Abi 2050 (Kurzgeschichte)

13 5 2
                                    

Ich weiß, das hier ist eigentlich ein Lyrikbuch, aber ich habe noch eine einzelne Kurzgeschichte, die ich gerne mit euch teilen möchte :) Bleibt aber eine Ausnahme!

.

Abi 2050

.

Müde schlepp ich mich die Treppen hinunter. Erst Rot, dann grün, blau und gelb. Es ist noch früh morgens. Vorbei an der E-Bike-Ladestation und dem Theaterstudio geh ich zielstrebig auf die Mensa zu. Es ist Frühstückszeit.

Steffi wartet schon mit ihrem vollen Tablett auf mich. Wir reden über den bevorstehenden Tag. Am Vormittag stehen die Informatikkurse, nachmittags dann Sport- und Freizeitangebote auf dem Stundenplan. Ich denke daran, wie das alles früher war und lache. Leistungsstress gibt es schon lange nicht mehr!

Nach dem Essen geh ich erstmal wieder hoch bis in die grüne Zone, genauer gesagt in den Lesebereich. Ich grüße entspannt die anderen Lesenden und schnapp mir mein Tablet. Mit meinem E-Book mach ich es mir auf der begrünten Terrasse gemütlich. Informatik ist mir eh immer zu kompliziert! Umso schöner, dass mein Kurs leider krankheitsbedingt ausfällt. Das stand heute Morgen auf dem SmartBoard. Tja, Steffi hatte nicht so viel Glück! Ich beginne mich in meinem Roman zu vertiefen und stehe erst wieder auf, als der Gong zum Mittagessen erklingt. 

Während des Essens erzählt Steffi von ihrem Vormittag. Sie ist einen Kurs über mir und blickt in Informatik voll durch. Ich finde, es klingt einfach nur wirr, was sie so von Algorithmen und Exceltabellen erzählt. Egal, ich höre ihr trotzdem gern zu. Als wir fertig sind, holt sie ihr Tablet aus der Tasche und wir überlegen gemeinsam, auf was wir heute Nachmittag Lust haben. Singen, Improtheater, Yoga oder doch lieber Tonen? Nach einer Weile entscheiden wir uns für den Chor. Das letzte Mal singen ist schon eine ganze Weile her. Als ich mich mit Steffi zu den Musikräumen aufmache, wünsche ich noch meinem Nachbarn Michi viel Spaß. Er biegt rechts zur Sporthalle ab.

Nach dem gemeinsamen Singen brauchen wir etwas Ruhe. Steffi schlägt vor nach draußen in den Hof zu gehen. Wir beobachten aus der Ferne einen anderen Kurs, der sich um den Gemüsegarten kümmert. Die scheinen ja viel Spaß zu haben! Auf dem Sportplatz können wir außerdem einige Jugendliche sehen. Sie spielen Basketball. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben der Slogan „Abi 2050 – Onlinekolleg" prangt.

Als die Sonne langsam untergeht, beschließen wir zurück ins Haus zu gehen. Bevor Steffi jedoch auf ihr Zimmer im Neubau abbiegen kann, pack ich sie zielstrebig an ihrem Ärmel und ziehe sie mit in mein rotes Zimmer. Das ist im obersten Stockwerk. Verdattert steht sie in der Tür und sieht zu, wie ich in einer Truhe voll mit alten Klamotten wühle, um dann stolz einen verwaschenen Pullover hochzuhalten. Ich ziehe ihn mir über und drehe mich damit einmal stolz im Kreis. „Abi 1986 - Lessing-Gymnasium" steht darauf. Irgendwo standen da auch mal die Namen unserer Freunde mit Edding geschrieben, doch die sind längst verblasst. Steffi lacht, als sie das Motiv wiedererkennt.

Ich denke nochmal an die Jugendlichen vom Sportplatz zurück und werde melancholisch. Heute ist alles so anders! Die alten Schulen stehen leer, denn die Kinder lernen online von zuhause. Von unserem Jahrgang leben längst nicht mehr alle. Wer wie wir noch übrig ist, lebt im betreuten Wohnheim ,,Ephraim Lessing". Kurz zögere ich, doch beschließe dann den Pulli zum Abendessen anzulassen.

I've been here before. - LyrikbuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt