Kapitel 4

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Ich beschloss Henry nichts von meiner kleinen Begegnung mit Samuel zu erzählen, sonst wäre letzterer nämlich im Handumdrehen einen Kopf kürzer. Okay, ehrlich gesagt, wäre Henry dann einen Kopf kürzer gewesen, weil er nun mal nicht annähernd so stark ist wie Samuel.

"Ja ja, ich hatte einfach Glück, dass es so aufgehört hat", versicherte ich ihm, als wir an der Essensausgabe der Kantine standen. Ich wollte mir gerade eine Banane nehmen, als Valérie mir plötzlich eine auf mein Tablett legte. "Ehm, dankeschön?" Verwirrt sah ich ihr hinterher, wie sie selbstverliebt zu ihrem Tisch ging. Ich drehte mich zu Henry um und schaute ihn fragend an. Dieser zuckte jedoch nur unwissend mit den Schultern. Wir gingen zu meinen zwei Schulfreundinnen Anna und Perrine, die sich schon an einen freien Tisch gesetzt hatten.

Ich aß gerade meine Banane, als plötzlich Valérie an den Tisch kam und ein Foto von mir schoss. Genervt schaute ich zu ihr hoch. Sie lächelte gefaket, dann fing sie an laut zu reden. Viel zu laut. Jeder in der Kantine konnte sie hören. "Ach, wie süß. Madison unser Äffchen isst sogar passend Bananen." Heilige Scheiße, das toppte alles ihrer bisherigen Aktionen. Jetzt bekam es jeder mit, jeder kannte ab jetzt meinen von ihr mir zugeordneten Spitznamen. Hätte ich doch nur eine Nektarine genommen.

Weil ich kurz davor war Valérie eine reinzuhauen, schnappte ich mir schnell meinen Rucksack und rannte aus der Kantine. Alle lachten mich aus. Nur einer nicht. Er saß ganz am Ende, neben der Tür. An seinem Daumen ein Ring, eine schwarze Jeans mit einem dunkelbraunen, fast schwarzen Gürtel, ein schwarzes T-Shirt durch das man seine Muskeln sehen konnte und eine Lederjacke. Samuel. Wieso lachte er nicht? Das tat doch jeder hier. Für einen Moment dachte ich wirklich er sei ein guter Mensch, nicht so wie alle immer gedacht hatten. Doch dann entdeckte ich es. Er hielt allen ernstes ein Handy in der Hand und filmte das ganze Geschehen. Gott, ich würde ihm so gerne das Handy aus der Hand reißen und es zerstören. Kurz bevor ich das tat fasste ich mich noch und rannte aus der Kantine raus. Ich gab Henry und den anderen das Zeichen dort zu bleiben, ich wollte jetzt nur allein sein.

Ich rannte raus und setzte mich unter eine versteckte Palme, die neben dem Weg zum Sportplatz stand. Ich nahm mein Notitzheft heraus. Dann begann ich zu schreiben: 

Hass, du weißt nicht wieso
Trauer, du weißt wieso
Wut, du weißt nicht wieso
Verzweiflung, du weißt wieso


Ich biss mir kurz auf die Lippe. schließlich drückte ich auf das Ende des Kugelschreibers und schrieb weiter:

Fragen, du hast keine Antwort
Sätze, du findest keinen Punkt
Löcher, du findest keine Versieglung
Ende, du findest keinen Anfang

Seit einem Tag nach meinem siebten Geburtstag schrieb ich meine Gefühle und Probleme auf. Manchmal in Form von Songtexten, manchmal wie einen Tagebucheintrag und manchmal in Form von Gedichten. So wie jetzt. Mein ganzes Heft war voll von solchen Texten. Keiner las diese Texte, sie waren mein Ein und Alles. Es kam auch schon mal vor, dass die Texte in meinem Kopf Sinn ergaben, in Wirklichkeit aber erst einige Zeit später.

Man hätte mich für verrückt erklären können, aber das war ich ja sowieso schon.

"Was schreibst du da?", fragte plötzlich mir eine nur zu bekannte tiefe Stimme. Samuel.

So schnell wie es ging, klappte ich mein Buch zu und schaute starr gerade aus. "Ich wüsste nicht, was dich das angeht."

Er schnaubte, bevor er sich neben mich setzte. "Bist du sauer auf mich?" Genau da hob ich meinen Arm und wollte zuschlagen. Allerdings reagierte Samuel so schnell wie kein anderer und packte mein Handgelenk. Ich wollte meinen Arm weg ziehen, aber er griff einfach fester zu. "Ich habe dich was gefragt."

Meine Kiefermuskeln spannten sich an. Gott, wie ich diesen Jungen hasste. "War das nicht Antwort genug? Wenn nicht, hättest du mich vielleicht nicht aufhalten sollen."

Erneut schnaubte er. "Du denkst, ich lasse mich schlagen? Wieso bist du sauer auf mich, Babe?"

"Na ja, ich werde vor der ganzen Schule bloßgestellt und du filmst das ganze auch noch. Wer wäre da nicht sauer?" Sichtlich gestellt lächelte ich ihn an.

Wieso schnaubte dieser Kerl so oft? "Du denkst, ich hätte dich gefilmt um das Video ins Netz zu stellen? Sowas mache ich nicht. Ich möchte Leute nicht in den Abgrund ziehen, ich möchte Leuten helfen. Sie weiter nach oben bringen."






Hello my friends,
Das waren doch mal unerwartete Worte von Samuel, oder? Ich denke mal, Maddy ist auch ganz schön erstaunt darüber gewesen. Es ist schon das zweite Kapitel, das ich heute rausbringe. Irgendwie bin ich heute in Schreibefieber;)
Viel Spaß beim Lesen, Emma <3

Einen ganz besonderen MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt