Waiting for the End

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Am letzten Tag im Krankenhaus kommt meine Mutter zu Besuch, sie schrieb mir ihre Ankunft am Stuttgarter Flughafen und seither sitze ich wie auf heißen Kohlen. Ich bin mächtig aufgeregt. Nicht überwiegend positiv wie bei Tonys Besuch, sondern eher diese Art Aufregung, bei der man Bauchschmerzen kriegt. Ich hatte sie ewig nicht gesehen und ich weiß, dass ich es mit ihr nicht so leicht haben werde wie mit meinem Vater oder meinen Freunden. Bei denen konnte ich rumdrucksen und um den heißen Brei herum labern. Mit Ausnahme von Tony habe ich niemanden von Johannes erzählt, das war aber auch nur, weil Tony mir ein schlechtes Gewissen gemacht hat.

Die meisten würden jetzt vermuten, dass meine Beziehung zu meinem Vater enger ist als die zu meiner Mutter und im gewissen Sinne stimmt das auch. Ich und mein Vater bekommen einander jeden Tag zu sehen und das hat uns im Prinzip desensibilisiert. Unsere Konversationen sind dadurch belanglos geworden und ich kenne meinen Vater gut genug, um zu wissen, wie man dafür sorgt, dass er keine weiteren Fragen stellt. Vielleicht ist das manipulativ, aber so hat das bisher immer funktioniert. Ich mach mein Ding und er seins. So ganz simpel ist das inzwischen wahrscheinlich nicht mehr, ich hab als Prügelopfer zu heftig den Bock abgeschossen, als dass mein Vater so doof wäre, genauso weiterzumachen wie bisher.

Worauf ich hinaus will, ist dass meine Mutter eben das komplette Gegenteil davon ist. Mit vagen Berichten hat sie sich noch nie zufrieden gegeben und sie wird es auch jetzt nicht.
Schon von weitem höre ich ihre Absätze auf dem Linoleum klackern, die Tür springt auf und meine Mutter stürmt herein, ähnlich wie Beverly vor zwei Tagen. Einmal hab ich von einer Theorie gehört, laut der manche Menschen am ehesten mit Leuten eine Beziehung eingehen, die auf irgendeine Weise dem eigenen Elternteil ähnelt. Zu der Theorie habe ich schon gefühlt tausend verschiedene Meinungen gehört und bis heute weiß ich nicht, ob es dazu vertrauliche Studien gibt oder das alles nur pseudowissenschaftlicher Stuss ist.

Jedenfalls erkenne ich meine Mutter kaum wieder. Sie sieht schon noch gleich aus, sie hat definitiv keine Gesichts-OP über sich ergehen lassen, trotzdem hat sich was an ihr verändert. Irgendwie wirkt sie gesünder und mehr bei der Sache, früher hat sie mehr so einen kränklicheren Eindruck gemacht. Vielleicht sollte ich einmal selbst eine Theorie in die Welt setzen, die besagt, dass manche Menschen die Fähigkeit haben, andere Menschen seelisch gesund zu machen, so wie Tony es bei Lindsey gemacht hat oder Gabriel bei meiner Mutter. Wobei bei meiner Mutter höchstwahrscheinlich noch die südeuropäische Sonne und guter Wein und sowas nachgeholfen hat.

Meine Mutter kommt an mein Bett gestöckelt und drückt mich so fest sie kann, was ziemlich fest ist und sie knutscht mein ganzes Gesicht ab, sodass ich danach erstmal gehörig nach Luft schnappen muss. Sie schaut mich eine Weile ganz mitleidig an und streichelt mir mit der Hand über die Wange. Sie hat ganz gebräunte Haut und ihr Haar ist fast blond an den Spitzen. "Mein armes Baby." säuselt sie immer wieder.
Aber sie kommt auch sofort zur Sache.
"Dein Vater hat mich angerufen." sagt sie und das wird für den ein oder anderen seltsam klingen, aber das ist tatsächlich der Moment, in der mir so richtig klar wird, wie ernst die Lage ist. Meine Eltern würden sonst nie freiwillig miteinander telefonieren. Vielleicht hat mein Vater auch gewusst, dass meine Mutter mehr aus mir rausbekommen würde als er. Irgendwie fühle ich mich hintergangen.

"Ich weiß, dass du ihm gesagt hast, du wüsstest nicht, wer das war. Du hast Angst, ich weiß schon, aber mir kannst du's doch sagen!"
stellt sie klar und das ist noch so ein Ding, das mir früher schon auf den Geist ging. Dass sie immer so tun muss, als ob mein Vater sich nicht richtig um mich kümmern würde. Meine Mutter tut gerne so, als würde sie stille Hilferufe von mir empfangen und es läge dann an ihr erstmal mein Leben aufzuräumen.

Von mir aus kann sie das auch tun. Mir egal. Inzwischen bin ich nämlich einfach nur noch hundemüde. Ich hab keine Lust mehr, mich irgendwie erklären zu müssen. Es wäre mir sehr willkommen, wenn sich alle bisher aufgestauten Probleme einfach in Luft auflösen würden. Wer weiß, vielleicht wird Johannes in diesem Moment von einem Güterzug überrollt, das wäre eine Sache weniger, um die ich mich kümmern müsste und ich müsste mich dann auch nicht schlecht fühlen dafür, ich weiß ja nicht mal, wie man so ein Ding fährt.

Tony wird die Welt retten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt