II. Jack Frost

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Constanzes Sichtweise

Ich lag auf einem Dach, sah in die Sterne und summte Nightlights Lied vor mich hin. Ich wünschte, sie wären alle noch da. Tsar und die Hüter sind die einzige Familie, die ich noch habe. Und die Hüter haben rund um die Uhr zu tun.

'Wieder in Gedanken versunken?', hörte ich die Stimme meines Bruders in meinem Kopf sagen. Die Kette begann im selben Moment zu glühen. 'Ja. Ich wünschte, ich könnte Mum, Dad und Nightlight noch einmal sehen.' 'Ich mir auch. Wie gehts dir so?' 'Relativ gut. Könnte Gesellschaft brauchen.' 'Ist dir meine Gesellschaft etwa nicht genug?', fragte er und ich konnte den sarkastischen Unterton schon förmlich spüren.

'Du bist nur eine Stimme in meinem Kopf, Bruderherz.' 'Das tut weh, Conny. Selbst wenn ich dich nur in meinem Kopf höre.' 'Du kannst mich sehen, Schlaumeier. Du hast Dads Fernglas.' 'Guter Punkt.' 'Und jetzt lass mich mit meinen Gedanken allein, Kleiner.' 'Ich bin älter als du.' 'Fünf Minuten, aber du bist kleiner.' 'Gute Nacht, Conny', lachte er. 'Gute Nacht, Tsar.' Die Kette hörte auf zu glühen.

Zeit, sich nützlich zu machen. Ich flog in die Höhe und zum nächsten Ort. Ein kleines Dörfchen. Ich konnte Angst spüren. Unzufriedenheit. Verwirrung. Ich landete auf dem Boden und sah mich um. Nichts. Wo kommt das her? Ich schloss meine Augen und versuchte die Quelle zu finden. Auf dem Dach. Auf dem Dach?

Ich sah hoch und ein geschätzt siebzehn jähriger Junge mit schneeweißen Haaren saß da. Er hielt einen eingefrorenen Stab in der Hand.

Ich flog zu ihm hoch und setzte mich neben ihm. Er bemerkte mich gar nicht, als er nur auf deine Füße starrte.

"Hallo?", versuchte ich anzufangen. Er sah zu mir und war geschockt, als er bemerkte, dass ich ihn direkt ansah. Er hatte wunderschöne, blaue Augen. Ich hob eine Augenbraue. "Hab ich was im Gesicht?" "Du kannst mich sehen?" "Natürlich kann ich dich sehen. Noch bin ich nicht verrückt geworden und rede mit mir selbst", lachte ich. Er lächelte. Er hat sogar schneeweiße Zähne. Würde Tooth sicherlich gefallen.

"Constanze", stellte ich mich vor und streckte meine Hand aus. "Jack-" Das Ende seines Stabs berührte das Dach und die Stelle gefror. Wow. Eiskräfte. "Frost." "Du bist kein normaler Teenager. Willkommen im Club." Er lachte und schüttelte meine Hand.

Wir legten uns beide aufs Dach zurück. Er verstand die ganze Situation noch nicht. Er ist aus einem See aufgestiegen und der Mond hat mit ihm geredet. Hat ihm gesagt, er sei Jack Frost. Ich versuchte ihm zu helfen, doch war das etwas schwierig, denn ich wusste, dass er das meiste selber herausfinden muss. Wer er ist und warum er hier ist. Aber selbst wenn ich ihm nicht vollständig helfen konnte, schien er erstmal dankbar, dass jemand überhaupt mit ihm redet.

Wir verstanden uns wirklich gut. Als hätten wir direkt geklickt. Und das haben wir auch. Wir sahen uns regelmäßig. Und ich freute mich jedes Mal ihn wiederzusehen. Es war schön, wieder jemanden zu haben, der einfach da ist.

Jahre später.

Es war Winter und Jack ließ es überall schneien. Ich liebe Winter. Der weiße Schnee strahlt immer so eine friedliche Stimmung aus. Und die Kinder sind selten unglücklich. Jack bringt ihnen jedes Jahr ein Lächeln aufs Gesicht.

Ich sah ihn auf einem Baum sitzen. Er sah den Kindern aus der Ferne zu und hatte ein Lächeln auf den Lippen. Ich nahm mir etwas Schnee, formte den zu einem Schneeball und warf ihn auf Jack. Er drehte sich verdutzt um, während ich ihn nur unschuldig anlächelte.

Er grinste, sprang zu Boden, formte ebenfalls einen Schneeball und warf zurück. Unsere kleine Schneeballschlacht war eröffnet. Ich hatte zwar das Gefühl, wir lachten mehr, als wir uns gegenseitig bewarfen, aber schön war es allemal.

Es brauchte bestimmt eine Stunde, wenn nicht mehr, bevor ich mitbekam, wie kalt mir eigentlich war. Meine Hände fühlten sich an wie Eiszapfen. Ich rieb sie aneinander und pustete sie an, um etwas Wärme zu generieren.

"Kalt?", fragte Jack grinsend, als er seinen Arm um meine Schulter legte. Ich drückte ihn weg. "Du hilfst auch nicht dabei. Du bist ein menschlicher Eiszapfen", konterte ich. "'Tschuldigung." Er ging einen Schritt zurück. "Sollen wir rein?", fragte er und ich nickte schnell.

Ich habe zwar keinen Palast wie die Zahnfee oder einen riesigen Bau wie der Osterhase, aber ein bescheidenes Häuschen tut es auch. Ich zündete den Kamin an und setzte mich davor. Jack lag auf der Couch, ein Stück weg vom Kamin. Hitze ist nicht seins. Was hat man auch anders von jemandem mit Eiskräften erwartet?

"Denkst du, dass mich irgendwann jemand sehen wird?", fragte er und starrte an die Decke. "Ich bin mir sicher. Du musst nur dein wahres Ich herausfinden. Warum hat Tsar dich ausgewählt? Warum dich und nicht jemand anderen?" "Ich hab keine Ahnung", seufzte er. "Irgendwann."

Es war eine ganze Weile eine angenehme Stille. Jack starrte nachdenklich an die Decke, während ich den tanzenden Flammen zusah. Ich bekam gar nicht mit, dass ich angefangen hatte zu summen.

"Was ist eigentlich das Lied, was du andauernd summst?" "Ein altes Schlaflied, könnte man sagen." "Scheint dir sehr in Erinnerung geblieben zu sein." "Mhm." "Kennst du auch den Text oder nur die Melodie?"

"Denkt stets an mich
Muss ich jetzt auch leider geh'n
Denkt stets an mich
Weint deshalb keine Trän'n

Denn bin ich dann auch fern von euch
Trag' ich euch in mei'm Herz
Ich sing' für euch ein kleines Lied
Dann geht vorbei der Schmerz

Denkt stets an mich
Wenn ich weg bin, selbst nicht fern
Denkt stets an mich
Und seht hoch in die Stern

Wisst, ich mag's nicht wegzugeh'n
Es ist so fürchterlich
Bis wir uns wiederseh'n
Denkt stets an mich"

"Wow. Jetzt verstehe ich, warum die Kinder dich so gern singen hören", meinte er verträumt. Ich wurde leicht rot, doch konnte Jack das glücklicherweise nicht sehen.

Zu dem Zeitpunkt, wollte ich mir aber noch nicht klarmachen, dass da etwas anderes als nur platonische Freundschaft hinter unseren hin und her geworfenen Komplimenten stecken könnte.

Mannys Schwester ( Jack Frost - Hüter des Lichts )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt