Tony wird die Welt retten

Sick Strange Darkness

Ich klingle zum zweiten Mal. Es ist fast vollkommen still, außer die Kinderschaukel die vor sich hin schaukelt und dabei hin und wieder ein gebrechliches Quietschen von sich lässt. Ich wunder mich immer wieder, warum man die nie abgebaut hat. Beverly hat sicher seit Ewigkeiten nicht mehr darauf geschaukelt. Das alles hat sowas von einer PSA vom Jugendamt oder sowas.

Wieso macht denn niemand auf?! Ich läute ein drittes Mal und der Klingelknopf bleibt fast stecken. Der Sticker mit dem Familiennamen darunter ist fast komplett verblichen. Unterm Briefkasten hängt ein Wespennest. Das Badfenster ist mit Pappe zugeklebt. Selbst das Gras sieht hier grauer aus als in den Gärten der Nachbarhäuser. Die sind alle ansehnlich und gepflegt. Spießer. Ich will gar nicht wissen, wie oft die Penner absichtlich irgendwas übersehen oder überhört haben. Am liebsten würd ich da jetzt auch Sturmklingeln und dem Nächsten, der aufmacht eine reinhauen, und wenn's nur die taube Oma ist.

Es kann doch nicht sein, dass ein Paar verpasste Anrufe unserer gesamte Freundschaft zerstört haben. Wär das nicht richtig hässlich ironisch? Ich hab immer das Gefühl gehabt, ein Paar zu sein, würde mich und Beverly auseinander treiben. Aber wahrscheinlich wär es sowieso passiert. Wenn man es mit einem Arschloch wie mir zu tun hat, kann das nie gut enden, dann macht es auch keinen Unterschied, ob man befreundet ist oder verlobt oder verheiratet.
Ich bin schon auf halbem Weg umgekehrt, als die Tür hinter mir aufgeht.

"Was machst'n für'n Lärm?" plärrt eine raue Männerstimme und ich trau mich schon gar nicht mehr, mich überhaupt umzudrehen.

"He, du! Was willst du? Soll das'n Klingelstreich werden? Ich mach dir Beine, Bursche!"

"N-nein..." Meine Beine zittern, als ich mich umdrehe und ich kann den Blick kaum vom Boden heben. Fast hätt ich noch die Hände gehoben, um zu zeigen, dass ich unbewaffnet bin. "Ich bin's nur...Ich..."

"Was willst'n hier?" bellt Beverlys Vater. Ich bin sicher, man hört ihn in der ganzen Straße. "Willst meine Tochter bumsen? Pech für dich, die ist nicht hier."

Ich bin so überrascht, dass ich den Fehler mache, zu ihm aufzuschauen. Er starrt mich an, als würde er in die Sonne gucken und seine Gesichtszüge sind so rau und kantig wie immer. Sein Hemd ist überseht von Schweißflecken, er hat eine Glasflasche in der Hand und ich glaub fast, den Alkoholgestank bis hierhin riechen zu können. Vielleicht ist das auch nur Assoziation.

"Die ist ned hier!" wiederholt er noch lauter, als wär ich schwerhörig und so langsam wird er ungeduldig. "Die find'st hier ed mehr, die kleine Schlampe. Wie die Alte. Haben sie einfach mitgenommen, die Wichser!"

Ich nicke ein paar Mal, obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, ob er überhaupt noch mit mir redet oder Selbstgespräche führt. Meine Hände schwitzen, meine Knie sind wie aus Luft. Es war echt lebensmüde von mir, hier aufzukreuzen. Wer weiß, zu was der Typ imstande ist. Wenn die Nachbarn Beverly nicht geholfen haben, werden sie mir auch nicht helfen. Ich mach ein Paar Schritte rückwärts.

"Ich hab sie nicht angerührt!" brüllt der Alte, dass es mir in den Ohren klingelt. "Ich hab der nie was getan! Die lügt! Das Miststück lügt doch allein schon, wenn sie den Mund aufmacht!"
Er wirft die Flasche auf den Boden, wo sie lautstark in hunderttausend Teile zerschellt und ich bin kurz davor, mir in die Hosen zu machen. Das ist nichtmal als Scherz gemeint. Ich hab ne Scheißangst.

"Scheiß Stasi-Pfeifen! Wer hat mich verpfiffen? Wer hat mich verpfiffen, hä? Warst du's, du warst es doch!" Er läuft schon ganz krebsrot an vom Herumschreien und ich stolpere fast, weil er auf mich zu kommt.

"N-N-Nein." Von der Angst sind meine Lippen schwer wie Blei. "Ich war's nicht-" Und da zerschellt schon die nächste Glasflasche nur wenige Zentimeter vor meinen Füßen. Ich schlag irgendwann auf dem Boden auf und hab gar nicht mehr die Kraft, mich aufzurappeln. Fast so, als wär ich von einer Sekunde zur nächsten gelähmt. Ich denk schon gar nicht mehr daran, mit dem Leben davonzukommen. Ich bin mir sicher, gleich schlägt er mir den Schädel auf wie Rührei. Wenn Johannes es nicht hinbekommen hat, mich tot zu kriegen, dann tut es irgendein irrer Suffkopf. Dann zerrt irgendwer an meinem Arm.