45.

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Also ging ich am nächsten Morgen den Weg, den Tyler mir beschrieben hatte.

Tatsächlich gelangte ich zu einem kleinen Laden, den ich noch nicht kannte. Er war von drinnen genauso schön eingerichtet wie von draußen und gleichzeitig sehr modern. Ich erkannte sofort einen großen Ständer voller Bücher von Vanessa und vielen Exemplaren ihres neuen Werkes. Ich nahm es in die Hand und strich über den Einband. Wie immer sah das Cover schön aus und war hochwertig produziert. Ich strich über den Schriftzug im Einband. Limax. Ich seufzte und ging in Richtung Kasse, um nicht weiter darüber nachzudenken. Während ich das Buch auf das Pult legte, kramte ich bereits nach Geld in meiner Tasche. „Möchten Sie ein Exemplar mit Signatur?", fragte die Kassiererin und ihre Stimme ging mir durch Mark und Bein. Ich sah auf, mein Blick traf ihren und die Welt schien stehen zu bleiben. Was machte sie hier? In einer Buchhandlung weit weg vom Verlag, nur Zentimeter von mir entfernt. In ihren Augen sah ich die gleiche Verwirrung wie in meinen und mein Herz begann zu rasen. Sie trug ihre Haare etwas kürzer und ihr ganzes Outfit war wesentlich lässiger. An ihrer Hand, die immer noch auf dem Buch lag, glänzte wieder der Ring ihrer Mutter. Natürlich, ich hatte ihr gezeigt, dass niemand je bleiben würde. „Entschuldigung, könnten Sie mir helfen?", ertönte es aus einer anderen Ecke des Ladens. Vanessa zuckte zusammen und wendete den Blick von mir ab. Sie blickte auf das Buch zwischen uns und dann wieder auf in meine Augen. „Warte", meinte sie dann und lief zu dem Mann, der sie gerufen hatte. Ich sah ihr nach und schluckte, darauf war ich nicht vorbereitet. Meine Hände zitterten und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Sie musste unfassbar sauer auf mich sein. Ich spürte den Drang in mir, wegzulaufen, doch ich kämpfte dagegen an. Vanessa hatte es nicht verdient, stehen gelassen zu werden, nur weil ich feige war. Ich dachte an Tylers Rat, mir den neuen Laden anzusehen und mir wurde klar, dass er es gewusst haben musste. Mein Blick fiel wieder auf meine Exfreundin und ich konnte nicht glauben, wie gut sie aussah. Ihre Haut wirkte gesünder und ihre Haltung war viel entspannter. Als sie den Mann fertig beraten hatte, schloss sie hinter ihm die Tür und kam zurück. Ihr Blick wanderte über meinen Körper und blieb an meinen Augen hängen. Ich konnte keine Emotion daraus lesen, was mich unheimlich nervös machte. „Was machst du hier?", platzte es aus mir heraus. Vanessa blickte mich nachdenklich an und meinte: „Du bist in meinen Laden gekommen." Da hatte sie wohl oder übel Recht, nur dass ich keine Ahnung davon gehabt hatte. „Er gehört dir?", fragte ich verblüfft und sie nickte. Ich sah mich nochmal um und lächelte dann: „Er ist wirklich schön." Vanessas Ausdruck blieb ernst, doch sie erwiderte: „Dankeschön." Als die Tür wieder aufging und ein neuer Kunde hereinkam, lief sie wieder hinter die Kasse. Ich seufzte und folgte ihr, wie konnte das nur so schwer sein. „Kann ich dich auf einen Kaffee einladen?", fragte ich und brachte sie damit dazu aufzusehen. Sie schien kurz zu überlegen und sagte dann: „Ich habe heute nur eine halbe Stunde Pause und da kann ich hier nicht weg." Ich schluckte, um zu verstecken, wie weh es mir tat, wenn sie mich abwies. Sie schob mir das Buch hin, dessen Kauf mir mittlerweile auch leicht unangenehm war und meinte: „Das passt schon." Erstaunt steckte ich mein Portemonnaie wieder weg und fragte: „Und die Signatur?" Sie musterte mich noch kurz und meinte dann: „Die hast du bereits." Verwirrt runzelte ich die Stirn, konnte sie jedoch nicht mehr fragen, weil sie bereits beim nächsten Kunden war. Schnell verließ ich den Laden und hielt erst einige Straßen weiter auf einer Bank an. Mein Herz raste noch immer und ich konnte nicht fassen, dass ich sie wirklich gerade wieder gesehen hatte. Ich blickte auf das Buch in meiner Hand und schlug es auf. Für Lia. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, sie hatte es mir gewidmet. Tränen stiegen in meine Augen, ich hatte sie so vermisst. Sie war hier und sie war frei und ich wollte sie immer noch genauso wie vor einem halben Jahr. Ich schaute auf meine Armbanduhr und sah, dass ihre Pause in einer Stunde sein würde. Eine halbe Stunde war besser als nichts.

Nervös betrat ich den Laden um kurz vor eins mit zwei Bechern Kaffee in den Händen. Vanessa saß in einer Ecke und schrieb etwas in ihren Block. Erst als ich vor ihr stand, bemerkte sie mich und ihre Augen weiteten sich erstaunt. „Ich hoffe du magst ihn immer noch genauso", meinte ich und reichte ihr einen der Becher. Ich glaubte ein winziges Lächeln auf ihren Lippen zu erahnen, doch es war so schnell weg, wie es gekommen war. „Darf ich dir Gesellschaft leisten?", fragte ich vorsichtig. Sie zögerte kurz, dann nahm sie mir jedoch den Becher ab und mir fiel ein Stein vom Herzen. Sie rückte auf der Bank, auf der sie saß, ein Stück zur Seite, sodass ich mich zu ihr setzen konnte. Einige Minuten saßen wir nur so da und tranken unseren Kaffee, dann nahm ich meinen Mut zusammen und fragte: „Hast du den Verlag aufgegeben?" Vanessa sah nicht zu mir, sondern fummelte an ihrem Becher herum. „Er gehört mir", sie zögerte kurz und fuhr dann fort, „uns noch immer, aber ich fälle keine Entscheidungen mehr. Rosie und Ben teilen sich die Führung." Ich musste leicht lächeln, weil ich mir gut vorstellen konnte, wie die beiden über alles diskutierten. Nie hätte ich gedacht, dass Vanessa den Verlag tatsächlich an jemanden übergeben würde. Zu gerne hätte ich gewusst, was der Grund dafür war. Ich musterte das schöne Gesicht meiner besten Freundin und es zerriss mir mein Herz. Ich seufzte und sagte: „Es tut mir leid." Sofort spannte Vanessa sich an und stand auf. „Lass es", murmelte sie und ging in Richtung Kasse. Ich griff wie aus Reflex nach ihrer Hand und hielt sie fest. „Van, ich wollte, dass du glücklich bist", versuchte ich mich zu erklären. Sie schüttelte nur verständnislos den Kopf: „Das war nicht deine Entscheidung. Meine Eltern dachten auch, dass ich ohne sie besser dran wäre. Mich hat nie jemand gefragt." Damit ließ sie mich los und langsam verstand ich, was ich ihr angetan hatte. Es war falsch gewesen, einfach zu gehen, auch wenn es sich richtig angefühlt hatte. „Ich hatte Angst, dein Leben zu zerstören", sagte ich, während ich ihr in das hintere Zimmer folgte. Sie blieb stehen und versperrte mir den Weg so plötzlich, dass ich gegen sie lief. Ihr Duft schlug mir entgegen und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Ich sah auf in ihre Augen und spürte, wie sehr ich mich die letzten Monate nach ihr gesehnt hatte. „Du hast alles zerstört", flüsterte sie und ich sah Tränen in ihren Augen glitzern. Ich schluckte und wollte etwas erwidern, als eine Stimme aus dem Verkaufsraum zu uns drang. „Nessy?", fragte eine Frauenstimme und sofort kehrte Vanessas ausdrucksloser Blick zurück. Sie drängte sich an mir vorbei und ich folgte ihr. „Da bist du ja", sagte die Frau, die Vanessa mit einem Kuss auf die Wange begrüßte. In mir drehte sich alles herum, als ich sah, wie sie sich berührten. Sie hatte sie Nessy genannt, sie mussten sich besser kennen. Gott, wie hatte ich denken können, dass Vanessa immer noch an mir hing. Sie hatte keinen Ruf mehr zu verlieren und konnte endlich ihr Leben leben. „Oh hallo, und Sie sind?", fragte die Frau, als sie mich sah. Sie war groß, schlank und hatte dunkles Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, sie sah wirklich gut aus. „Das ist Lia, eine alte Mitarbeiterin von mir", stellte Vanessa mich vor und es tat mir weh, wie kalt sie es sagte. Mich eine Mitarbeiterin zu nennen, war einfach nur schmerzhaft. „Lia, das ist Quinn, mein Date." Ich schüttelte die Hand der Frau und setzte so gut es ging ein Lächeln auf.

„Dann wünsche ich euch viel Spaß", murmelte ich, kramte meine Sachen zusammen und flüchtete hinaus ins Freie.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt