The little Things (they always hang around)

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Das Hostel liegt in Tower Hill, eingequetscht zwischen Backsteinhäusern, als wäre es wie ein Bauklotz in die Lücke geschoben worden. So unscheinbar wie es von außen auch scheint, innen drin entpuppt sich das ganze als recht cooler Schuppen. Die Leute an der Rezeption sind geschätzt kaum fünf Jahre älter als wir und hintendran an der Wand kleben haufenweise politisch polarisierende Sticker mit Sprüchen wie FUCK BREXT oder FUCK BORIS und nebendran rundet eine bescheidene EU Flagge das ganze ab. Sympathisch.

Wir müssen erst unser ganzes Gepäck verstauen, aber auf die Zimmer dürfen wir noch nicht. Der genaue Grund wurde entweder nicht genannt oder ging im wirren Geschnatter der Klasse unter. Jedenfalls will Weizinger uns jetzt die Gegend zeigen und auch, wo der Underground ist.

Es nieselt ein wenig, als wir hinter ihm her durch die Straßen maschieren, aber so wirklich kalt ist es dennoch nicht. Frau Hecht hängt sich hintendran an die Karawane und fängt ein nettes Schwätzchen mit Tony an, der neben mir hergeht. Der nervige Busfahrer hatte sich, wem auch immer sei Dank, auf sein eigenes Hotelzimmer verkrochen.

Frau Hecht lässt sich ihre Zöpfe heute über die Schulter fallen und trägt sie nicht wie sonst beim Sportunterricht zu einem Knoten am Hinterkopf geflochten. Mit Tony unterhält sie sich darüber, wo er herkommt, nämlich aus Cheyenne und dass das ja relativ naturnah wäre. Tony nimmt das mit einem Achselzucken hin und meint, Cheyenne wäre trotzdem ein Funkloch für die Demokraten und darüber kann die Hecht sich das vielsagende Lächeln nicht verkneifen.
Sie erzählt, sie selbst habe Verwandschaft in Denver, mit der sie gut in Kontakt geblieben sei und sie erkundigt sich danach, was ihn dazu gebracht hätte, an einem Schüleraustausch nach Deutschland teilzunehmen und Tony sagt völlig im Ernst: "Rammstein."

Mir entwischt ein Geräusch des Amüsements. Tony schaut mich an. "Was ist so lustig, Mr. Kiesing?" fragt er herausfordernd und ich schüttle nur den Kopf. "Rammstein?"
Tony sieht mich an, als wäre ich der Bekloppte. "Of course. I like their music." entgegnet er überzeugt und scheint keinerlei Scham dafür zu verspüren, vor einer Lehrerin zu fluchen.

"Ich find die n bisschen protzig." gebe ich zu.

"Deren Musik eignet sich gut für Work-outs." findet Frau Hecht, ich hab schon fast vergessen, dass sie uns noch immer zuhört. Sie lächelt, als wir uns verblüfft zu ihr umschauen und um ehrlich zu sein, kann ich mir gut vorstellen, wie sie zu den rhythmischen Gitarrenriffs um den Platz joggt.

We are living in America. Coca-Cola, sometimes war.

Herr Weizinger führt uns um einen abgelegeneren Abschnitt der Themse, der von kleinen Läden und Cafés umrundet wird. Die Stühle stehen umgedreht auf den Tischen, keine Menschenseele außer uns ist zu sehen, nur eine Frau auf einem Fahrrad schlingert an uns vorbei. Herr Weizinger erzählt irgendwas und weil Tony, die Hecht und ich noch immer so weit hintendran stehen und eh kaum was hören, fährt Frau Hecht mit ihrer Fragerei fort. Sie will wissen, was Tony alles so an Deutschland gefalle.
"Health care." antwortet er flott und die Hecht findet das sichtlich zum Schreien. "Die Menschen sind mehr introverted." fügt Tony hinzu und nicht ganz unauffällig wirft er einen Seitenblick auf mich.
Haha, du Scherzkeks.

"Und alte Häuser."
Frau Hecht nickt zustimmend. "In den USA ist das älteste Haus aus dem sechzehnten Jahrhundert, denke ich. Zumindest das älteste nach der präkolumbianischen Ära."

Aha, die scheint Ahnung zu haben.

"Was möchtest du eigentlich später mal werden?" richtet sie sich wieder an Tony.
"Autor." lautet Tonys Antwort und auf weiteres Nachhaken seitens der Hecht, wie und was er denn dafür studieren wolle und welchen Genres er anstrebt, gibt Tony nur sehr vage Auskunft. Dass er noch keine Ahnung hat, scheint aber nicht der Fall zu sein. Ich glaube, er tut nur so. Anscheinend soll es ein Geheimnis bleiben, denn als die Hecht aufgibt, zwinkert er mir zu.

Tony wird die Welt retten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt