles andere an ihr.

Das einzige Helle sind ihre Haare, die sie kurz und naturgewellt trägt. Nachdem ich ihr Zimmer gesehen habe, so in ihre Privatsphäre eingegriffen habe, fühle ich mich, als würde ich sie viel besser kennen.

Als hätte ich die letzten Wochen nur mit ihrer äußeren Schale gesprochen, die ich langsam aber sicher zu knacken beginne.

Meiner Meinung nach ist das eigene Zimmer sehr privat. Dort verbringt man viel Zeit und wie es eingerichtet ist spiegelt meist den eigenen Charakter wieder.

Hayden und ihre Art sind alles, an das ich den restlichen Abend denke. Ich höre Hayley Kiyoko und singe lautlos in meinem Bett mit, bis meine Augen immer schwerer werden.

°°°

"Lesen Sie bitte die nächsten fünf Kapitel bis nächste Woche und unterstreichen Sie, wo die Meinungen und Gefühle des Protagonisten deutlich werden. Wir sehen uns dann in der nächsten Stunde.", unser Deutschlehrer nickt knapp, dann bricht im Kursraum schon die Unruhe aus.

Alle packen ihre Sachen zusammen, und auch ich bin dabei, stoppe allerdings, als ich mein Handy auf meinem Tisch vibrieren höre.

Hayden: Wie viele Tüten Reeses passen wohl in einen kleinen Beutel?

Hayden: Ich brauche Vorrat für die nächsten zwei Freistunden, in denen ich lernen möchte.

Ich: Kommt drauf an, ob du sie lieber zusammengequetscht oder normal magst ;)

Da sie nicht sofort antwortet, beeile ich mich und stopfe alles schnell in meinen Rucksack, um fertig zu sein, wenn sie mir zurückschreibt.

"Naomi?", ich eile den Gang entlang, als ich eine Stimme hinter mir höre.

Ich stoppe ruckartig und fahre herum. Roy grinst mich an, seine Haare sind ein wenig zerzaust und seine Augen funkeln mich an.

"Ja?", frage ich und luge ganz unauffällig nach unten, wo ich sehe, dass Hayden geantwortet hat.

Augenblicklich werde ich nervös und will mir aus der Situation helfen, um ihr zurück zu schreiben, aber an seinem veränderten Ausdruck ist zu erkennen, dass Roy mich etwas fragen möchte, was nicht einfach für ihn ist.

"Ich habe nicht viel Zeit, also... ", ich breche ab, als er schnell nickt, und lasse ihn sprechen.

"Nur eine Sekunde.", er hebt den Zeigefinger, um anzudeuten, dass ich ihm zuhören soll.

"Hör zu.", er kommt ein wenig näher mit dem Gesicht an meines und ich spüre, wie sein warmer Atem meine Haut streift.

"Am Samstag ist ein kleines Konzert mit verschiedenen unbekannten Bands. Ich habe", er hält inne, grinst. "Zwei Karten gekauft. Ich dachte, du gehst mit mir hin?", meine Augen weiten sich und eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus.

"Ich verstehe nicht ganz.", beginne ich mit bebender Stimme. "Du willst, dass ich mit dir ausgehe?"

Er nickt erst unsicher, dann entschlossen.

Ein paar Augenblicke starre ich ihn verblüfft an, nicht glaubend, dass er mich das tatsächlich fragt.

Als wir letztens mit den anderen in der Mall waren, hat er schon versucht, ein Gespräch aufzubauen. Ich erinnere mich an diese Situation, und sie läuft wie ein Abspiel Band in meinem Kopf nach.

Er steht tatsächlich auf mich. Darüber hatte ich gar nicht mehr nachgedacht.

Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, während er mich immer noch fragend ansieht.

"Äh... warum nicht?", frage ich mehr mich selbst als ihn. Warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil ich zwar bi bin, aber nur ungefähr zu fünf Prozent auf Jungs stehe. Und diese fünf Prozent sind ganz andere Typen als Roy. Roy ist nett und alles, aber mehr irgendwie nicht.

"Gut.", er ringt sich ein Lächeln ab, und ich tue es ihm gleich.

"Jap.", nein. Gar nicht gut. Wenn ich schon jetzt weiß, dass er nicht mein Typ ist, warum sage ich dann zu?

Roy verabschiedet sich und fügt noch hinzu: "Ich schreibe dir dann.", und macht kehrt. Ich bleibe allein im Gang stehen und bin überfordert mit allem. Beziehungsweise, ich bin nicht allein.

Massenweise Schüler laufen die Gänge entlang, lachen und quatschen mit ihren Freunden, aber die Hintergrundgeräusche dringen nicht wirklich zu mir durch, weil ich nur daran denke, was ich gerade getan habe.

Aber andererseits, was kann schon schief gehen? Vielleicht ändere ich meine Meinung, weil Roy sich so viel Mühe um mich macht. Vielleicht finde ich das romantisch, wenn er nervös ist und schüchtern, und vielleicht kommt da noch ein sechster Prozent dazu.

Ein Roy - Prozent.

Das Vibrieren meines Handys in meiner Hand holt mich wieder aus den Gedanken und zurück in die Realität. Richtig, Haydens Nachricht!

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt