3.

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Meine Befürchtungen wurden noch übertroffen und nach der ersten Woche war ich mir sicher, dass ich den Job bald wieder los sein würde.

Wenn Vanessa King mit mir sprach, dann waren es strenge Anweisungen oder herablassende Kommentare zu meiner Arbeit. Sie sah mich dabei nie an und konzentrierte sich auch nie auf mich. Immerhin war die Sekretärin vom Empfang mittlerweile netter zu mir und ich wusste, dass sie Rosie hieß. Sie sagte mir jeden Morgen wie die Stimmung meiner Chefin war, was aber nur bedingt weiterhalf. Als sie mir in der folgenden Woche an einem Morgen sagte, dass Miss King schlechte Laune hatte, bekam ich ziemliche Angst. Ich holte den üblichen Kaffee und die Skripte, die sie immer wollte. Als ich in ihr Büro treten wollte, wurde mir die Tür vor der Nase aufgerissen und Miss King rannte fast in mich hinein. Ihr Blick schnellte sofort zum Kaffee und sie riss ihn mir aus der Hand. „Los, mitkommen", meinte sie und mir fiel auf, dass sie eine Jacke trug. Schnell zog ich mir auch eine Jacke an und folgte ihr durch das Gebäude. Wir nahmen einen Aufzug in die Tiefgarage. Während des ganzen Weges versuchte ich, sie nicht anzustarren, um sie nicht zu reizen. „Wir fahren zu einem meiner Tochterunternehmen, den Plan müsste man Ihnen aber auch schon geschickt haben", meinte sie, während sie irgendetwas in ihr Handy tippte. Wir stiegen in einen großen Wagen mit einem großen, breitgebauten Fahrer, der stark nach Rasierwasser roch. Ich saß mit meiner Chefin auf der Rückbank und hielt so viel Abstand, wie ich konnte. Tatsächlich schien Vanessa King aber eh niemanden um sich herum wirklich wahrzunehmen. Ich ging den Plan durch, den mir Rosie geschickt hatte. Wir würden zu einem Unternehmen in einem Nachbarort fahren und dort eine Konferenz abhalten. Als wir durch einen Tunnel fuhren, wagte ich es aufzusehen und meine Chefin zu mustern. Die Schatten fuhren über ihr Gesicht, das wie immer konzentriert wirkte. Sie trug wie immer einen schicken Hosenanzug, der heute ein kariertes Muster hatte. Mir war auch aufgefallen, dass sie immer Schmuck trug, aber fast nie den gleichen. Nur einen Ring trug sie jeden Tag und ich fragte mich unwillkürlich, ob sie wohl einen Mann hatte. Zu ihrem ganzen Auftritt passte es irgendwie nicht, wenn sie von jemandem abhängig wäre.

„Kann ich Ihnen helfen?", fragte sie mich und ich merkte erst jetzt, dass ich sie völlig in Gedanken angestarrt hatte. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss und ich schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal, seitdem ich für sie arbeitete, spürte ich ihren Blick auf mir. Sie musterte mich und ich hatte das Gefühl, ihre Geringschätzung mit jeder Sekunde mehr zu spüren. Dann löste sie ihren Blick jedoch und vertiefte sich wieder in eines der Skripte. Wir kamen zum Glück bald an und liefen über den Hof des Unternehmens. Als wir das Gebäude betraten, spürte man förmlich, wie sich das komplette Arbeitsklima änderte. Vanessa King hatte eine unfassbare Wirkung auf Menschen. Alle hatten ungeheuren Respekt vor ihr und man sah in den meisten Augen große Bewunderung, wenn sie mit ihr sprachen. Meine Chefin ging mit zügigen Schritten zu einem großen Raum, in dem schon einige Leute an einem ovalen Tisch saßen und plauderten. Als Miss King den Raum betrat, verstummten alle Gespräche und die Leute spannten sich an. Sie blickte allerdings weiter auf ihr Handy und ließ sich auf einem der Stühle nieder. Ich stellte mich hinter sie, während alle anderen hektisch die Präsentation vorbereiteten. Miss King schnipste mit ihrer rechten Hand neben ihrem Kopf und ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass sie mich damit meinte. Ich trat dichter hinter sie und sie zeigte auf ihr Handy. Dort standen einige Raumnummer, die ich mir schnell notierte. So nah stand ich vorher nie bei ihr und ich konnte ihr edles Parfum riechen, das gut zu ihr passte. Es war ein angenehmer Duft, der nicht zu stark war. „Überprüfen Sie, ob Fristen eingehalten werden und danach können Sie einen Kaffee trinken", raunte Miss King mir zu und ich nickte sofort gehorsam. Erst auf dem Flur fiel mir auf, dass sie mir tatsächlich eine Pause gegönnt hatte. Ich war mir aber nicht sicher, ob sie sie mich einfach nur nicht in der Konferenz dabei haben wollte.

Der Kaffee in dem kleinen Laden vor dem Unternehmen schmeckte besser als gedacht. Das Überprüfen der Räume war schnell gegangen und zum Glück war mir nichts Schlimmes aufgefallen. Ich setzte mich auf eine Bank in die Sonne und schrieb ein bisschen was auf meinen Block. Ein Pfiff riss mich irgendwann aus meinen Gedanken und ich sah meine Chefin vor dem Wagen stehen. Schnell sprang ich auf und lief mit zügigen Schritten zu ihr. Ihr Blick viel auf meinen Block und sie nahm ihn aus meiner Hand. Beim Einsteigen riss sie die Blätter, die ich beschrieben hatte, heraus und meinte: „Nein, Ihr Job ist kein Sprungbrett, um Autorin zu werden. Ich werde nichts von Ihnen lesen und Sie verschwenden auch nicht mein Papier dafür, klar?" Sie zerknüllte die Blätter und schmiss sie in den Fußraum. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, weil ich gar nicht deswegen geschrieben hatte. Ich hatte mich einfach von dem Moment treiben lassen und nie darüber nachgedacht, ihr etwas zu zeigen. „Ich wollte nicht...", fing ich an, doch sie hob die Hand: „Lassen Sie das." Ich biss meine Zähne zusammen, um nichts mehr zu erwidern. Diese Frau war einfach unfassbar und ich verstand wirklich nicht, wieso sie alle so sehr bewunderten. Ihre Art war unhöflich und arrogant, wie konnte jemand so viel von sich halten.

Abends machte ich meiner Wut bei Kayla Luft und sie redete mir gut zu. Das Abendessen, was sie zubereitete, half mir, mich besser zu fühlen.

Trotzdem gingen mir die scharfen Worte und das herablassende Verhalten meiner Chefin nicht aus dem Kopf.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt