26.

2.5K 130 3
                                    

Am nächsten Morgen verbrachte ich Ewigkeiten damit, ein gutes Outfit herauszusuchen.

Ich würde zu Vanessa gehen und ihr sagen, dass wir alles vergessen würden. Dass ich mit ihr zusammen sein wollte und zurück zu Limax wollte. Schließlich entschied ich mich für einen Rock und eine weiße Bluse, die ich gern mochte. Kayla half mir, mich zu schminken und drückte mich nochmal fest: „Du schaffst das." Ich lächelte sie dankbar an und atmete tief durch, ich war bereit.

Es war seltsam wieder durch die Eingangshalle meines alten Arbeitsplatzes zu laufen. Nervosität keimte in mir auf, doch gleichzeitig spürte ich auch Vorfreude. Ich wollte Vanessa endlich wieder sehen und wieder berühren. Das Klima in der Firma war ungewöhnlich unruhig und ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Als ich an der Rezeption ankam, erkannte ich Rosie, die mehrere Telefonate gleichzeitig zu führen schien. „Es ist ein Fake, natürlich ist es das!", sagte sie in den einen Hörer mit Nachdruck und erklärte dann einem anderen, dass es sich um einen PR-Gag handeln würde. Worum ging es hier? Als Rosie kurz aufsah und mich erkannte, wurde ihr Blick weicher und in ihren Augen schimmerte Mitleid. Ich sah sie nur verwirrt an, da legte sie mir ein iPad hin. Darauf war eine Internetseite geöffnet, die ein Bild von Vanessa zeigte, sowie eine Sprachmemo. Ich runzelte die Stirn und nahm die Kopfhörer entgegen, die Rosie mir reichte. Schon nach den ersten Tönen erkannte ich Vanessas Stimme und sah vor mir, wie sie die Worte zu mir sagte. Mein Herz schnürte sich zu und meine Augen weiteten sich. Es waren Ausschnitte aus den privatesten Momenten zwischen ihr und mir, die nie jemand hatte hören sollen. Tränen stiegen in meine Augen, wie hatte jemand sie so bloßstellen können? „Ich habe mir gedacht, dass du es nicht warst", meinte Rosie und jetzt erst kapierte ich, was das Schlimmste war. Jeder würde denken, dass ich diese Aufnahmen gemacht hatte, um Vanessa zu entblößen. Mein Herz blieb stehen, Vanessa würde es auch denken. Sie würde denken, dass ich sie ausgenutzt hätte. Mein Blick schnellte hoch zu Rosie, die allerdings den Kopf schüttelte: „Keine Chance, du kannst nicht zu ihr." Gequält blickte ich zurück auf die Internetseite und verstand die Welt nicht mehr. Wie hatte so etwas passieren können? Hatte jemand Wanzen in das Büro von Vanessa verpflanzt? Ich schob das iPad weg von mir und suchte verzweifelt Rosies Blick. „Du solltest gehen", sagte sie nur und drückte kurz meine Hand. Sie schien genau zu wissen, wie wichtig Vanessa mir war. Um Rosie keine Schwierigkeiten zu bereiten, verließ ich das Gebäude und versuchte Vanessa mit dem Handy zu erreichen. Wie zu erwarten, nahm sie nicht ab und reagierte auf keine Nachrichten. Ich musste ihr doch klar machen, dass ich nichts damit zu tun hatte. Wer wollte Vanessa so sehr leiden sehen, dass er zu solchen Mitteln griff? Sofort kam mir nur eine Person in den Sinn, sodass ich in die nächste Bahn stieg. Auf der Fahrt recherchierte ich alles, was ich über den Vorfall finden konnte. Es war schrecklich, was manche Leute unter den Beitrag kommentierten. Vanessas guter Ruf schien völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Sich hochschlafen, das geht auch beim weiblichen Boss. Bei Limax werden auch Bettgeschichten geschrieben. Einige Schlagzeilen spielten auch auf Vanessas Sexualität an und mit jedem Wort, das ich las, wurde mir schlechter. Was zwischen uns war, war nicht falsch. Es war das ehrlichste, was ich mir vorstellen konnte und was ich jemals gefühlt hatte. Als ich bei Green ankam, lief ich sofort zum Büro meines Chefs und ließ mich nicht von seiner Assistentin abwimmeln. Ich stieß die Tür auf, ohne anzuklopfen und ignorierte, dass er am Telefonieren war. „Wie konntest du nur?", fuhr ich ihn an. Er schien kurz überrascht, doch dann grinste er hämisch. „Oh Lia, du bist genauso naiv und gutgläubig wie Vanessa", murmelte er herablassend und legte sein Handy weg. Er kam um den Tisch herum gelaufen und zog eine kleine Schachtel aus einer Schublade. „Zunächst hatte ich nur vor ein paar Infos über neue Werke zu klauen, doch du hast mir so viel mehr gegeben. Niemals hätte ich gedacht, dass Vanessa wirklich mit dir schlafen würde. Ich hätte gedacht, dass ihr der Job viel zu wichtig sei, aber man kann sich täuschen." Er öffnete die Schachtel und zum Vorschein kam ein winziges schwarzes Gerät. Er nahm es zwischen seinen Zeigefinger und Daumen und grinste: „Es war zu einfach, es dir unterzujubeln. Ich habe einfach mal darauf vertraut, dass du nicht besonders viele schicke Hosen besitzt und habe wohl nicht falsch gelegen." Ich erinnerte mich daran, wie er auf einer der Lesungen mein Knie berührt hatte. Er musste die kleine Wanze an meiner Hose befestigt haben und ich Idiot hatte es nicht bemerkt. Natürlich hatte ich die Hose ständig bei der Arbeit getragen. Es demütigte mich, dass man mir ansah, dass ich nicht viel Geld besaß. Viel schlimmer noch traf mich aber die Tatsache, dass er Recht hatte. Ich war viel zu naiv und hatte damit Vanessas Karriere gefährdet. „Der kleine Freund schickt die Daten direkt an meinen Server. Es war ein Kinderspiel, eure kleine Affäre zu enttarnen." Wut stieg in mir auf und ich ballte meine Hände zu Fäusten: „Du widerliches Schwein." Er lachte nur und blickte auf seine Uhr: „Wie wäre es, wenn Sie arbeiten gehen?" Ich schnaubte abschätzig und meinte: „Wenn du glaubst, dass du auch nur noch eine Zeile von mir bekommst, hast du dich geschnitten." Sein Gesichtsausdruck wurde noch belustigter als zuvor und seine Augen strahlten, als er meinte: „Dein Vertrag geht über ein Jahr und du hast nicht genug Geld, um da rauszukommen." Dieser Typ war wirklich die schrecklichste Person, die ich je kennengelernt hatte. Aber er würde sein blaues Wunder erleben, dafür würde ich sorgen. „Das werden wir ja sehen", sagte ich betont ruhig und schulterte meine Tasche. Sein Lächeln verrutschte leicht und er schien nicht zu kapieren, was ich meinte. Es war mir aber auch egal. Ich verließ sein Büro und wusste, dass ich es nie mehr wieder betreten würde.

Als ich durch die Straßen lief, wurde mir erst bewusst, dass ich absolut keinen Plan hatte. Wie sollte ich Vanessa klar machen, dass ich reingelegt worden war? Und selbst wenn ich das schaffen würde, würde sie mich je wieder so ansehen? Würde sie mir je verzeihen, dass ich ihre Karriere zerstört hatte? Ich war mir zwar sicher, dass ihr Erfolg nicht nachlassen würde, aber es war trotzdem ein Skandal. Viele junge Autoren und Autorinnen würden sich überlegen, ob sie zu Limax gehen sollten. Für Außenstehende lag es auf der Hand, dass ich mich hochgeschlafen hatte und Vanessa ihre Position ausgenutzt hatte. Noch dazu war Vanessa eine Ikone, wenn es um Liebesromane ging, die sich zwischen Männern und Frauen abspielten. Die Repräsentation ihrer Liebe zu einer Frau in den Medien ließ viele Kritiker an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln. Ich zwang mich nach einigen Stunden aufzuhören, Artikel über das Thema zu lesen. Es ließ mich nur immer mehr verzweifeln und würde mir auch keine Lösung liefern. Als ich zuhause ankam, rief mich meine Schwester an. Sie hatte den Skandal schon mitbekommen und geahnt, dass mehr dahintersteckte. Sie versuchte mich zu beruhigen, doch ich fing nur an zu weinen. „Jetzt reiß dich mal zusammen", meinte sie irgendwann streng. „Diese Frau liebt dich. Sie wird dir verzeihen und dann hilfst du ihr dadurch. Wann ist die nächste Möglichkeit, sie zu sehen?" Ich überlegte zunächst, ob ich einfach zu ihr fahren sollte. Allerdings würden die Reporter darauf wohl nur warten. Dann fiel mir die Verleihung des Literaturpreises der Stadt ein, die nächste Woche sein würde. „Ich habe noch den Pass von Green, damit komme ich rein", erzählte ich meiner Schwester.

Sie brummte zustimmend und zusammen erschufen wir einen Plan, um die Frau zurückzugewinnen, die ich schon mein Leben lang liebte.

Show me your dark linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt