46.

2.3K 111 3
                                    

„Sie hat jemanden neues?", fragte Tyler verdutzt, als ich ihm erzählte, wie sehr der Plan nach hinten losgegangen war.

„Als ich neulich in dem Laden war, hat sie mich sofort erkannt. Ich habe genau gesehen, wie sie mich immer noch hasst. Wer kann es ihr verübeln, ich habe mit ihrer Freundin geschlafen und sehe super gut aus." Ich haute ihm gegen den Arm, musste jedoch auch über seine überhebliche Art lachen. Er schmunzelte und drückte meine Schulter freundschaftlich: „Es tut mir leid, dass es nicht funktioniert hat." Ich nickte nur nachdenklich, meine Gefühle spielten völlig verrückt, seitdem ich Vanessa gesehen hatte. „Du brauchst Ablenkung", mischte Jenny sich ein und schlug vor, dass wir abends in eine Bar gehen könnten. Wie immer waren alle Feuer und Flamme, sodass wir in der Dämmerung loszogen.

Wir tranken in einer Bar einige Getränke und gingen dann in die nächste. „Da soll jemand sagen, Dorfkinder vertragen Alkohol", meinte Jenny lachend, als ich schon etwas lallte. Ich grinste und machte mich auf den Weg zur Toilette. Als ich mich durch einige Leute drängte, lief jemand in mich hinein und schüttete sein Getränk auf mich. Zum Glück traf es nur meine Hüfte und Teile meines Beines, trotzdem erschreckte ich mich. „Oh Gott, Sorry", sagte die Frau und als ich aufsah, erkannte ich ausgerechnet Vanessas Date vor mir. Sie erkannte mich wohl auch wieder, denn sie meinte: „Lia, oder?" Ich nickte und sie zog mich an meinem Handgelenk mit sich. Völlig überfordert folgte ich ihr zu einem Tisch, an dem drei Frauen saßen. Sie waren gerade in einem angeregten Gespräch, doch Quinn unterbrach sie einfach: „Guck mal, wen ich gefunden habe." Sie tippte die linke Frau an und sie drehte sich zu uns um. Natürlich war sie mit Vanessa hier, die sichtlich wenig begeistert davon war, mich zu sehen. „Oh hey", brachte sie heraus und ich nickte ihr nur zu. Die anderen beiden stellten sich mir vor und Quinn erklärte, dass sie mir einen Drink schuldete. Also lief sie zur Bar und ich setzte mich mit an den Tisch neben Vanessa. Sie musterte mich und ich kratzte mir am Hinterkopf: „Wenigstens weiß ich jetzt wie sich Teppiche in meiner Gegenwart fühlen." Kurz blickte sie mir nur stumm in die Augen, doch dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln, bis sie schließlich tatsächlich lachen musste. Ich lächelte und innerlich war ich unheimlich erleichtert, dass sie mich nicht zu hassen schien. „Quinn ist toll", meinte ich ehrlich zu ihr. Sie nickte und trank etwas von ihrem Cocktail: „Ich weiß. Bis eben dachte ich auch noch, dass sie geschickt ist." Ich sah ihr in die Augen und erkannte immer noch den Schimmer von Belustigung. „Dafür scheinst du wohl eine Schwäche zu haben", erwiderte ich mutig und grinste. Mein Herz machte tausend Sprünge, als sie schmunzelte und murmelte: „Gut möglich." Sie lächeln zu sehen, war wohl die Sache, die mir am meisten gefehlt hatte. Ich hatte nicht gelogen, Quinn wirkte wirklich wie eine tolle Frau und Vanessa hatte alles Glück der Welt verdient. In diesem Moment, in dem ich ihr Lächeln sah, wusste ich, dass ich bei ihr nicht egoistisch sein durfte. Sie hatte genug Leid in ihrem Leben ertragen müssen, das musste vorbei sein. Also stand ich auf und meinte: „Sagt Quinn, dass sie mir nichts schuldet, ich muss leider zurück zu meinen Freunden. Es war schön, euch kennenzulernen." Die anderen lächelten mir nett zu und verabschiedeten sich von mir.

Bevor ich ging, lehnte ich mich zu Vanessa und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich bin stolz auf dich, Max", flüsterte ich in ihr Ohr und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Kurz traf mich ihr Blick und ich sah mehrere Emotionen in ihnen. Als ich gehen wollte, griff sie nach meinem Handgelenk und sah kurz völlig hilflos aus. Vielleicht hatte sie ihr Leben lang nie mit ihrer Kindheit abschließen können, weil sie so sehr an mir festhielt. Dabei brauchte sie mich nicht, um sie selbst zu sein. Ich lächelte und löste ihre Hand von meinem Arm: „Ist schon okay." Ich ließ sie hinter mir und lief durch die Leute hindurch zur Toilette. Dort schloss ich mich ein und Tränen liefen über meine Wangen. Ich hatte sie freigegeben, damit sie ihre Vergangenheit endlich vergessen konnte. Damit sie endlich den Ring ablegen konnte und frei sein konnte. Ich schrieb Jenny, dass es mir schlecht ging und ich nach Hause gehen würde. Sie war zum Glück betrunken genug, keine Fragen zu stellen und mich zu begleiten.

Am nächsten Morgen war mein letzter Urlaubstag und somit auch der Tag, an dem ich wieder nach Hause fahren würde. Ich würde Vanessa endgültig hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen. Es war wie jedes Mal schwer, mich von den anderen zu verabschieden und diesmal fühlte es sich viel endgültiger an. Ich wusste, dass ich so schnell nicht wieder herkommen würde. Solange Vanessa hier einen Laden besaß, war das Risiko sie zu sehen einfach zu groß. Wenn ich über sie hinwegkommen wollte, durfte ich sie nicht sehen. Allein der Gedanke an ihr Lächeln und die Art, wie sie sich die Haare aus dem Gesicht strich, entflammte etwas in mir. Ich durfte es nicht mehr zulassen. Die Heimfahrt war lange und trist und ich war froh, als ich in der Dämmerung zuhause ankam. Dort rief ich Kayla an und erzählte ihr von dem Wiedersehen mit Vanessa. „Warum hast du nicht um sie gekämpft?", fragte sie nach meinen Erzählungen. Diese Frage warf mich für einen Moment aus der Bahn und ich fragte verdutzt: „Wie?" Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung lachen: „Lia, du bist doch immer noch über beide Ohren in diese Frau verschossen. Ich konnte verstehen, warum du es damals nicht konntest, aber jetzt? Euch steht doch gar nichts mehr im Weg." Ich seufzte und kratzte an dem Etikett meiner Colaflasche herum: „Sie will mich aber nicht mehr und das muss ich akzeptieren." Wieder hörte ich Kayla nur lachen: „Dann guck dir mal im Internet die Nachrichten über Limax an." Verwirrt schnappte ich mir mein iPad und googelte meinen alten Verlag. Ich überflog die Schlagzeilen und meine Augen weiteten sich. Dort stand tatsächlich, dass Limax Green verklagt hatte. Beim Rechtsstreit war dann herausgekommen, dass Jason Green nicht nur Plagiate in seinen Werken benutzt hatte, sondern auch seine Angestellten sexuell belästigt hatte. Er hatte seinen Verlag verloren und eine Haftstrafe erhalten. Ich wusste nicht, ob ich mich ekeln oder lachen sollte. „Ich habe gehört, dass Vanessa selbst gegen ihn ausgesagt hat", erzählte Kayla und man hörte, dass sie dabei etwas aß. Ein typisches Verhalten, wenn es darum ging, den neuesten Klatsch zu besprechen. „Ja, aber was hat das mit Vanessas Gefühlen zu tun? Sie kann Jason genauso wenig leiden wie ich." Ich konnte förmlich hören, wie Kayla ihre Augen verdrehte, als sie meinte: „Ja, aber sie kann ihn doch schon seit Jahren nicht leiden. Erst jetzt geht sie gegen ihn vor, obwohl er ihr gar nichts mehr anhaben kann. Es liegt doch auf der Hand, dass sie deine Ehre verteidigen will. Und das liegt sicher nicht daran, dass du eine so tolle Assistentin warst." Ich schnaubte über ihren Witz, doch wurde auch nachdenklich. Vielleicht hatte sie Recht und Vanessa hatte es für mich gemacht. „Du hast sie ja nicht gesehen an dem Tag, an dem du hier weg bist. Ich wünschte jemand würde so an mir hängen wie diese Frau an dir." Ich musste leicht lächeln und dachte daran zurück, wie Vanessa mich immer angesehen hatte. Wie sich ihr Blick immer verändert hatte, wenn er meinen getroffen hatte. Die wachsamen und undurchdringbaren Augen, die in meiner Nähe zu lieben Rehaugen wurden. „Hol sie dir zurück", meinte Kayla und hantierte im Hintergrund mit Geschirr herum. Ich seufzte und strich über das Holz meines Schreibtisches. Es war immer noch der gleiche aus meiner Kindheit, weshalb er auch einige Macken hatte. In eine Ecke hatte ich in der fünften Klasse ein M und ein L hineingeritzt. Als Max mich allein gelassen hatte, hatte ich die Buchstaben so sehr zerkratzt, dass man sie kaum mehr lesen konnte. Kayla hatte Recht. Selbst wenn Vanessa nicht mehr mit mir zusammen sein sollte, ich musste ihr zeigen, dass sie nicht allein war. Sie musste wissen, dass sie hier immer noch eine Familie hatte und dass mein Herz ihr immer noch gehörte. „Vanessa ist einfach nicht fähig über Gefühle zu reden, das war doch von Anfang an so", meinte Kayla und sie hatte Recht. Das war vermutlich auch eine logische Folge ihrer Kindheit, in der ganz sicher niemand ehrlich mit ihr gewesen war. Ich merkte, wie gut mir das Gespräch mit Kayla tat und spürte, dass ich sie vermisste.

Wir machten ab, dass ich sie am nächsten Wochenende besuchen würde und bis dahin nichts Unüberlegtes tun würde.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt