Kapitel 1

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Es war eiskalt. Ich fror entsetzlich. Neben mir saß Lucia, meine kleine Schwester, ihre Zähne klapperten und sie schmiegte sich eng an mich. Ich sah mich um. Wir hatten hinter einem kümmerlichen Busch, der auf der weiten Ebene vor dem Wald stand, Schutz gesucht. Es war ein sicherer Platz für uns. Wir waren weit genug von Wald entfernt um hungrige Wölfe oder andere Tiere rechtzeitig zu entdecken und zu fliehen, obwohl ich bezweifelte, dass wir dazu gerade in der Lage seien. Wir hatten seid gestern morgen nichts mehr gegessen und es wurde schon dunkel. Unsere letzte Mahlzeit hatte aus dem rohen Fleisch eines toten Tieres bestanden, dessen Kadaver wir im Wals gefunden hatten. Zwar war es in dieser Zeit nicht ratsam in die Wälder zu gehen, da dort die Gefahr von ausgehungerten Tieren gefressen zu werden sehr hoch war, aber lieber ging ich dieses Risiko ein, als zu verhungern. Außerhalb der Wälder Nahrung zu finden war fast unmöglich und es gab Zeiten, in denen Lucia und ich uns tagelang von Gras ernährt hatten. Außerdem bot uns unser Busch einen, wenn auch spärlichen, Schutz vor dem eisigen Wind, der manchmal auch Schnee mit sich brachte. Zwar war das in dieser Gegend eher selten, aber weiter im Norden lag fast immer Schnee. Aber hier regnete es sehr oft. Ich vermutete, dass wir uns auf einem ehemaligen Feld aufhielten. Denn dass sich der Wald hier nicht ausbreitete musste bedeuten, dass hier entweder oft Menschen waren oder hier früher mit giftigen Chemikalien gespritzt worden war, weshalb nichts mehr wuchs. Der Busch musste einfach ein besonders robustes Exemplar sein, dem der verseuchte Boden nichts ausmachte. Wie ich diese Menschen hasste, die uns das angetan hatten. Die unsere Erde so ausgepumpt hatten, dass sie zu diesem unwirtlichen Planeten wurde. Meine Mutter hatte mir früher immer Geschichten erzählt, wie die Erde vor den unzähligen Katastrophen, die im letzten Jahrhundert immer mehr und immer schlimmer geworden waren. Meine Mutter, die wie mein Vater und meine restlichen Geschwister Opfer dieser Katastrophen und Zerstörungen geworden waren. Immer noch musste ich oft an diese Nacht denken, in der meine Eltern und Solea gestorben waren. Gestorben, weil wir nicht mehr genug zu essen hatten. Ich hatte die Worte, die meine Mutter und mein Vater mir in dieser Nacht gesagt hatten. Und gerade in dieser schweren Zeit, als wir fast kein Essen mehr hatten, musste ich besonders oft daran denken. Gib niemals auf, Zoe, du darfst nicht aufgeben. Du siehst, wir sind zu schwach, um vor dem Entsetzlichen, das kommen wird zu fliehen. Aber du, Nadia und Lucia, ihr könnt es schaffen. Dein Name bedeutet Leben und wir haben ihn dir nicht umsonst gegeben. Du hast es verdient zu leben. Gemeinsam mit deinen Schwestern. Hoffnung und Licht, sind das nicht Namen, mit denen man überleben muss? Und ich weiß das ihr stark seid. Ihr seid meine Töchter. Ich liebe euch. Dann war meine Mutter zu schwach gewesen um weiterzusprechen. Mein Vater hatte mir auch noch etwas gesagt. Zoe, geht in keine der Städte, auch wenn es euch dort sicher erscheinen mag, es ist nicht so. Ihr müsstet euch dort, um zu überleben, einer der Gruppen anschließen. Ansonsten würdet ihr nicht mal einen Tag überleben, dort. Das Leben ist rau in den Städten, wie die Menschen dort, sie sind skrupellos. Und ihr würdet eure Unabhängigkeit verlieren. Ich weiß, dass ihr alleine gut durchkommen werdet. Dann hatten wir unseren wenigen Besitz mit uns genommen und waren geflohen, so schnell es ging. Die erste Zeit war hart, sehr hart. Doch irgendwann ging es. Nur für Nadia war es nie etwas. Wie es ihr wohl gerade ging? Wo sie wohl war, in welcher Stadt? Nadia, die ein Jahr jünger als ich war, war irgendwann in die nächste Stadt gegangen, weil sie unser Leben nicht mehr ausgehalten hatte. Ich vermisste sie immer noch, sie war so ein besonderer Mensch. Sie passte nicht in die Stadt, doch ich könnte sie nicht mehr aufhalten. Und jetzt waren wir eben nur noch zu zweit, Lucia und ich. Ich begann unseren wenigen Besitz aus dem Rucksack zu holen. Wir besaßen zwei alte decken, die einen Nacht wenigstens einigermaßen vor der Kälte schützten, eine alte Metallflasche, die wir an klaren, sauberen Bächen mit Wasser füllten, da man das Wasser auf verseuchten Feldern nicht trinken konnte und jeder eine Mütze. Außerdem hatten wir ein Messer, es war unser wertvollster Besitz. Wir wickelten uns in unsere Decken, kuschelten uns eng aneinander, um uns gegenseitig zu wärmen und schliefen trotz unserer knurrenden Mägen und der schneidenden Kälte ein.

Die AuswandererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt