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Naomi

Aus dem Bett zu kommen ist die nächsten Tage schwerer als je zuvor. Ich fühle mich, als würden all meine Probleme und Sorgen mich von innen auffressen und alles in mir unter Druck setzen.

Ich fühle mich, als könnte ich seit dem Besuch bei Jolene nicht mehr richtig atmen.

Ich fühle mich, als würde die Wunde in meinem Herz jeden Tag, den ich nicht mit Hayden rede, ein wenig mehr aufreißen. In den letzten Tagen ist alles nur noch schlimmer geworden und ich fühle mich absolut schrecklich.

Trotzdem schaffe ich es irgendwann, die Decke von meinem Körper zu streifen und aufzustehen. Ich stolpere in die Küche und mache mir einen Kaffee.

Meine Eltern schlafen zum Glück noch, und ich höre nur das Ticken der Uhr. Der Kaffee schmeckt bitterer als sonst.

Ich ziehe mich an und gehe Einkaufen. Der Laden ist ziemlich leer, weil die meisten Menschen wohl mitten in der Woche um elf Uhr morgens arbeiten gehen statt den Einkauf zu erledigen.

Aber ich kann nicht lernen, bevor ich nicht einmal draußen gewesen bin. Zumindest heute nicht.

Als ich mit einer vollgepackten Tüte aus dem Laden komme, sehe ich vor mir Roy. Roy, genau der Roy. Den Roy, den ich vor ein paar Wochen gekorbt habe.

Seine Haare sind ein bisschen durcheinander, seine Augen ein bisschen rot und darunter sind ein bisschen dunklere Ränder als sonst.

"Hey, Naomi!", meint er lächelnd, als er mich entdeckt.

"Oh, hey.", murmele ich und packe die Einkaufstüte etwas fester.

"Wie geht's dir? Kommst du mit dem Lernen voran?", fragt er nach einer Pause, in der wir uns auf höchst unangenehme Weise angeschwiegen haben.

"Ganz gut, denke ich.", lüge ich. "Und du? Du siehst müde aus."

"Ja, bin ich auch. Seit der Übernachtung hatte ich nicht viel Zeit zum Schlafen.", als ich ihn fragend ansehe, meint er nur: "Lange Geschichte.", und ist das ein Lächeln? So negativ behaftet scheint diese lange Geschichte also nicht zu sein.

"Bei der Übernachtung habe ich dich gar nicht gesehen.", stelle ich fest.

"Ja, du warst ja auch mit deiner Freundin zugange, schätze ich.", er grinst breit.
"Was?", ich stutze.

"Naomi, du denkst doch nicht ernsthaft, dass du deine Freundin zur Schulübernachtung mitnehmen kannst und es niemand bemerkt. Die ganze Stufe weiß jetzt, dass du und die deine 'Begleitung' zusammen seid, alle haben darüber geredet, als ihr verschwunden seid.", sagt Roy und schaut dabei fast schon amüsiert, als würde er sich für mich freuen.

Gott, wer hat dem denn den Kopf verdreht?

Aber andere Sache: Was zum Teufel? Die ganze Stufe weiß von Hayden und mir?

Beziehungsweise... ist da ja gar nichts mehr.

"Wow, was war das denn? Woran hast du dich gerade erinnert?", fragt er auf einmal.

Als ich ihn irritiert anblicke, lächelt er wieder. "Dein Ausdruck hat sich gerade verdunkelt, als hättest du dich daran erinnert, dass irgendwer gestorben ist oder sowas.", entgegnet er.

Ich seufze.

"Es ist momentan nicht so leicht mit ihr.", murmele ich und ärgere mich selbst darüber, dass ich das jetzt ansprechen muss. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich muss mit Jemandem darüber sprechen, und Roy kennt sie ja gar nicht.

"Was ist denn los? Habt ihr so ein On-Off Ding am Laufen?", er verschränkt die Arme vor der Brust.

"Nein, das ist es nicht. Wir waren ziemlich lange zusammen, aber dann war ich wahrscheinlich ein bisschen zu hart zu ihr.", erwidere ich.

Natürlich haben wir beide Schuld, aber meine Schuldgefühle sind größer als das ich sauer auf ihr Verhalten bin.

"Was hast du denn gesagt?", fragt Roy und sieht mich mitleidig an. Ich mache den Mund auf, aber dann fällt mir ein, dass sie wahrscheinlich nicht wollen würde, dass ich Roy von dem ganzen Drama erzähle. Irgendwie ist das ja schon ziemlich privat.

Unsicher schaue ich ihn an, woraufhin er mich nickend mustert und einen Ausdruck auflegt, als würde er genau wissen, worüber ich nachdenke.

"Okay, ich verstehe. Wie wäre es denn, wenn du den ersten Schritt machst und zu ihr fährst, um dich zu entschuldigen?", schlägt er vor, statt weiter nachzuhaken. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er so verständnisvoll ist, obwohl wir nicht das beste Verhältnis zueinander haben.

"Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber was", was, wenn sie sich gar nicht vertragen möchte? Wenn sie denkt, sie hätte meine schlimmste Seite kennengelernt, obwohl ich mich selbst nicht wiedererkenne?

"Versuch es. Ich verspreche dir, das wird. Sollen wir zusammen hinfahren?", bietet er an. Er nimmt mir mit jedem Satz ein Stück meiner Angst, was ich im Moment wirklich gut gebrauchen kann.

Ich lächle dankbar. "Das wäre nett."

High enough to fall for you✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt